Öffentlicher Dienst:Die Macht der Pflegerin

Pflegeserie - Allgemeine Features

Der neue Tarifvertrag sieht unter anderem vor, dass die Grundgehälter aller Pflegerinnen und Pfleger um 120 Euro steigen.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Wie unterschiedlich Kommunen und Länder ihre Angestellten bezahlten, war ungerecht und empörend. Aber jetzt stellen nicht mehr sie die Bedingungen, sondern die Fachkräfte.

Kommentar von Detlef Esslinger

Jeder ist erfolgreicher, wenn er nur seiner eigenen Kraft vertraut und diesen lästigen Ausgleich von Interessen zwischen vielen Beteiligten los ist - diese Annahme hat nicht erst in den vergangenen drei, vier Jahren Karriere gemacht, und nicht nur Populisten erliegen ihr. Tarifpolitik ist scheinbar ein Feld für Taschenrechnertypen und Wortmonsterliebhaber, für Menschen, die noch nachts um drei den Unterschied zwischen Entgeltgruppe und Entgeltstufe wissen; tatsächlich aber ist Tarifpolitik in Deutschland auch ein Feld, auf dem schon vor anderthalb Jahrzehnten die Devise "Jeder für sich alleine" höchst unscheinbar zur Anwendung kam.

Weil den Ländern damals die gemeinsamen Verhandlungen mit Bund und Kommunen zu teuer wurden, führen sie seit 2006 ihre Tarifrunden lieber separat. Und weil zudem das Land Hessen sich für besonders stark hält, will es nicht einmal mehr dieser Gemeinschaft vertrauen. Es verhandelt auf eigene Faust. 13 Jahre lang ging das irgendwie gut. Der Tarifabschluss, auf den sich 15 Länder mit den Gewerkschaften geeinigt haben, zeigt: Diese Zeit geht zu Ende.

Seine Aussagekraft erschöpft sich nicht darin, dass die Gehälter von einer Million Arbeitnehmern in drei Schritten um acht Prozent erhöht werden. Interessant wird dieser Wert durch den Vergleich. Vor einem Jahr wurde der derzeit gültige Tarifvertrag für die Arbeitnehmer von Bund und Kommunen vereinbart. Er enthielt ein Plus von 7,5 Prozent. Die Länder haben also etwas teurer abgeschnitten. Und was haben sie dafür bekommen? Ein bisschen mehr Planungssicherheit als Bund und Kommunen: Deren Tarifvertrag läuft 30 Monate, der der Länder 33 Monate. Stets war es den Ländern wichtig, jeweils im Abstand von einem Jahr zu Bund und Kommunen zu verhandeln - um bloß nicht in den Sog von deren Tarifrunden zu kommen. Das ist ihnen auch diesmal wieder gelungen. Doch die Gewerkschaften haben ihnen den Preis dafür diktiert.

Es war noch nie sinnvoll, dass Pflegerinnen, Straßenwärter und IT-Fachleute nur deshalb weniger Geld bekommen, weil sie - zum Beispiel - beim Land Nordrhein-Westfalen angestellt waren anstatt bei der Stadt Köln. Es war ungerecht und empörend. Dass die Gewerkschaften die Lücke nun zwar nicht geschlossen, wohl aber verringert haben, liegt weniger an ihren Argumenten, sondern an einem Wandel auf dem Arbeitsmarkt.

Bisher war es so: Wenn der Arbeitgeber mächtiger ist als die Arbeitnehmer, hat sich's irgendwann zu Ende argumentiert. Die Machtverhältnisse kehren sich jedoch gerade um: In der nordrhein-westfälischen IT-Verwaltung sind 250 Stellen nicht besetzt, in einem Kindergartenbetrieb des Landes Berlin fehlen 100 Erzieher. Wenn es an Fachkräften mangelt, sind es die Fachkräfte, die die Bedingungen stellen können: die Pflegerinnen, Kindergärtnerinnen und all jene, die händeringend gesucht werden.

Woraus sich für die Bundesländer die Frage ergibt: Wozu noch separat verhandeln, ohne Bund und Kommunen? Hessen prüft bereits, in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückzukehren. Und wenn diese noch ein, zwei Runden wie die jetzige hinter sich hat, dürfte auch sie wieder die Vorzüge der alten Gemeinschaft mit Bund und Kommunen entdecken. Es gibt ohnehin nur einen öffentlichen Dienst.

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