Süddeutsche Zeitung

Nachhaltige Geldanlage:Greenpeace klagt gegen Ökosiegel für Atommeiler

Die Umweltgruppe will das umstrittene Taxonomie-Gesetz der EU-Kommission stoppen. Österreichs Regierung hat ebenfalls ein Verfahren angestrengt. Die Regelung stuft bestimmte Investitionen in Kern- und Gaskraftwerke als nachhaltig ein.

Von Björn Finke, Brüssel

Die EU-Kommission lehnte den Einspruch ab - nun wird gegen eines der umstrittensten Brüsseler Gesetze geklagt: Im September hatten Umweltgruppen Beschwerde eingelegt gegen das Taxonomie-Gesetz. Diese Regelung stuft Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unter gewissen Umständen als nachhaltig ein, die Vorschrift gilt seit Jahreswechsel. Die Kommission verwarf die Beschwerde vorige Woche. Nun kündigt Greenpeace an, deshalb im April Klage beim Gericht der EU in Luxemburg einzureichen.

Und es ist nicht die einzige Klage: Die österreichische Regierung hat ebenfalls ein Verfahren angestrengt. Bis Anfang März können sich andere Regierungen der Klage anschließen. Diesen Schritt hat bisher aber nur Luxemburg versprochen. Die Ampel-Koalition in Berlin ist mit dem sogenannten delegierten Rechtsakt der Kommission ebenfalls unzufrieden, konnte sich jedoch nicht darauf verständigen, vor Gericht zu ziehen. Österreichs Regierung schätzt, dass es erst 2024 ein Urteil geben wird. Daneben hat noch der deutsche Europaabgeordnete René Repasi von der SPD eine Klage eingereicht.

Diese Verfahren dürften die letzte Chance sein, das brisante Gesetz zu stoppen, nachdem im vorigen Sommer eine überraschend breite Mehrheit des EU-Parlaments den Rechtsakt durchgewunken hat. Die Vorschrift gehört zur grünen Taxonomie. Dieses Klassifizierungssystem legt fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Das soll Greenwashing unterbinden, also die Unsitte, dass Firmen oder Investmentfonds sich als grüner verkaufen, als sie es wirklich sind. So will die EU-Kommission das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte erhöhen.

Schon im April 2021 hatte die Behörde einen Rechtsakt mit Kriterien für wichtige Branchen und Güter präsentiert: insgesamt 170 Aktivitäten, die für 80 Prozent des Ausstoßes an Treibhausgasen stehen. Allerdings wurde die heikle Frage, was für Kern- und Gaskraftwerke gilt, zunächst aufgeschoben. Als die Kommission den Rechtsakt für Atom und Gas schließlich vor einem Jahr vorstellte, provozierte das erhitzte Debatten.

"Ein fatales Signal für den europäischen Finanzsektor."

Denn die Regelung erklärt Investitionen in Gas- und Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig. Daher könnten deutsche Stadtwerke oder der französische Atomkonzern EDF Öko-Anleihen herausgeben, um die Milliarden Euro für neue Gas- und Kernkraftwerke aufzutreiben. Solche Schuldscheine sind niedriger verzinst als normale Anleihen, die Finanzierung wird billiger. Zudem dürfen Ökofonds Aktien der Firmen halten. Das wird von vielen Europaabgeordneten, Regierungen wie der österreichischen und von Umweltgruppen scharf kritisiert. "Ein Nachhaltigkeitssiegel an Umweltsünder zu vergeben, ist ein fatales Signal für den europäischen Finanzsektor und wird die Klimaziele massiv untergraben", sagt Marie Kuhn, Finanzexpertin von Greenpeace Deutschland.

Die EU-Kommission argumentiert, dass Atom- und Gaskraftwerke als Brückentechnologien für den Übergang in eine klimafreundliche Stromversorgung gebraucht würden. Kritiker befürchten aber, dass die Aufnahme von Atom und Gas die Glaubwürdigkeit der gesamten Taxonomie aus Sicht von umweltbewussten Anlegern und Fondsgesellschaften untergrabe.

Österreich begründet seine Klage damit, dass die Kommission "so weitreichende und politisch sensible Entscheidungen" nicht als delegierten Rechtsakt hätte verabschieden dürfen, wie es in einer Mitteilung heißt. Diese schwierig zu stoppende Art von Kommissions-Gesetzen legt sonst immer nur Details fest.

Außerdem moniert Wien, die übergeordneten Regeln für die grüne Taxonomie verböten es, die beiden Technologien aufzunehmen. Schließlich sei Erdgas "grundsätzlich ein klimaschädlicher Energieträger", und bei Kernkraftwerken bestehe die Gefahr von Reaktorunglücken mit enormen Umweltschäden. Ähnliche Argumente bringen Greenpeace und der Europaabgeordnete Repasi vor.

Nicht alle Kern- und Gaskraftwerke profitieren

Von dem Rechtsakt sollen bis 2045 genehmigte Reaktor-Neubauten profitieren, Investitionen in Laufzeitverlängerungen können bis 2040 berücksichtigt werden. Voraussetzung für das begehrte Nachhaltigkeits-Label ist, dass die Anlagen modernste Sicherheitsstandards erfüllen und die Regierungen zudem ein Konzept haben, wie sie bis spätestens 2050 ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle einrichten wollen. Gaskraftwerke erhalten das grüne Label nur, wenn sie Kohlekraftwerke ersetzen und sehr effizient sind.

Zudem müssen sie bis 2035 komplett von Erdgas auf klimafreundliche Brennstoffe wie Biogas oder Wasserstoff umsteigen. Die Wasserstoffproduktion bis dahin derartig auszuweiten, dürfte allerdings schwierig werden.

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