Tarifverhandlungen bei der Bahn:Mit Elan in die Sackgasse

Übergriffe, Tätlichkeiten, harte juristische Bandagen: Der Konflikt bei der Bahn wird nicht mehr nur auf der juristischen, sondern auch auf der menschlichen Ebene ausgetragen.

Detlef Esslinger und Klaus Ott

Günter Kirchheim, Chef des Konzernbetriebsrats der Deutschen Bahn (DB), hat einen Brief an Margret Suckale, die im DB-Vorstand fürs Personal zuständig ist, geschrieben - und darin von üblen Auseinandersetzungen berichtet, von Übergriffen und Tätlichkeiten.

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(Foto: Foto: dpa)

"Es kann nicht angehen, dass Mitarbeiter aus Angst vor Übergriffen nicht wagen, ihre Arbeitsplätze einzunehmen oder die Sozialräume zu betreten", schrieb Kirchheim am Mittwoch dieser Woche an Suckale. Unter Übergriffen verstand er Beleidigungen, unter Tätlichkeiten die "Anwendung körperlicher Gewalt". Er nannte jedoch keine Beispiele.

Ist dies nur ein abgekartetes Spiel zwischen dem Briefeschreiber und der Empfängerin, mit der die Lokführer-Gewerkschaft GDL in die unseriöse, die militante Ecke gedrängt werden soll? Offensichtlich ist jedenfalls, dass der Tarifkonflikt längst nicht mehr nur zwischen dem Unternehmen und der GDL ausgetragen wird, sondern auch zwischen den Mitarbeitern.

"Zunehmend aggressiver gegenüber unseren Leuten"

Fast einen Monat ist es nun schon her, dass sich die DGB-Gewerkschaft Transnet sowie die Eisenbahner-Gewerkschaft GDBA (die zum Beamtenbund gehört) mit der Bahn auf 4,5 Prozent Lohnerhöhung geeinigt haben - und beide Gewerkschaften versuchen, die GDL als unsolidarisch erscheinen zu lassen. Kirchheim gehört der Transnet an.

Die hat am Freitag eine Unterschriftenaktion bei den Bahnmitarbeitern gestartet. Ihre Parole: "So nicht, GDL!" Und bei der GDBA wird der Konkurrenz von den Lokführern vorgeworfen, sie trete "zunehmend aggressiver gegenüber unseren Leuten" auf. Zumindest sind die Diskussionen unter den Eisenbahnern nichts für empfindsame Seelen. Wobei die GDL den Verdacht, Streikbrecher mit Gewalt von der Arbeit abhalten zu wollen, vehement zurückweist.

Mit solchen - unbewiesenen - Vorwürfen solle die GDL unter Druck gesetzt werden, sagt Mario Reiß, Betriebsrat beim Güterverkehr in Leipzig. Der GDL-Funktionär nimmt für seine Gewerkschaft das Recht an Anspruch, "mit Streikbrechern zu reden", um sie davon abzuhalten, "sich missbrauchen zu lassen." Die GDL achtet darauf, sich dabei nicht angreifbar zu machen.

Gefälschtes Flugblatt im Umlauf

"Hindert arbeitswillige Mitarbeiter nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln (Gewalt) am Zutritt", heißt es in ihren Verhaltensrichtlinien für das Fahrpersonal. Von diesem Flugblatt sind mittlerweile Fälschungen im Umlauf - das Wort "nicht" fehlt darin. Es kann sich jeder selbst ausmalen, wer wiederum an dieser Form der Diskreditierung ein Interesse hat.

Unterdessen scheint der Elan der Bahn etwas nachgelassen zu haben, in dem Konflikt mit juristischen Mitteln zu punkten; möglicherweise hängt dies auch mit dem Versuch vom Freitag zusammen, doch noch eine Verhandlungslösung zu schaffen. Zuvor hatte sie bei Arbeitsgerichten im ganzen Land versucht, sowohl die Urabstimmung der GDL über den Streik als auch den Streik als solchen verbieten zu lassen. Erfolg hatte sie damit nur beim Arbeitsgericht Düsseldorf.

Richter Markus Krause begründete sein Verbot unter anderem damit, dass es zwischen Bahn und GDL keine Kampfparität gebe. "Der Arbeitgeber könnte auf einen Streik nicht selbst mit Arbeitskampfmitteln angemessen reagieren, weil er Mitglieder der konkurrierenden Gewerkschaften nicht aussperren dürfte." Der Richter dachte damit offensichtlich an Eskalationsstufen, die nicht einmal der Bahnchef im Sinn hatte.

Nur Lokführer der "DB Regio NRW" dürfen nicht streiken

Vor allen anderen Arbeitsgerichten drang das Unternehmen nicht durch. In Flensburg, Hagen, Stuttgart und Mainz erklärten sich die Richter für örtlich unzuständig und verwiesen den Streit nach Frankfurt am Main, weil dort die GDL ihren Sitz hat. Die Bahn kündigte daraufhin an, "unverzüglich" ihre Anträge in Frankfurt neu einzureichen - am Freitagmittag, zu Büroschluss, lag dort jedoch nur ein einziger vor, und zwar von der Tochterfirma "DB Autozug". Über ihn wird am kommenden Montag um zehn Uhr verhandelt.

Sollte der Antrag dort zurückgewiesen werden und sollte es dabei bleiben, dass die GDL das Gesprächsangebot der Bahn ausschlägt, dann dürfte es von Mittwoch an bundesweit Streiks geben. Verboten wäre die Arbeitsniederlegung dann nur den Beschäftigten der Bahn-Tochter "DB Regio NRW", die vom Düsseldorfer Richter Krause Recht bekommen hat.

S-Bahn, Regionalbahn und Regionalexpress wären in dem Bundesland also nicht beeinträchtigt - bei IC und ICE hingegen wäre mit Ausfällen zu rechnen. Wie überall in Deutschland.

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