Talente: Jens Weidmann (14):Merkels Adlatus

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Der parteilose Ökonom Jens Weidmann berät ohne großes Gehabe die Kanzlerin in Wirtschaftsfragen - und weil sich die beiden so gut verstehen, räumt Angela Merkel für den 40-Jährigen auch schon mal ihren Platz.

Claus Hulverscheidt

Es geschieht nicht oft, dass die Bundeskanzlerin während einer Sitzung einfach ihren Stuhl für irgendjemand anderen frei räumt. Vor ein paar Wochen jedoch passierte genau das. Angela Merkel hatte eine Handvoll Journalisten zum Gespräch über wirtschaftspolitische Themen ins Kanzleramt geladen, da öffnete sich nach einer knappen Stunde plötzlich die Tür des Kabinettssaals und ein korrekt gekleideter, jugendlich wirkender Mann trat ein. "Den Rest kann Ihnen dann ja der Herr Weidmann erläutern", sagte Merkel fröhlich, stand auf, reichte dem Ankömmling mit einem freundlichen "Guten Morgen" die Hand und entschwand.

Jens Weidmann berät Kanzlerin Merkel in Wirtschaftsfragen. (Foto: Foto: Bundesregierung/Kugler)

Die Szene ist so typisch wie untypisch zugleich für das Verhältnis der Regierungschefin zu ihrem obersten Wirtschaftsberater. Typisch, weil sie die vertrauensvolle Beziehung Merkels zu Jens Weidmann beschreibt. Und untypisch, weil Weidmann geradezu der Gegenentwurf zu jener Sorte von Kanzler-Adlaten ist, die den großen Auftritt lieben und sich insgeheim für bedeutender halten als den Chef. Bei genauem Hinsehen entsteht aus dem vermeintlichen Gegensatz dennoch ein stimmiges Bild: Weil Merkel sich darauf verlassen kann, dass Weidmann den Pressevertretern zwar die Hintergründe ihrer wirtschaftspolitischen Entscheidungen kenntnisreich und mit dem nötigen politischen Gespür erläutert, dabei aber keine Staatsgeheimnisse verrät, kann sie ihm ohne jedes Gehabe den Platz überlassen.

Und Weidmann wiederum schätzt es, dass ihn die CDU-Vorsitzende nicht auf Linientreue überwacht oder ihm eine parteipolitisch gefärbte Brille aufzwingt, sondern allein fundierten Rat von ihm erwartet. "Meine Aufgabe ist es allein, die Themen so aufzubereiten, dass sie eine Entscheidungsgrundlage hat", sagt der 40-Jährige. "Ich lege das Für und Wider dar und mache deutlich, welche Argumente aus meiner Sicht schwerer wiegen."

Mit klarem Verstand beeindruckt

Dass es der ehemalige Bundesbanker, der eine Doktorarbeit über die europäische Geldpolitik geschrieben hat, in kurzer Zeit so weit bringen würde, war zunächst nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Als Merkel den parteilosen Weidmann 2006 berief, war die erste Reaktion Erstaunen. Weidmann galt zwar unter Insidern als brillanter Ökonom, ihm schienen aber die beiden zentralen Voraussetzungen für den Beraterjob zu fehlen: Weder war er im Berliner Polit-Betrieb verdrahtet, noch hatte er gute Kontakte zu den Wirtschaftsbossen des Landes. Weidmann ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken. Die Kontakte kommen mit dem Job, dachte er sich - und behielt recht. Kanzleramtschef Thomas de Maizière berichtete seinerzeit, Weidmann habe Merkel und ihn mit seinem klaren Verstand beeindruckt. "Ein heller Kopf kann die Kompromissfindung und Kontaktpflege eher lernen als ein politischer Taktierer das klare Denken", so de Maizière.

Seither hat Weidmann die ganze Breite der Wirtschaftspolitik beackert, vom Postmindestlohn über die Erbschaftsteuer bis zur Haushaltssanierung, von der Bahnreform über die Weltfinanzkrise bis zur Mitarbeiterbeteiligung. Sein Gesellenstück lieferte er ab, als der Daimler-Konzern im vergangenen Jahr seine Beteiligung am europäischen Rüstungskonzern EADS abgeben wollte. Viele Politiker forderten damals, die Bundesregierung müsse die Anteile kaufen, um eine Machtverschiebung zugunsten Frankreichs zu verhindern. Weidmann jedoch schmiedete ein Konsortium aus privaten und öffentlichen Banken, das die Anteile übernahm. Zwar war auch dieses Ergebnis für einen Liberalen wie ihn kein Traum. Es war aber vertretbar: "Natürlich hat man es in einem akademischen Institut oder im Sachverständigenrat leichter, die ,reine Lehre' zu vertreten", sagt der Spitzenbeamte. "Für einen politischen Berater aber reicht das nicht: Er muss nach pragmatischen, politisch durchsetzbaren Lösungen suchen."

Wer mit den Staatswirtschaftlern im Pariser Elysée-Palast verhandelt hat, ohne dass er dabei über den Tisch gezogen wurde, der braucht kein politisches Minenfeld der Welt mehr zu fürchten - auch keine jener Untiefen, die sich innerhalb der großen Koalition in Berlin immer wieder auftun. Streiten sich etwa die Fachministerien über ein Thema, so sind es oft de Maizière und Weidmann, die vermitteln müssen. Dankbar ist Merkel ihrem Berater auch für dessen Einsatz bei der Gründung des Transatlantischen Wirtschaftsrats, der bürokratische Hürden im Handel zwischen der EU und den USA beseitigen soll. Beinahe im Alleingang sorgte Weidmann dafür, dass die zunächst viel belächelte Idee der Kanzlerin in kürzester Zeit umgesetzt wurde.

Kritik an dem jungen Abteilungsleiter ist kaum zu hören, auch die Wirtschaftsbosse haben sich mittlerweile an ihn gewöhnt. Zwar werden Anrufer im Kanzleramt nicht mehr so rasch nach ganz oben durchgestellt, wie das bei Weidmanns jovialem Vorvorgänger Bernd Pfaffenbach üblich war. Dafür bekommen die Manager keine flapsigen Sprüche mehr zu hören, wie es bei Gerhard Schröder und seinen Getreuen hin und wieder vorkam.

Kein Job auf Lebenszeit

Dass der Job des Kanzler-Beraters keiner auf Lebenszeit ist, weiß Weidmann. Verliert etwa Angela Merkel im kommenden Jahr die Bundestagswahl, wäre wohl auch seine Amtszeit beendet. Klare Vorstellungen, was er in einem solchen Fall täte, hat Weidmann nach eigenem Bekunden noch nicht. "Meine Erfahrung ist, dass nicht alle Schritte im beruflichen Leben planbar sind und auch Zufälle und Glücksfälle eine nicht unerhebliche Rolle spielen", sagt der Vater zweier Kinder.

Tatsächlich muss sich Weidmann wohl keine Sorgen über die berufliche Zukunft machen. Für viele große Unternehmen wäre er wegen seiner Fähigkeiten und seiner Kontakte in der Politik der ideale Manager-Kandidat. Auch große Institutionen wie die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds nähmen ihn sicher gerne. Weidmann selbst kann sich beide Varianten vorstellen. Die Politik dagegen muss es nicht sein. Dafür wäre der Leisetreter - bei allen Qualitäten - auch wohl tatsächlich nicht der Typ.

© SZ vom 04.08.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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