Süddeutsche Zeitung

Tangany:Wette auf die Zukunft

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Das Münchner Start-up Tangany bietet verschiedene Blockchain-Services an. Neue Kunden von den Vorteilen der Technologie zu überzeugen, ist mühsam. Ein neuer Gesetzentwurf könnte dies nun ändern.

Von Marcel Grzanna

An die schlaflosen Nächte erinnert sich Martin Kreitmair noch sehr gut. Sie liegen nur zwei bis drei Jahre zurück. Es war die Zeit, als er und seine beiden Partner immer wieder alles infrage stellten. Gemeinsam wollten sie ein Start-up für die Entwicklung von Blockchain-Lösungen gründen. Doch es nagten Zweifel, ob sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatten. Sie entwickelten eine Handvoll Ideen und mussten sie immer wieder verwerfen. Die Zeit drängte, weil das Geld knapp war. Ihre gut bezahlten Jobs hatten sie eine Weile zuvor gekündigt. Der Erfolg ihrer unternehmerischen Zukunftspläne stand auf dem Spiel.

"Ein Start-up allein ist schon eine Wette, aber ein Blockchain-Start-up ist noch einmal die Steigerung, sozusagen die Wette in der Wette", sagt Kreitmair. Mancher Bekannter hielt sie für tollkühn und ein bisschen verrückt, dass sie das Risiko eingehen wollten, mit einer Zukunftstechnologie auf einen Markt zu drängen, auf dem sich viele Firmen schwertun. Von anfangs vier Gründern hielten nur drei durch.

Mit 200 000 Euro aus einem staatlichen Förderprogramm ging es los

Im September 2018 dann der Durchbruch: Das Bundeswirtschaftsministerium stellte den Gründern im Rahmen seines Förderprogramms Exist die nötigen Gelder zur Verfügung. Knapp 200 000 Euro flossen aus staatlichen Mitteln. Genug, um eine Weile, zumindest finanziell, weitgehend sorgenfrei das eigene Projekt weiterzuentwickeln. Ihr Unternehmen Tangany besaß nun die wirtschaftliche Grundlage, um im Januar 2019 offiziell als Firma registriert zu werden. Als "Genesis-Moment" bezeichnen die Unternehmer den Tag im September, in Anlehnung an die Schöpfungsgeschichte.

Das Geld gab dem Start-up die Mittel an die Hand, um sich so weiterzuentwickeln, dass es neue Investoren anziehen konnte. In einer Finanzierungsrunde im Januar sammelte das Unternehmen Wagniskapital von mehreren Investoren ein, mit dem bis Ende 2021 die nächsten Schritte in der Unternehmensentwicklung vollzogen werden sollen. Gerade noch rechtzeitig, denn schon wenige Wochen später veränderte das Coronavirus die Welt und provozierte Zurückhaltung bei Investoren. Das Geschäftsmodell des Münchner Start-ups besteht darin, Kryptowerte in der Blockchain sicher für andere als White-Label-Lösung zu verwahren. Unternehmenskunden können das Produkt dadurch mit eigenem Markenauftritt verwenden.

Die Nutzung von Blockchain ist mit sehr komplexen Prozessen verbunden, erklärt Kreitmair. Ihrem Unternehmen gehe es darum, diese Komplexität zu entmystifizieren, oder anders gesagt: "Blockchain finden sehr viele Menschen sehr langweilig. Das verstehen wir, und deshalb gehört sie als technologisches Werkzeug auch in den Hintergrund. Kein Kunde muss sich damit befassen, kein Nutzer muss sie sehen, aber alle sollen ihre Vorteile nutzen. Und genau darum kümmern wir uns."

Bei der Blockchain-Technologie werden Datenblöcke zu einer Kette aneinandergereiht. Über diese Kette können digitale Währungen oder Wertpapiere, aber auch Anteile an Immobilien oder Firmen wie bei einem Aktiengeschäft transferiert werden. Am Anfang der Blockchain steht ein realer Wert, der entsprechend analog dokumentiert sein muss. Die Weitergabe, der Verkauf oder der Tausch dieser Werte wird als Datenblock chronologisch auf zahlreichen Computern in der Welt hinterlegt und gespeichert. Das macht sie so gut wie fälschungssicher. Unternehmen können diese Technologie nutzen, um sehr schnell grenzüberschreitende Zahlungen zu tätigen oder Firmenwerte zu veräußern. Das geschieht transparent und kostengünstig.

Tangany verspricht, die passende Infrastruktur für individuelle Blockchain-Lösungen zu schaffen. Doch es ist ein zähes Ringen für die Anbieter der neuen Technologie, vor allem, wenn sie mittelständischen Unternehmen ihr Angebot schmackhaft machen wollen. Eine Umfrage des deutschen Digitalverbandes Bitkom ergab, dass vor allem kleine und mittelständische Firmen, zumindest in Deutschland, noch keine Veranlassung sehen, sich den Möglichkeiten von Blockchain tiefergehend zu widmen. Über ihren Einsatz in der Praxis hatten sich 86 Prozent der befragten Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern noch keine Gedanken gemacht.

Dass Unternehmen über den Einsatz von Blockchain nachdenken sollten, zeigt die geplante Anpassung des Rechtsrahmens, insbesondere an die Blockchain-Technologie. Nach aktueller Rechtslage sind Finanzinstrumente, die zivilrechtlich als Wertpapiere gelten, in einer Urkunde zu verbriefen und bei einem Zentralverwahrer wie Cleanstream von der Deutschen Börse AG sicher aufzubewahren. Kommt das Gesetz, dessen Entwurf Finanz- und Justizministerium kürzlich gemeinsam vorgelegt haben, kann dieser Prozess künftig auf Basis der Blockchain komplett digitalisiert werden. Laut Experten könnte damit die Basis für den digitalen Kapitalmarkt der Zukunft geschaffen werden. Zunächst geht es in dem Gesetz nur um Schuldverschreibungen, erst später sollen Aktien und andere Wertpapiere folgen. Für Tangany ist das ein neuer Hebel, um bei potenziellen Kunden auf die steigende Relevanz von Blockchain zu verweisen.

In digitalen Schließfächern werden Vermögenswerte verwahrt

Das Kernprodukt von Tangany ist die Custody Suite, ein Modularsystem, das Dienstleistungen wie die Verwahrung von Kryptowerten in Online- und Offline-Wallets und die Infrastruktur vereint, die für die Bezahlvorgänge nötig sind. Die Wallets (Geldbörsen) verwahren Schuldverschreibungen, Anleihen, Währungen oder auch Aktien als digitale Güter und sind mit einer Programmierschnittstelle versehen, die auch Bankensysteme integrieren können. Seine Entwickler vergleichen es mit Schließfächern, die jedoch nur online und auf Blockchain existieren. Im Gegensatz zu echten Bankschließfächern besitzen ihre digitalen Zwillinge eine Art Steckdose, sodass Programme und Apps darauf zugreifen können.

Der Glaube an den langfristigen Siegeszug der Blockchain und die eigene Faszination motivierten Kreitmair und seine Mitstreiter Christopher Zapf und Alexey Utin dazu, ihren Gründungsplan auch in den schwierigen Tagen weiterzuverfolgen. Kreitmair gibt zu, dass man schon ein bisschen ein Nerd sein müsse, um sich in diesem Feld auszutoben. Hinzu kam eine ausgeprägte Leidenschaft für wirtschaftliche Zusammenhänge, die Kreitmair später in seinem Studium mit der Informatik verknüpfte.

Über Onlinemarketing, aber auch persönliche Kontakte bei Messen oder Konferenzen versuchen die Tangany-Macher, nun neue Begeisterung unter den Unternehmern zu entfachen. Die weltweit gute Reputation deutscher Mittelständler muss dabei nicht unbedingt ein Vorteil sein. Viele Firmen haben es ohne Blockchain zur Weltspitze gebracht. Denen jetzt eine neue Technologie zu vermitteln, "kann manchmal sehr mühsam sein", wie Kreitmair sagt.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2020
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