Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie:Schäuble für klares Lohnplus

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Mitten in den Tarifverhandlungen für Millionen Industrie-Beschäftigte gibt Finanzminister Schäuble den Gewerkschaften Rückhalt. Deutschland habe seine Hausaufgaben gemacht und könne sich höhere Tarifabschlüsse besser leisten als andere Staaten.

Simone Boehringer

Wolfgang Schäuble ist in der Regierung vor allem für die Zahlen zuständig. Der Bundesfinanzminister muss den Überblick über Steuereinnahmen und Schulden haben und verhandelt mit den anderen Ressorts deren Budgets. Dass er sich jetzt in die aktuelle Lohndebatte in Deutschland einmischt, ausgerechnet im Vorzeigeland der Tarifautonomie, lässt aufhorchen. "Es ist in Ordnung, wenn bei uns die Löhne aktuell stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern", findet Schäuble und stärkt damit überraschend den Gewerkschaften den Rücken.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mischt sich in die Lohndebatte ein: ""Es ist in Ordnung, wenn bei uns die Löhne aktuell stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern" (Foto: dapd)

Deutschland habe seine Hausaufgaben gemacht und könne sich höhere Tarifabschlüsse besser leisten als andere Staaten. "Wir haben viele Jahre der Reformen hinter uns", sagt Schäuble dem Nachrichtenmagazin Focus (Montagsausgabe) - um sogleich etwas auf die Bremse zu treten: "Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht übertreiben. Das rechte Maß müssen wir wahren."

Was dieses rechte Maß sein soll, ist freilich sehr umstritten: Nach einem Jahrzehnt der Reallohnverluste wollen die Arbeitnehmer wieder stärker teilhaben an der verbesserten Situation vieler Unternehmen. Und die Gewerkschaften fordern Lohnerhöhungen wie lange nicht mehr. 6,5 Prozent plus für die 3,6 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie sollen es sein. Die Gewerkschaft IG BCE fordert sechs Prozent für die Beschäftigten der Chemieindustrie. Das ist mehr als das Doppelte der offiziellen Inflationsraten für Europa und beide Abschlüsse haben Vorbildcharakter.

IG Metall droht mit Warnstreiks

Um ihre Forderung durchzusetzen, will die IG Metall in dieser Woche zu Warnstreiks aufrufen. "Die Arbeitgeber haben uns monatelang hängenlassen. Jetzt entlädt sich der Frust der Arbeitnehmer", sagt Jörg Hofmann im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Entweder wir kooperieren..., oder wir machen als IG Metall künftig wieder eine Fundamentalopposition", gießt der Stuttgarter Bezirksleiter und Verhandlungsführer der Gewerkschaft im Südwesten weiter Öl ins Feuer. Prominent assistiert wird ihm von IG-Metall-Chef Berthold Huber: Das bisherige Angebot der Arbeitgeber - drei Prozent mehr Lohn für 14 Monate - sei ein "Witz". "Die Metall- und Elektroindustrie ist eine Hochleistungsökonomie. Das muss sich in den Löhnen niederschlagen", diktiert Huber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und wiederholt die Forderung, dass bis Pfingsten eine Einigung erzielt werden müsse. Andernfalls werde es einen Streik "auf breiter Front" geben.

Die Arbeitgeber fordern die Gewerkschaft dringend zum Entgegenkommen auf. "Wir erwarten von der IG Metall, dass sie Wege signalisiert, auf denen wir den Tarifkonflikt lösen können", sagt Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser. "Sie kann sich jetzt nicht wie ein römischer Kaiser gebärden, der nur den Daumen hebt oder senkt, während wir Arbeitgeber uns in der Arena abquälen."

Vom "kranken Mann" zur treibenden Kraft Europas

Der Schlagabtausch um die Löhne und Gehälter bekommt nicht nur durch die Einmischung des Bundesfinanzministers eine besondere Brisanz. Auch in Brüssel blickt man gespannt auf die Konjunkturlokomotive Europas, kann doch Berlin sich die wachsenden Solidarbeiträge und Garantien für andere EU-Staaten nur leisten, solange die Wirtschaftskraft ausreicht, um die gestiegenen Lasten auch zu schultern. Die Löhne spielen dabei für die Wettbewerbsfähigkeit eine zentrale Rolle. Weil die Arbeitnehmer in Deutschland sich ein Jahrzehnt mit ihren Forderungen zurückgehalten haben, wurde aus dem "kranken Mann" wieder die treibende Kraft Europas.

Sollten die Bürger aber in der Mehrheit das Gefühl bekommen, dauerhaft zu kurz zu kommen in Europa, hat die Bundesregierung ein ernsthaftes innenpolitisches Problem, ist doch ein Teil der Überschuldung in Griechenland und anderen Südländern auch der Tatsache geschuldet, dass dort die Löhne eben, anders als in Deutschland, bis vor wenigen Jahren sehr stark gestiegen sind.

Bei Metallern wie auch in der Chemieindustrie gehen die Tarifverhandlungen diese Woche in eine heiße Phase, bei den Metallern ist es ab Dienstag bereits die vierte Verhandlungsrunde. Die Brisanz kennt auch Finanzminister Schäuble. Er versucht zu beschwichtigen, indem er das Thema am liebsten auf einer höheren Ebene diskutiert. "Lohnsteigerungen tragen auch zum Abbau von Ungleichgewichten innerhalb Europas bei", äußert er, ganz Europäer - und vielleicht auch ein bisschen Wahlkämpfer.

© SZ vom 07.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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