Pipers Welt:Hochverdächtig

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Der Mörder im "Tatort" ist oft Unternehmer oder Manager: Gewinnstreben wird in Deutschland offenbar moralisch verurteilt.

Von Nikolaus Piper

Lange lässt sich darüber streiten, ob der Tatort am Sonntagabend tatsächlich die Realität in deutschen Polizeirevieren wiedergibt. Leute, die etwas von der Materie verstehen, behaupten jedenfalls, dass echte Kommissare längst vom Dienst suspendiert worden wären, würden sie so unorthodox ermitteln, wie ihre Kollegen von der ARD. Ohne Zweifel jedoch spiegelt sich in den 1183 Tatort-Folgen, die das Fernsehen seit 1970 ausstrahlte, bundesdeutsche Geschichte der vergangenen 51 Jahre, genauer: das Bild, das sich Drehbuchautoren von ihr gemacht haben. Oder, wie es der Schauspieler Udo Wachtveitl (alias Kommissar Franz Leitmayr) einmal formulierte: Der Tatort ist das "Bilderbuch der Republik".

Bilderbücher sollen die Wirklichkeit nicht naturgetreu wiedergeben, sie interpretieren sie. Unvermeidbar ist es, dass in diese Interpretation auch die Vorurteile der Drehbuchautoren einfließen. Womit wir beim Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins, Bernd Buchholz (FDP) wären. Der äußerte sich kürzlich gegenüber den Kieler Nachrichten zum Thema Tatort. Eigentlich möge er ja den Kieler Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg), sagte er. Ihn störe aber, wie die Menschen im Norden dargestellt würden ("mit grüner Schiebermütze und geringer Sprechfähigkeit ausgerüstet"). Und die Unternehmer würden in der Regel als "raffgierige, profitgierige Drahtzieher" gezeigt. "Wenn es gut läuft, sind sie das larmoyante Entführungsopfer."

Der Einwurf des Politikers und Managers Buchholz, er war von 2009 bis 2012 Chef des Medienunternehmens Gruner + Jahr, ist ein guter Anlass, sich einmal mit der Soziologie der Tatort-Täter zu befassen. Buchholz' Beobachtung trifft ja nicht nur in Kiel zu: Wenn in einer Folge ein Unternehmer auftaucht, ist er meist hochverdächtig und man kann fast darauf wetten, dass er als Täter oder wenigstens als dessen Helfer enttarnt wird. Das Phänomen ist sogar mit Zahlen belegt. Vor drei Jahren hatte das Vergleichsportal "Netzsieger" einmal insgesamt 1000 Folgen ausgewertet und gefragt: Welchen Beruf hatten die Täter? Danach waren Unternehmer und Manager die Gruppe mit den meisten Mördern: 109 an der Zahl, was einem Anteil von mehr als zehn Prozent entsprach. Erst an zweiter Stelle kamen Berufsverbrecher (100), gefolgt von Schülern (54) und Polizisten (49).

"Der Unterprivilegierte ist mit öder Regelmäßigkeit der bessere Mensch", sagte Udo Wachtveitl in der Zeit. Neulich habe ihn ein Freund gefragt, wie viele moralisch gute Charaktere es eigentlich im Tatort gebe , die reich waren. "Gute Frage. Ich glaube, da ist ein bisschen 1968er-Kitsch dabei. Diese Leute sind jetzt alle in den Redaktionen in den entsprechenden Positionen. Bei denen darf der hart arbeitende Ausländer unter den drei Verdächtigen sicher nicht der Täter sein".

Die Tatort-Statistik gibt einen Eindruck davon, wie schlecht das Bild vom Beruf des Unternehmers in Teilen der deutschen Gesellschaft und besonders unter Kulturschaffenden ist Eigentlich ein erstaunliches Phänomen in einem Land, das seinen Wohlstand zu einem wesentlichen Teil mittelständischen Unternehmern verdankt und in dem sich zudem eine lebendige Start-up-Szene entwickelt hat.

Profit eigentlich ganz einfach: "Zuwachs" oder "Aufbruch"

Ein Maß für dies Misstrauen gegen Unternehmer ist die Häufigkeit, mit der das Wort "Profit" in der Öffentlichkeit auftaucht. Aus dem lateinischen profectus abgeleitet, bedeutet Profit eigentlich ganz einfach: "Zuwachs" oder "Aufbruch". Tatsächlich wird es heute fast nur noch als Pejorativ für Gewinn verwendet, entsprechend steht die "Profitgier" für "Gewinnstreben" . "Reden wir über Gier" überschreibt das Haus der Geschichte Baden-Württemberg eine digitale Ausstellung zum Thema hohe Mieten. "Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz vor Profit" fordert das Forum Umwelt und Entwicklung. So, als sei den Menschenrechten, der Umwelt und dem Klima gedient, wenn Unternehmen keine Gewinne mehr machten.

In diesem Zusammenhang wäre noch von Uğur Şahin und Özlem Türeci zu reden. Die beiden Wissenschaftler hatten mit Subventionen der Bundesregierung ein Unternehmen gegründet, das Präparate für Immuntherapien entwickeln sollte. Tatsächlich gelang es ihnen, den ersten Impfstoff gegen Corona zu entwickeln, eine beispiellose Pionierleistung, die mit einem hohen Pioniergewinn belohnt wurde. Der Kurs der Biontech-Aktie stieg im Laufe dieses Jahres um 200 Prozent. Für manche ist dies aber kein Erfolg, sondern ein Skandal. In dem Aufruf "Zero Covid", der bisher von über 100 000 Menschen unterschrieben wurde, heißt es: "Impfstoffe sollten der privaten Profiterzielung entzogen werden. Sie sind ein Ergebnis der kreativen Zusammenarbeit vieler Menschen, sie müssen der gesamten Menschheit gehören". Zero Covid und andere werfen den Pharma-Unternehmen vor, dass sie die Rechte an ihren Entwicklungen nicht freigeben. Sie trügen deshalb Schuld an den niedrigen Impfquoten in armen Ländern. Bei Amnesty International liest sich das dann so: "Dort, wo Profite vor Menschenleben stehen, versagen Unternehmen in ihrer menschenrechtlichen Verantwortung".

Wie wäre es aber mit dem Gedanken, dass Menschenleben gerade dadurch gerettet werden, dass Unternehmer das Risiko eingehen, einen neuen Impfstoff zu entwickeln. Und dass sie das gar nicht könnten, würde ihnen der Gewinn als Lohn für diese Risiken von vorneherein gestrichen? Vielleicht kann jemand einen Tatort zu diesem Thema produzieren.

Nach sechs Jahren ist dies die letzte Folge von "Pipers Welt". Nikolaus Piper schreibt in der SZ an anderer Stelle weiter über Grundsatzfragen der Ökonomie.

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