Tansania:Größtes Naturschutzgebiet Afrikas steht vor der Zerstörung

Sieg für Elefanten - kein Elfenbeinverkauf

Elefanten in einem Nationalpark in Südafrika.

(Foto: dpa)

Nashörner werden zu Potenzmitteln verarbeitet, es entsteht eine Uran-Mine - Stück für Stück wird das Wildreservat in Tansania wirtschaftlichen Interessen geopfert.

Von Viola Schenz, Mchomoro

Mohammed Ali wirkt verlegen. Es kommt nicht oft vor, dass Fremde ihn besuchen. Fast verloren steht er vor seinem Schuppen: dürr und 1,60 Meter groß, zerschlissene braune Hose und graues Hemd, dem drei Knöpfe fehlen und auf dem längs in großen Lettern "Obama" steht, rote Wollmütze, Flipflops. Mit dem amerikanischen Boxer, nach dem ihn seine Eltern benannt haben, hat er äußerlich wenig gemein, aber stolz ist er auf den Namen natürlich schon. Und auf seinen Acker. Zuckerrohr, Mais, Maniok, Bananen baut Ali an. Zwischen den Ackerfurchen riesige Fußabdrücke, gestern trampelten wieder Elefanten übers Feld, machten sich an Zuckerrohr und Bananen zu schaffen.

Mohammed Ali, 51, zwei Ehefrauen, elf Kinder. Die Großfamilie kommt über die Runden, die Erträge reichen zum Sattwerden. Nach guten Ernten bleibt etwas übrig, um es auf dem Markt, ein paar Dutzend Kilometer westlich von Mchomoro, zu verkaufen. Aber wie hinbringen? Es gibt hier nur holprige Staubwege beziehungsweise Schlammpisten in der Regenzeit, einen Lastwagen kann sich Ali nicht leisten.

"Hier", das ist der Süden Tansanias, am Rand des Selous Wildreservats. Der Selous ist riesig, er erstreckt sich über ein Fünftel der Fläche Tansanias. Es ist das größte Schutzgebiet Afrikas, 51 000 Quadratkilometer und damit größer als Niedersachsen, gegründet 1896 von der deutschen Kolonialmacht. Die Vielfalt der Tierwelt ist ebenfalls riesig: Büffel, Elefanten, Gnus, Flusspferde, Löwen, Krokodile, Geparden, Antilopen, die weltgrößte Population an Wildhunden, mehr als 430 Vogelarten. Am Selous leben 1,2 Millionen Menschen. Es gibt keine Zäune in oder um den Park, die Tiere sollen ungehindert wandern können.

Zwischenzeitlich wurden pro Tag sechs Elefanten getötet

Noch zieht im Selous eine der größten Elefantenpopulationen Afrikas umher, aber Wilderei setzt ihr zu. Zwischen 1996 und 2014 war die Region die weltgrößte Ressource für geschmuggeltes Elfenbein. Zeitweilig wurden jeden Tag sechs Elefanten im Selous getötet, die Bestände in 40 Jahren um 90 Prozent dezimiert, so die Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF). Im Jahr 2014 zählte man noch 15 000 Tiere. Die Gewinnspanne für einen Stoßzahn zwischen der afrikanischen Savanne und dem asiatischen Schwarzmarkt liegt laut WWF bei 10 000 Dollar. Noch drastischer steht es um Rhinozerosse: Von einst 3000 Spitzmaulnashörnern leben noch 35 im Selous. Seit 2014 führt die Unesco daher Selous auf der Liste gefährdeter Welterbestätten.

Zerriebenes Nashorn gilt in Asien als Allheil- und Potenzmittel, kunstvoll geschnitzte Stoßzähne "schmücken" die Eingänge Pekinger Millionärsvillen, Stäbchen aus Elfenbein gehören zum "guten" Hausstand. Früher waren solche Statussymbole nur für die kleine wohlhabende Elite Asiens erschwinglich, inzwischen kann sich auch die wachsende neureiche Mittelschicht in China oder Vietnam solchen Luxus leisten. Nicht nur Elefanten werden gejagt, selbst Giraffenknochen sind inzwischen gefragt, auch ihnen sagt man Wunder nach. Oder Schuppentiere, oder junge Geparden, die bei arabischen Scheichs als Hauskätzchen beliebt sind, auf dem Schmuggelweg aber oft elendig verrecken.

Korruption ist aus Tansania nicht wegzudenken - nur so funktioniert der Schmuggel

Immerhin - Tansania nimmt Wildern und Schmuggeln ernst. An einem geheimen Ort in Daressalam bunkert die Regierung mehr als 100 Tonnen beschlagnahmtes Elfenbein als Beweismittel für anstehende Strafverfolgungen. Dort, in Tansanias größter Stadt, steht seit Ende September Yang Fenglan, "Ivory Queen" genannt, vor Gericht. Der 66 Jahre alten chinesischen Geschäftsfrau, die seit den 1970er-Jahren in Tansania lebt, wird vorgeworfen, einen der größten Elfenbeinschmuggelringe im Land zu leiten. Sie soll dafür verantwortlich sein, 700 Stoßzähne im Wert von 2,5 Millionen Dollar von Tansania nach Fernost verschifft zu haben. Um Material in solchen Massen zu bewegen, braucht es viele willige Helfer. Dorfvorsteher, Polizisten, Zöllner, Regierungsbeamte, ja selbst Mitarbeiter der chinesischen Botschaft sollen in den Schmuggel verstrickt sein.

Auf dem Korruptionsindex (2013) von Transparency International belegt Tansania Rang 119 von 175. "Die Wilderer sind hochgradig ausgerüstet und bewaffnet", sagt ein Mitarbeiter der Naturschutzorganisation Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF), "das kann nur durch Korruption bis in hohe politische Ämter funktionieren." Präsident John Magufuli, seit 2015 im Amt, geht dagegen vor. Als er vergangenen Dezember mal eben die gesamte Leitung der tansanischen Hafenbehörde wegen Korruption entließ, wurde er seinem Beinamen "Bulldozer" gerecht.

Tourismus als Mittel gegen die Wilderei - klingt gut, ist aber kompliziert

Fragt man den Bauern Ali nach seinem Verhältnis zu Elefanten, antwortet er: "Eigentlich mag ich sie. Aber wenn sie mir die Ernte zertrampeln, bin ich wütend." Männer wie Ali sollen nicht allzu wütend und zu Wilderern werden. Auf Initiative des WWF werden "Wildlife Management Areas" (WMA) gegründet. Zweck: Die lokale Bevölkerung soll Teile des geschützten Landes übernehmen und damit auch die Verantwortung dafür. Und es soll hier, in einer der ärmsten Regionen Tansanias, ja der Welt, sanfter Tourismus aufkommen, "non-consumptive", wie das in der Sprache der Naturschützer heißt. Man will Touristen anlocken, die Tiere beobachten und fotografieren, das Leben in Lodges genießen und dafür viel Geld hinlegen. Damit könnte sich hier wirtschaftlich was entwickeln.

Die Natur bliebe geschützt, die Bevölkerung fände Arbeit in den Lodges, Bauern Abnehmer für ihre Produkte. Sprich: Die Leute hätten Interesse an Wildschutz, wenn sie merken, dass ein lebender Elefant mehr bringt als die Stoßzähne eines toten. So ginge auch die Wilderei zurück.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Es gibt kaum Touristen, weil es kaum Infrastruktur gibt: keine Straßen, die sie hinbringen würden, kaum Lodges, die sie beherbergen würden. Der Selous ist schlichtweg zu riesig, zu abgelegen, zu bewaldet, um ihn touristisch zu erschließen. Wer nach Tansania reist, besucht die gut erschlossenen Naturwunder im Norden, Kilimandscharo, Ngorongoro, die offene Savanne der Serengeti, wo man die Tiere gut beobachten kann. Der deutsche Tierarzt und Wildschützer Bernhard Grzimek hat dort gewirkt, hat den Norden 1959 mit seinem Dokumentarfilm "Serengeti darf nicht sterben" weltberühmt gemacht. Dass die Zoologische Gesellschaft Frankfurt in Tansania seine afrikanische Zentrale hat, ist Grzimeks Vermächtnis.

Einige Bauern erlegen die Tiere, um ihre Familien zu ernähren

Gerade mal acht Prozent des Selous sind Fototouristen vorbehalten, im Norden. Der Großteil des Reservats, vor allem der Süden, wird für Jagdtouristen genutzt und ist in 42 Konzessionen aufgeteilt, die an Jagdpächter vergeben sind. Die Gebiete sind offiziell nur für deren Kunden und Wildhüter zugänglich. Das Fleisch der getöteten Tiere geht an die angrenzenden Dörfer, kostenlos, so schreibt es ein Gesetz vor, der Jäger kriegt die Trophäe. Etwa die Hälfte der Jagdeinnahmen bleibt im Reservat, der Rest muss an den Staat abgeführt werden.

Von dem kommt nichts - im Gegenteil: Das Reservat muss für den Staat Gewinne erwirtschaften, sonst droht eine Entwidmung von Flächen, vor allem im Süden. Doch dort wird immer mehr Ackerland benötigt, die Bevölkerung wächst, die Böden sind rasch ausgelaugt, Dünger, ob organisch und chemisch, wird selten eingesetzt. Aber wie erklärt man einem Bauer, der Wildtiere erlegt, um seine Familie zu ernähren, dass sein Tun eine Straftat ist, während reiche Ausländer Tiere legal und zum Vergnügen abschießen dürfen? Weil deren Jagd­Dollars das Reservat finanzieren?

Die Verhältnisse sind verzwickt: Die lokale Bevölkerung profitiert von den Jagdlizenzen, hat ein Interesse an ihrem Erhalt.

Und die Jagdpächter wissen um ihre Allmacht. Das zeigt sich zwei Autostunden von Alis Acker, im Dorf Likuyusekamaganga, 7000 Einwohner, kein Strom, kein fließend Wasser, die Menschen leben von dem, was sie anbauen. Auf der staubigen Zufahrtspiste passiert man Frauen und Kinder, die Wassereimer, Feuerholz und Zuckerrohr auf ihren Köpfen balancieren. Das Schulgebäude stammt noch aus der deutschen Kolonialzeit, dicke Risse ziehen sich durch die Wände, die Fenster hängen schief im modrigen Rahmen.

"Diese Region war immer vernachlässigt, schon zu Kolonialzeiten."

Die Krankenstation beherbergt eine einzige Liege, sie ist verrostet, die Auflage verdreckt. Im Ortszentrum hingegen steht eine große, neue, weiß getünchte Moschee; auf der roten Erde, inmitten der ziegelroten Häuschen wirkt sie wie ein notgelandetes Ufo. Muhsin Abdallah Sheni, als Betreiber von Game Frontiers ein führender Jagdpächter, hat sie gesponsert, sie ist der Stolz von Issah Sahani, dem Bürgermeister. Sahani trägt Fez. Tansania gehörte im 18. und 19. Jahrhundert zum Sultanat Oman, hier ließen sich Araber nieder, handelten mit Sklaven, heute ist die Küstenregion bis weit ins Landesinnere arabisch geprägt, mehr als 90 Prozent sind Muslime, die meisten Frauen und Mädchen tragen Schleier oder Kopftuch.

Warum eine Moschee? Warum hat Sahani als Verantwortlicher mit dem Geld nicht Schule und Klinik renovieren lassen? "Die Brüder wünschten es so", antwortet der Bürgermeister. Neben ihm schaut Emmanuel Myomi, der christliche Schuldirektor, leicht gequält.

Wer Ambitionen hat, verlässt die Region

Abendliches Treffen mit dem "Wildlife Management Areas"-Rat im Gemeindeschutzgebiet Nalika. Auch hier gibt es keinen Strom, die einzige Lichtquelle in der Runde ist ein Smartphone. Dass sie zu Wildschützern ausgebildet werden, sei schön und gut, aber das werfe nichts ab, klagen die zehn Männer und zwei Frauen. Ein Investor wäre gut, oder Regierungsgeld. Jahrzehntelange Entwicklungshilfe aus dem Westen plus Sozialismus daheim hinterlassen Spuren, fördern Erwartungen, aber nicht unbedingt Eigeninitiativen. Gibt es im Dorf Bemühungen, selbst einen Geldgeber anzuziehen, lautet eine Frage. Schweigen. Schließlich antwortet einer: "Es gibt niemanden, der die Anträge korrekt ausfüllen könnte."

Wie hoch die Analphabetenrate in der Region ist, weiß man nicht genau. Wer Ambitionen hat, versucht zu gehen. Matomora Matomora ist zurückgekehrt. Der 73 Jahre alte Arzt ist hier geboren und aufgewachsen, hat in Heidelberg Medizin studiert; er spricht fließend Deutsch. Seit einigen Jahren leitet er in Nalika eine soziale Stiftung des 2014 verstorbenen Schuhhändlers Heinz-Horst Deichmann mit einer Berufsschule und dem einzigen Krankenhaus in der Gegend, 100 Betten hat es. "Diese Region war immer vernachlässigt", sagt Matomora, "schon zu Kolonialzeiten." Seit 1885 war Tansania Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika, bis sie 1916 die Briten eroberten.

Warum gehen dann nicht mehr Leute, suchen ihr Glück anderswo im Land, wie sie es sonst in armen Weltregionen machen? "Weil hier ihre Leute leben, weil sie sich woanders abgelehnt fühlten", erklärt Matomora. In Tansania leben mehr als 130 Ethnien mit mehr als 120 Sprachen, "und die bleiben gerne unter sich", so der Arzt.

Bis 2020 soll Tansania "semiindustrialisiert" werden

Es gibt noch andere Ideen, was man aus dem Selous machen könnte, wie man die Region fördern könnte, jenseits vom Tourismus. Präsident Magufuli hat angekündigt, Tansania "bis 2020 zu semi­industrialisieren". Zu den Plänen der Regierung gehört der Uran-Bergbau, die Uranmine Mkuju im Süden des Reservats wurde bereits unter Auflagen genehmigt.

Die Unesco hat das Projekt akzeptiert, die Grenzen neu definiert, das Welterbegebiet um 20 000 Hektar verkleinert. Die Minenbetreiber, das australische Unternehmen Mantra Resources und der russische Finanzier ARMZ, stellen 1600 Jobs in Aussicht sowie langfristige ausländische Investitionen von bis zu 450 Millionen Dollar. Für Naturschützer ein Albtraum.

Eine erste asphaltierte Straße für die Bauern - und für die Schmuggler

"Der Forderung der Unesco, die Einhaltung der Auflagen nachzuweisen, kommen die Betreiber seit Jahren nicht oder nur unvollständig nach", kritisiert Johannes Kirchgatter, Afrika-Referent des WWF. "Für die Förderung wird viel Wasser benötigt, das dem Reservat fehlt. Die Gefahr von Unfällen mit hochgiftigen Chemikalien wie Arsen und Schwefelsäure steigt, die im Bergbau eingesetzt werden, und die freigesetzten radioaktiven Begleitelemente kontaminieren die Böden."

Es gibt dann auch Pläne, im Reservat am Fluss Rufiji einen hundert Meter hohen Staudamm zu bauen. Tausend Quadratkilometer würden überflutet und 95 Prozent des Flusses nicht mehr frei fließen. Der Geograf Kirchgatter zweifelt obendrein am wirtschaftlichen Sinn eines Damms. "Er würde nur wenige Monate im Jahr verlässlich Strom liefern. Das Rufijii-Becken hat nicht mal genug Wasser für die bereits existierenden Staudämme an den Zuflüssen." Jegliche Pläne für eine industrielle Nutzung im Selous müssten daher gestoppt würden.

Industrieländer könnten die Abholzung verhindern, aber sie fördern sie

Die Industrieländer haben sich jahrhundertelang industrialisiert und so die Umwelt beeinträchtigt, haben Wälder abgeholzt, Böden und Luft verseucht. Bedeutet das, dass sie das jetzt auch armen Ländern gestatten müssen, auch wenn das wieder auf Kosten der Natur geht? Oder sind sie im Gegenteil verpflichtet, sie davor zu bewahren, dieselben Fehler zu begehen?

Es wird jetzt eine Straße gebaut, die erste asphaltierte in der Geschichte dieser Region, die A 19, zwischen den Städten Songea und Tunduru. Früher brauchte man sieben Tage für die 270 Kilometer, in der Regenzeit ging auf der Schlammpiste nichts. Die USA finanzieren sie, die Chinesen bauen sie. Der Großteil ist schon fertig, Lastwagen, Teermaschinen, Dampfwalzen bewegen sich zügig richtig Osten, die Jobs sind bei den Einheimischen begehrt.

Eine Straße, um den Schmuggel noch schneller zu machen

Chinesische Vorarbeiter mit breiten Sonnenhüten gehen hektisch auf und ab, Smartphones am Ohr. Häuser, die im Weg stehen, sind mit roten Kreuzen versehen. Sie müssen weichen, werden an anderer Stelle durch neue ersetzt. Man spürt die Freude bei den Menschen, endlich tut sich hier was, Kinder winken aufgeregt, die asphaltierten Abschnitte nehmen sofort Radfahrer ein, erste Bike-Shops machen auf.

Die Straße A 19 wird dafür sorgen, dass gewilderte Tiere und Stoßzähne schneller an die Küste geschmuggelt werden, dass Baumaterial zu potenziellen Dämmen und Minen geschafft wird. Aber auch dafür, dass Mohammed Ali aus seinem Dorf Mchomoro nun Bananen und Zuckerrohr auf den Markt bringen kann.

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