Tatort Arbeitsplatz:Kosten drücken aus Prinzip

Billiganbieter sind preiswert, weil sie günstig einkaufen, straff organisiert sind und den Aufwand klein halten - das bekommen auch die Beschäftigten zu spüren

Stefan Weber und Silvia Liebrich

Gediegene Kaufleute rümpften die Nase, als Karl Albrecht 1962 im Ruhrgebiet sein erstes Discountgeschäft eröffnete: Einfach ausgestattete Läden, wenige auf Paletten gestapelte Waren, kein Verkaufspersonal - solche Geschäfte würden die meisten Kunden nach ihrer Überzeugung niemals betreten.

Tatort Arbeitsplatz: Alles billig, oder was? Discounter geben im Handel den Takt vor.

Alles billig, oder was? Discounter geben im Handel den Takt vor.

(Foto: Foto: dpa)

Das war ein Irrtum. Ehe die Konkurrenten Penny, Lidl und Plus zu Beginn der siebziger Jahre ein ähnliches Verkaufsformat entwickelten, hatte Handelspionier Albrecht bereits ein dichtes Filialnetz gesponnen. Diesen Vorsprung hat sich Aldi bis heute erhalten.

Aber anders als vor 30, 40 Jahren sind die Discounter nicht mehr Außenseiter, sondern Taktgeber im deutschen Lebensmittelhandel. Ihr Ladennetz umfasst etwa 14.000 Standorte; der Marktanteil summiert sich auf mehr als 40 Prozent - mit steigender Tendenz.

"Discounter sind die großen Gewinner", sagt Wolfgang Twardawa, Konsumexperte beim Marktforschungsunternehmen Gfk. Trotz zum Teil kräftiger Preiserhöhungen haben die Billiganbieter in den ersten Monaten dieses Jahres weiter in der Gunst der Verbraucher gewonnen: Aldi steigerte den Umsatz im Januar und Februar laut GfK um 9,4 Prozent; Lidl legte sogar 10,9 Prozent zu.Als Arbeitgeber sind die Discounter dagegen trotz meist überdurchschnittlicher Bezahlung weit weniger geschätzt.

Kleine Supermärkte leiden

Sie verlangen von den Mitarbeitern enorm hohen Einsatz und viel Flexibilität - etwa bei den Arbeitszeiten. Ihre Rechte sind stark eingeschränkt. So wachen die Firmen etwa aufmerksam darüber, dass die Beschäftigten wie im Fall Lidl keinen Betriebsrat gründen. Für Aussehen sorgte der Discounter zuletzt, weil er einen Teil seiner Mitarbeiter monatelang bespitzelt hat.

Mit einem großen Sortiment an Frische-Produkten und Tiefkühlartikeln machen die Billiganbieter vor allem kleineren Supermärkten das Leben schwer. Mehr als 20.000 dieser Läden haben nach Schätzung des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens KPMG seit 1995 aufgegeben, weil sie den Konkurrenzkampf mit den Billiganbietern nicht bestehen konnten.

Niedrige Preise sind das stärkste Argument, mit dem Aldi, Lidl & Co. Kunden locken. Um günstig anbieten zu können, müssen die Discounter preiswert einkaufen. Das gelingt ihnen, weil viele Hersteller ein hohes Interesse daran haben, mit den Billiganbietern ins Geschäft zu kommen.

Denn das eröffnet ihnen die Chance, die eigenen Waren gleich in mehreren tausend Filialen zu präsentieren. Je größer die Einkaufsmacht der Discounter, umso besser ist die Verhandlungsposition gegenüber den Lieferanten.

Allein ein günstiger Einkauf garantiert jedoch noch nicht den Geschäftserfolg der Billiganbieter. Voraussetzung ist auch eine straffe Logistik sowie ein fein abgestimmtes Warenwirtschaftssystem. Und das Sortiment soll möglichst nur sogenannte Schnelldreher umfassen: Lebensmittel, die rasch verkauft werden können, dazu wöchentlich wechselnde Nonfood-Produkte.

Effizienz ist alles

Die Filialen sind zwar längst nicht mehr so spartanisch ausgestattet wie Karl Albrechts erste Läden in den sechziger Jahren. Aber aufwendige und teure Ladendekorationen überlassen die Discounter den Wettbewerbern. Ihnen geht es vornehmlich um Effizienz.

In einem Geschäftsmodell, das so stark auf niedrige Kosten ausgerichtet ist, werden Inventurverluste, also das Verschwinden von Ware, besonders kritisch gesehen. Lidl beziffert den dadurch entstehenden Schaden auf 80 Millionen Euro pro Jahr und rechtfertigt damit den Einsatz von Überwachungskameras und Detektiven in besonders betroffenen Filialen.

Gemessen an der Höhe der Inventurverluste hätten andere Firmen sehr viel mehr Grund, die Überwachung in ihren Geschäften zu verstärken. Nach einer Untersuchung des Handelsinstituts EHI ist der durch Warenschwund entstandene Schaden in Drogerie- und Baumärkten sowie in Textilläden größer als im Lebensmittelhandel. Insgesamt, so das EHI, verschwinden im Einzelhandel in jedem Jahr Waren im Wert von vier Milliarden Euro.

Knapp eine Milliarde geht nach Erkenntnis der Handelsforscher auf das Konto der Belegschaft. Etwa 13.000 Mitarbeiter werden jährlich beim Diebstahl ertappt. Der Schaden, den sie dabei anrichten, ist mit 1000 bis 1500 Euro meist um ein Mehrfaches größer als beim Kundendiebstahl.

Diebesgut im Müllsack

Nach Beobachtung von Frank Horst vom EHI haben sich Diebstähle gerade bei den Discountern in den vergangenen zehn Jahren gehäuft, obwohl die Zahl der Ladendiebstähle insgesamt abgenommen hat, wie die offizielle Polizeistatistik zeigt. Ursache dafür seien Veränderungen im Sortiment: Weil die Billiganbieter zunehmend auch hochwertige technische Geräte anbieten, seien Aldi, Lidl & Co. für Diebe reizvollere Ziele geworden.

Fachleute wie Horst wissen jedoch, dass nur ein Teil der Waren über die Kassen verschwindet, also dort, wo die Geschäftsleitung von Lidl Kameras installieren ließ: Häufig wählten Diebe dagegen den Weg über das Lager, denn dort sei die Kontrolle sehr viel lückenhafter. Ein beliebter Trick sei, Ware in Müllsäcken im Abfallcontainer zu deponieren und sie nach Ladenschluss abzuholen, sagt Horst.

Auch andere Handelsunternehmen verstärken den Kampf gegen Ladendiebe - meist jedoch mit weniger fragwürdigen Methoden wie Lidl. Etwa eine Milliarde Euro investiert die Branche nach Schätzung des EHI in diesem Jahr in Kameras, Videotechnik und Warensicherung.

Vor allem Textilhändler versehen ihre Waren häufiger mit Sicherheitsetiketten. In ihnen ist ein Mini-Chip eingenäht, der einen akustischen Alarm auslöst, sobald unbezahlte Ware eine elektronische Schleuse am Ausgang des Geschäfts passiert. Auch sensibilisieren die Händler ihr Verkaufspersonal in Schulungen für die Tricks der Diebe.

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