Lohnrunde:Vom Kraftausdruck zum Kompromiss

Thyssenkrupp - am Hochofen

Ein Arbeiter nimmt am Hochofen 2 im Werk Schwelgern von Thyssen-Krupp eine Probe. Hier wird Roheisen produziert.

(Foto: Rolf Vennenbernd/picture alliance/dpa)

Nach zähen Monaten setzt die IG Metall mehr Geld für die größte Industriebranche durch. Aber auch die Arbeitgeber feiern Erfolge.

Von Alexander Hagelüken und Benedikt Peters, München

Am Anfang dieser Lohnrunde wagte ein Beteiligter vertraulich eine Prognose, die nicht frei von Kraftausdrücken war: "Wenn's der Branche scheiße geht, muss Nordrhein-Westfalen den Abschluss machen." So kommt es nun tatsächlich. Mitten in der Corona-Krise sind es Arbeitgeber und Gewerkschaft des an schwierigen Wandel gewöhnten größten Bundeslandes, die den Durchbruch schaffen, nicht Baden-Württemberg oder Bayern. Nach zähen Monaten erreichten sie eine Tarifeinigung, die auf alle vier Millionen Metaller in Deutschland übertragen werden soll.

Die Verhandlungsführer im Westen, Arndt Kirchhoff von den Arbeitgebern und Knut Giesler von der IG Metall, arbeiteten schon öfter gut zusammen, wenn es brenzlig wurde. Von Anfang an schlugen sie versöhnlichere Töne an als etwa Daimler-Vorstand Wilfried Porth, Arbeitgeberchef in Baden-Württemberg. Als die Pandemie ausbrach, hatten Kirchhoff und Giesler im Frühjahr 2020 einen Notabschluss mit kleiner Zahlung vereinbart.

Richtig entspannt hat sich die Lage seitdem nicht. Unternehmer wie Mitarbeiter der größten deutschen Industriebranche sind verunsichert. Zwar schreiben manche Firmen Gewinne, doch andere sind nicht erst seit Corona in der Krise: Der historische Umbruch weg vom Verbrennungsmotor erschüttert die Autobranche, in der 40 Prozent der Beschäftigten um ihren Job fürchten.

In den goldenen 2010er-Jahren waren mehr als 600 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Doch davon ist schon jeder vierte wieder verschwunden. Hunderttausende weitere gelten als bedroht. Die goldenen Jahre sind vorbei.

Entsprechend lange dauerte es, bis ein Ergebnis stand, das beide Seiten als Erfolg verkaufen können. Sieben Mal trafen sich die Verhandler in Nordrhein-Westfalen seit Dezember. In der Nacht auf Dienstag dauerte es bis fünf Uhr morgens, bis der Tarifvertrag unterzeichnet war. "Inmitten einer der schwersten Krisen der Bundesrepublik haben wir erreicht, dass die Krisenfolgen fair verteilt und nicht einseitig bei den Arbeitnehmern abgeladen werden", sagt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.

Die IG Metall hat für die Beschäftigten für 2021 eine einmalige Corona-Prämie von 500 Euro herausgeholt. Hinzu kommt später eine jährliche Sonderzahlung. Für 2022 liegt sie bei 18 Prozent eines Monatsgehalts, ab 2023 bei 28 Prozent. Mit dieser Sonderzahlung gelingt der IG Metall auch ein Teillohnausgleich für die Vier-Tage-Woche, die sie vehement gefordert hatte, um Entlassungen zu verhindern. Wenn Firmen im Umbruch freiwillig die Arbeitszeit von normalerweise 35 Stunden auf vier Tage oder 32 Stunden reduzieren, verwenden sie die Zahlung, um den ausfallenden Lohn zu kompensieren. Zusammen mit anderen Zahlungen lassen sich zwei von drei Stunden Lohnausfall ersetzen.

