Tarifstreit bei der Bahn:Showdown in Chemnitz

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Die GDL darf den gesamten Bahnverkehr bestreiken. sueddeutsche.de fasst die aktuellen Positionen der Beteiligten zusammen.

Hans von der Hagen

Wen vertritt die GDL?

Insgesamt gibt es bei der Bahn rund 20.000 Lokführer und 12.000 Zugbegleiter. Da ein Teil der Lokführer und Zugbegleiter verbeamtet ist, vertritt die GDL insgesamt rund 20.000 Arbeitnehmer bei der Bahn.

Was fordern die Lokführer?

Die Lokführer wollen vor allem einen "echten" eigenen Tarifvertrag. Zwar haben schon jetzt die Lokführer einen eigenen Vertrag, dieser ist aber in das Tarifgefüge der Bahn eingebunden und wird mit Transnet abgestimmt. In dem neuen Tarifvertrag soll für Lokführer und Zugbegleiter ein höheres Gehalt festgeschrieben werden. Offiziell liegt die Forderung noch bei 31 Prozent. Allerdings sagt die GDL, dass diese "nach der ersten Verhandlungsrunde vom Tisch" seien. Zudem soll die Arbeitszeit um eine Stunde auf dann 40 Stunden verkürzt werden.

Was bietet die Bahn?

Für 2007 eine Einmalzahlung von 600 Euro sowie 1400 Euro als Bezahlung für Überstunden. Umgerechnet würden damit rund 100 Überstunden vergütet. Für 2008 soll das Gehalt um 4,5 Prozent erhöht werden, zusätzlich sollen die Lokführer zwei Stunden bezahlt mehr arbeiten. Dies würde einer Erhöhung um 5,5 Prozent entsprechen. Insgesamt geht es also um eine Einmalzahlung von 2000 Euro sowie eine Gehaltserhöhung um zehn Prozent.

Was kostet das?

Die Bahn beziffert die zusätzlichen Kosten auf 250 Millionen Euro. Rechnerisch sind es allerdings deutlich weniger: Wenn 20.000 Beschäftigte im Schnitt 500 Euro zusätzlich erhielten, lägen die Kosten bei zehn Millionen Euro jährlich.

Warum fürchtet die Bahn den Tarifvertrag für die Lokführer?

Sie sieht die Tarifeinheit im Unternehmen verletzt. Künftig würde es Beschäftigte erster und zweiter Klasse geben. Außerdem würde der Vertrag die Personalkosten in die Höhe treiben.

Worüber hat das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG) verhandelt?

Das LAG verhandelte über die Berufungen von GDL und Bahn gegen einstweilige Verfügungen des Arbeitsgerichts Chemnitz, das am 5. Oktober Streiks im Fern- und Güterverkehr gestoppt, im Nahverkehr aber erlaubt hatte.

Wie ist das Urteil ausgefallen?

Die Bahn darf den gesamten Schienenverkehr bestreiken.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

In den geplanten Streiks sei "keine Unverhältnismäßigkeit" zu erkennen. Das Arbeitsgericht Chemnitz hatte Anfang Oktober in erster Instanz Streiks der Lokführer im Güter- und Fernverkehr per Eilverfahren als "unverhältnismäßig" untersagt. In Deutschland gebe es ein Grundrecht auf Streik, urteilten nun die Landesrichter. Dieses dürfe nicht ohne weiteres beschränkt werden.

Was ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit?

Dahinter verbirgt sich eine Abwägung der Interessen von GDL und Bahn: Auf der einen Seite steht das - durch Artikel 9 des Grundgesetzes geschützte - Recht, Forderungen mit Streiks zu untermauern. Auf der Gegenseite stehen die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens sowie die Folgen für Pendler und Wirtschaft. Das Arbeitsgericht Chemnitz hatte Anfang Oktober geurteilt, dass durch eine unbegrenzte Arbeitsniederlegung Unbeteiligte "in unerträglicher Weise in Mitleidenschaft gezogen werden". Als besonders gravierend betrachteten die Richter dabei die möglichen Folgen für den europaweit vernetzten Güterverkehr. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gilt unter Juristen als schwer fassbar und auch nach dem Chemnitzer Urteil war unklar, was verhältnismäßig ist und was nicht. Verboten ist lediglich der sogenannte Vernichtungsstreik, bei dem das betroffene Unternehmen pleite gehen würde. Experten sagen: Die Richter hätten "ein bisschen Streik erlaubt". Und das sähe das Gesetz nicht vor. Grundsätzlich gilt: Ein Streik darf Schaden anrichten, sonst würde er nicht wirken.

Ist das Urteil bindend?

Ja, eine höhere Instanz gibt es im einstweiligen Rechtsschutz nicht. Da allerdings das Recht auf Streik ein Grundrecht betrifft, könnte die Bahn nach dem Urteil vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Was passiert, wenn der Fall vor das Verfassungsgericht geht?

Wenn der Fall als Eilverfahren eingestuft wird, könnten die Verfassungsrichter in den nächsten vier Monaten eine Entscheidung über das Recht auf Streik treffen. Ansonsten könnte es weitaus länger dauern.

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