Tarifforderung der IG Metall:Was ist ein gerechter Lohn?

Auch wenn die Wirtschaft vor dem Abschwung steht - die IG Metall braucht einen hohen Abschluss. IG-Metall-Chef Huber legt darum die Gerechtigkeits-Platte auf, denn die zieht immer.

Detlef Esslinger

Große Worte hat der Vorsitzende gesprochen, drunter geht es bei der Gewerkschaft nun mal nicht. Es gehe ihm nicht bloß um höhere Einkommen für die Beschäftigten, sagt Berthold Huber, der Chef der IG Metall, es gehe ihm um mehr: um Gerechtigkeit. Ach je.

Tarifrunde IG Metall, AP

Die Metaller wollen deutlich mehr Lohn - notfalls gehen sie auch mit Trillerpfeifen auf die Straße.

(Foto: Foto: AP)

Es gehört zu den Ritualen einer Tarifrunde, so aufzutreten. Es gehört zum Anforderungsprofil eines Gewerkschaftsführers, die Vergangenheit schlechtzureden. Und jeder von ihnen beherrscht die Kunst, den Anspruch zu erheben, für eine höhere Sache unterwegs zu sein; "Gerechtigkeit" ist etwas, das sich immer gut anhört. "Jammern ist der Gruß der Kaufleute", lautet ein Sprichwort; es lässt sich auch auf Gewerkschafter anwenden. Schon mal einen Metaller erlebt, der satt und zufrieden in Verhandlungen gehen würde? Er bräuchte gar nicht erst zu kommen.

Bis zu acht Prozent mehr Geld will die Gewerkschaft herausschlagen. Sie behauptet, nur die Unternehmen hätten bisher vom Aufschwung profitiert, die Beschäftigten hingegen kaum etwas davon gehabt. Die Zahlen, mit denen die IG Metall und ihr nahestehende Wissenschaftler den Anspruch begründen, sind auf den ersten Blick beeindruckend. In der Metall- und Elektroindustrie sind die Einkommen in den vergangenen fünf Jahren zwar um 16 Prozent gestiegen, die Gewinne der Unternehmen aber um 220 Prozent. Und betrachtet man die Wirtschaft insgesamt, berücksichtigt dabei auch noch die Inflationsrate, ist das Ergebnis sogar deprimierend. Die Nettolöhne sind seit Ende 2004 nicht um 16 und auch nicht um acht, ja nicht einmal um zwei Prozent gestiegen - sondern um mehr als drei Prozent gesunken. Zugegeben, eine Gewerkschaft ist nicht dazu da, solch eine Entwicklung toll zu finden.

130.000 zusätzliche Jobs

Aber was ist das: ein gerechter Lohn? Eine allgemein akzeptierte Definition gibt es nicht, kann es auch wahrscheinlich gar nicht geben. Wäre es zum Beispiel nur gerecht, die Löhne an die Gewinne zu koppeln? Darauf läuft der 220-Prozent-Hinweis der IG Metall ja hinaus. Von der Idee würden die Beschäftigten spätestens dann nicht mehr begeistert sein, wenn sie im Abschwung erleben müssen, wie ihre Firma Verluste macht. Und bedeutet es eine Ungerechtigkeit, wenn man am Ende eines Aufschwungs feststellen muss, dass die Reallöhne leider gesunken sind? Ärgerlich ist es, unbestritten. Aber dies ist doch nur die eine Rechnung. Die andere ist die, die eine Gewerkschaft eher selten anstellt - weil sie ja nicht die Interessen derjenigen im Blick hat, die nicht zu ihrer Klientel gehören: die Arbeitslosen.

Franz Müntefering hat den Sozialdemokraten, für die das Glas auch immer nur halb leer ist, eben erst zugerufen, dass es inzwischen zwei Millionen weniger Arbeitslose gibt als vor zweieinhalb Jahren. Das gehört ebenfalls zur Bilanz des Aufschwungs. Gewerkschafter tun immer so, als bedeuteten 220 Prozent mehr Gewinn in erster Linie 220 Prozent mehr Zigarren für Bosse. Die Gewinne ermöglichen aber vor allem Investitionen und Arbeitsplätze. In der Metallindustrie werden in diesem Jahr 130.000 Menschen zusätzlich einen Job finden.

Es geht in dieser Tarifrunde - wie in allen anderen - weniger um Gerechtigkeit als um Interessenausgleich und Machtkampf: Wie viel Prozent Einkommenserhöhung ist die IG Metall imstande, durchzusetzen? Sie steht unter Zugzwang, weil andere Gewerkschaften in der ersten Hälfte des Jahres relativ hohe Abschlüsse erzielt haben - zu einer Zeit, als allgemein noch Aufschwung-Stimmung herrschte. Sie wird von ihren Mitgliedern auch an diesen Abschlüssen gemessen, obwohl die Wirtschaftsdaten nun schlechter sind. Also versucht der Vorsitzende Huber, die Öffentlichkeit für das Anliegen seiner Klientel zu gewinnen, indem er die Gerechtigkeits-Platte auflegt. Dass Gerechtigkeit aber vor allem eine Frage der jeweiligen Perspektive ist, weiß er wohl selbst am besten.

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