Die Arbeitgeber erreichten ihr Ziel, 2021 eine klassische prozentuale Lohnerhöhung zu verhindern. Sie verbuchen außerdem positiv, dass der Tarifvertrag bis September 2022 gilt, also relativ lange. Dies gibt Betrieben Planungssicherheit. Außerdem setzten sie durch, dass die Bezahlung erstmals automatisch nach Lage der Firma gekürzt werden kann. So dürfen die Firmen ein früher vereinbartes jährliches Zusatzgeld von 400 Euro streichen, wenn ihre Umsatzrendite unter 2,3 Prozent sinkt. Wer dieses Jahr Probleme hat, hat also trotz Corona-Prämie nicht wirklich zusätzliche Kosten. "Wir haben das wichtige Ziel erreicht, dass die Kosten für Betriebe nicht steigen, bei denen es gerade schlecht läuft", sagt Bertram Brossardt, Geschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw).

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann betonte, die Kürzungsregel gelte zunächst nur für 2021. "Wenn wir sehen, dass da zu willkürlich gehandelt wird, ziehen wir Konsequenzen." Da der Tarifvertrag bis September 2022 läuft, hat die Gewerkschaft die Möglichkeit, für die Zeit danach mehr Geld herauszuholen. Darauf setzt Hofmann wegen des von ihm erwarteten Aufschwungs.

Historischer Umbruch sorgt für Unsicherheit

Die Sorge vor Jobverlusten überschattete die Runde von Anfang an. Die Arbeitgeber argumentierten, Arbeitsplätze ließen sich nur durch niedrigere Kosten erhalten. "Viele Unternehmen haben Verlagerungspläne ins Ausland in der Schublade", sagte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. "Wenn sich die Wettbewerbssituation nicht bessert, müssen wir damit rechnen, dass weitere Hunderttausende Jobs ins Ausland verlagert werden." Die Arbeitgeber forderten deshalb lange eine Nullrunde bei den Löhnen dieses Jahr und zusätzliche Kostensenkungen.

Die IG Metall verwies darauf, dass es zahlreichen Betrieben wieder gut gehe - und Sektoren wie die Medizintechnik gar keine Einbußen hatten. Außerdem seien höhere Löhne nötig, um die Volkswirtschaft anzukurbeln. So begründete die Gewerkschaft ihre ursprüngliche Forderung nach vier Prozent mehr Geld - aufgeteilt in eine allgemeine Lohnerhöhung und einen Lohnausgleich für jene Beschäftigten, die wegen einer Vier-Tage-Woche weniger arbeiten. Diese sehr unterschiedlichen Positionen zogen die Tarifrunde in die Länge. Auch konnten sich die Arbeitgeber zunächst nicht mit der Idee der IG Metall anfreunden, dass sich Manager und Arbeitnehmervertreter im Betrieb zusammensetzen, um Konzepte für den Wandel zu entwickeln. Diese sogenannten Zukunftstarifverträge sind nun aber Teil des Abschlusses.

Die anderen Regionen werden den Tarifvertrag wohl im Grundsatz übernehmen

Es ist erst die zweite bedeutende Tarifrunde, die unter Corona-Bedingungen stattfindet - nach jener für den Öffentlichen Dienst im vergangenen Herbst. Die Pandemie wirkte sich auf die Warnstreiks aus: Anstatt bei den üblichen Kundgebungen trafen sich die Streikenden zu Livestreams oder Autokorsos.

Wegen der Corona-Krise und den Umwälzungen in der Autobranche gibt es deutlich weniger Geld als in früheren Jahren. Rechnet man die nun verhandelte jährliche Sonderzahlung in eine monatliche Erhöhung um, liegt diese nach Gewerkschaftsangaben bei 2,3 Prozent. Beide Seiten hatten angestrebt, sich noch vor Ostern zu einigen. Die Unternehmen beklagten Einbußen durch die Warnstreiks. Auch die steigenden Infektionen machten Druck. "Es hätte wenig Verständnis in der Gesellschaft gegeben, wenn wir in eine tiefe Tarifauseinandersetzung gegangen wären", sagt vbw-Chef Brossardt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: