Süddeutsche Zeitung

Tarifeinigungen:Zu viel Sieg schadet nur

In der Chemie-Industrie gab es einen Tarif-Abschluss, mit dem beide Seiten gut leben können. Die IG Metall aber hat in ihrer Branche nur vordergründig gewonnen: Denn Tarife, die Tarifflucht fördern, nützen einer Gewerkschaft wenig.

Kommentar von Detlef Esslinger

Jetzt sind drei große Tarifrunden dieses Jahres abgeschlossen, fünf Millionen Beschäftigte wissen, wie viel Geld sie mehr bekommen werden - und es lässt sich auch ein Fazit ziehen, wer gewonnen und wer verloren hat.

Ein solches Fazit ist jedoch eigentlich unerfreulich. Denn Tarifverhandlungen sind keine Fußballendspiele, die Sieger und Verlierer brauchen. Eine Tarifrunde ist immer danach zu beurteilen, ob sich beide Seiten als siegreich empfinden können; andernfalls gibt es nur Erfolge, die der vermeintliche Sieger noch bereuen wird.

In der Chemie-Industrie können Gewerkschafter und Arbeitgeber beide nun anführen, so viel wie möglich herausgeholt zu haben: Die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) darf behaupten, mehr als die Hälfte der Lohnforderung durchgesetzt zu haben. Die Arbeitgeber können darauf hinweisen, dass ihnen eine Schonung von Firmen gelungen ist, denen es weniger gut geht. In der Tarifrunde der Länder sowie in jener der Metall- und Elektroindustrie ist der Ausgang hingegen ein anderer. Dort gibt es zwei klare Verlierer - und einen, der es bloß noch nicht weiß.

In der Metallindustrie, wo der Abschluss im Februar zustande kam, haben die Arbeitgeber klar verloren. Sie mussten einem Plus von 3,4 Prozent zustimmen, das vielen Mittelständlern zu hoch war; zumal der Vertrag keine Möglichkeit vorsieht, Tariferhöhungen zu verschieben. Nur die pure Angst vor unbefristeten Streiks hat die Arbeitgeber zur Unterschrift bewegt. Es sage nun niemand: Egal, Unterschrift ist Unterschrift. Die IG Metall mag stolz auf ihre Kampfkraft sein. Aber was ist das für ein Sieg, der reihenweise Firmenchefs ins Grübeln bringt, ob sie den Arbeitgeberverband verlassen sollen?

Die GEW wurde von sich selbst besiegt

Jedenfalls hat es das seit Langem nicht mehr gegeben, dass Arbeitgeber nach einem Tarifabschluss wochenlang und öffentlich damit hadern. Diesmal ist dies so. Tarife, die Tarifflucht fördern, nützen einer Gewerkschaft wenig. Auch nach der Tarifrunde der Länder gibt es einen eindeutigen Verlierer. Das ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) - nur mit dem Unterschied, dass sie nicht von anderen, sondern von sich selbst besiegt wurde.

Man mag es ja mit Recht für unzumutbar halten, dass angestellte Lehrer mehrere Hundert Euro weniger im Monat verdienen als Kollegen, die Beamte sind. Aber das hat noch nirgendwo geklappt: einen skandalösen Zustand mit einem Mal in einen idealen zu verwandeln. Es geht immer nur schrittweise.

Der Beamtenbund hat am Wochenende zugestimmt, mit einem Zuschlag von 30 Euro bei den angestellten Lehrern die Angleichung zu beginnen; die GEW jedoch nicht. Sie sucht nun nach einer eigenen Strategie, dürfte die aber nicht finden. In keinem Bundesland ist sie stark genug, um alleine per Streik eine Schule lahmzulegen. Sie hat sich in den Schmollwinkel geschossen. Das Fazit dieser Frühjahrs-Tarifrunden ist: Eine Gewerkschaft, die zu viel will, verliert. Bei der GEW ist es offensichtlich, die IG Metall wird es noch merken.

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SZ vom 30.03.2015/dayk
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