Tarifverhandlungen:"Eine Provokation"

Viele Gewerkschaften sind über die Angebote der Arbeitgeber in den großen Tarifrunden empört, die manchmal sogar unter einem Prozentpunkt liegen.

Von Detlef Esslinger

In den großen Tarifrunden dieses Frühjahrs haben die Arbeitgeber ihre Angebote vorgelegt, nun suchen die Gewerkschaften einen Umgang damit. Am Mittwoch präsentierten die Metallarbeitgeber von Niedersachsen der IG Metall dieselbe Offerte, die bereits ihre Kollegen in anderen Regionen der Gewerkschaft vorgelegt hatten: 0,9 Prozent mehr Gehalt sowie eine Einmalzahlung von 0,3 Prozent eines Monatsgehalts, bei einer Laufzeit von einem Jahr. "Das ist keine Basis für konstruktive Verhandlungen", sagte anschließend der niedersächsische IG-Metall-Chef Hartmut Meine, "das ist seit Jahrzehnten das niedrigste Angebot der Arbeitgeber."

Ähnlich reagierten in den vergangenen Tagen auch andere Gewerkschafter. "Eine Provokation", mit diesem Wort kommentierten sowohl die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) das Angebot für den öffentlichen Dienst als auch die IG Bau das Angebot für die Baubranche. Bund und Kommunen hatten drei Prozent mehr Geld geboten, allerdings verteilt auf zwei Jahre. Die Bau-Arbeitgeber hatten 2,6 Prozent für Westdeutschland und vier Prozent für den Osten geboten, ebenfalls jeweils verteilt auf zwei Jahre.

Ein Grund für karge Angebote ist die niedrige Inflation von 0,25 Prozent

Dass die Angebote diesmal besonders niedrig ausfallen, bestreiten Arbeitgeber nicht. Sie greifen dabei zum Teil zu Argumenten, die Besonderheiten ihrer Branchen belegen sollen. Sie haben aber auch ein gemeinsames Argument: die niedrige Inflation. Sie beträgt derzeit 0,3 Prozent. Die Arbeitgeber sagen, jede Lohnerhöhung bedeute daher nicht nur nominal, sondern auch real mehr Geld - anders als früher, als der Nominallohn schon deshalb steigen musste, damit der Reallohn zumindest konstant blieb.

Vorerst haben die Gewerkschafter beschlossen, die 0,3-Prozent-Inflation zu ignorieren. Verdi und GEW sagten am Dienstag, die Arbeitgeber böten ihren Beschäftigten faktisch Reallohnverluste an. Sie bezogen sich dabei auf die Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforscher vom Herbst, in denen sie für 2016 eine Inflation von 1,1 Prozent vorhersagten. Da das Drei-Prozent-Angebot der Arbeitgeber für 2016 nur eine Erhöhung von einem Prozent vorsah, hätte dies in der Tat ein Reallohnverlust bedeutet. Die Bundesbank senkte aber neulich ihre Prognose auf 0,25 Prozent, die neue Gemeinschaftsdiagnose erscheint an diesem Donnerstag. Auch Arbeitgeber räumen ein, dass die Lage für Gewerkshafter "psychologisch schwierig" sei: Wem gelinge es schon, seiner Klientel klarzumachen, dass eine einprozentige Erhöhung nun mehr wert ist als eine um 2,5 Prozent vor vier Jahren? Damals betrug die Inflation zwei Prozent.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: