Süddeutsche Zeitung

Tagesgeld-Zinsen:Nächste Filialbank bricht das Tabu

Wer bei der Volksbank Stendal mehr als 100 000 Euro auf dem Tagesgeldkonto lagert, muss nun Strafzinsen zahlen. Weitere Institute könnten bald folgen.

Von Benedikt Müller

Zinsen aufs Tagesgeld gibt es bei der Volksbank Stendal in Sachsen-Anhalt längst nicht mehr. Und für sehr liquide Kunden kommt es nun noch dicker: Wer mehr als 100 000 Euro auf seinem Tagesgeldkonto hortet, muss seit diesem Monat Strafzinsen in Höhe von 0,4 Prozent pro Jahr bezahlen. Der Vorstand der Volksbank Stendal, Ingo Freidel, verweist auf die Niedrigzinsen: "Als kleine Volksbank können wir uns nicht gegen die Politik der EZB stemmen."

Seit zwei Jahren muss Freidel, wie jeder Bankdirektor in Deutschland, Strafzinsen zahlen, wenn er die Einlagen seiner Kunden bei der Europäischen Zentralbank parkt. Im März hat die EZB diesen Zinssatz noch weiter gesenkt, auf minus 0,4 Prozent. Doch bislang trauen sich die Banken nicht, negative Zinsen von Sparern zu verlangen. Schließlich wäre das Kopfkissen dann rentabler als das Konto. Freidel argumentiert dagegen, als Genossenschaftler und Kaufmann müsse er den Strafzins an Kunden weitergeben, die mehr als 100 000 Euro im Tagesgeld lagern. "Es ist nicht unsere Aufgabe, diese sehr hohen Einlagen zu subventionieren."

Freidel ist der dritte Banker bundesweit, der das Tabu bricht. Bereits im Jahr 2014 hatte die Skatbank, eine Direktbank aus Thüringen, Strafzinsen für Einlagen über 500 000 Euro eingeführt. Im August folgte die Raiffeisenbank Gmund mit einem "Verwahr-Entgelt" für Privatkunden, die mehr als 100 000 Euro auf dem Konto haben. Freilich betrifft das nur wenige Sparer. Im reichen Gmund am Tegernsee hatten 139 Kunden so viel Geld auf der hohen Kante. In Stendal sind es deutlich weniger.

Die Kreisstadt in Sachsen-Anhalt gilt als eine der Städte mit der niedrigsten Kaufkraft bundesweit. 120 Kilometer westlich von Berlin gelegen, ist die Arbeitslosenquote im Landkreis mit knapp 14 Prozent überdurchschnittlich hoch. Allgemein ist das Kreditgeschäft der Banken in Ostdeutschland schwächer als im Westen. Das macht es für Banker Freidel noch schwerer, das Geld seiner Kunden profitabel anzulegen.

"Niemand weiß, wie lange die Niedrigzinsphase noch andauern wird", sagt Freidel. Ob negative Zinsen künftig auch für kleinere Sparguthaben folgen könnten, hänge von der weiteren Entwicklung am Kapitalmarkt ab. Der Banker glaubt, dass viele Institute hierzulande Strafzinsen einführen werden. "Ich gehe fest davon aus, dass sich weitere Banken in Kürze ähnlich ausrichten werden wie wir", sagt Freidel.

Der Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) glaubt dagegen nicht, dass sich negative Zinsen im Privatkunden-Geschäft verbreiten werden. "Nicht zuletzt aufgrund der intensiven Wettbewerbssituation", heißt es.

Denn noch haben Sparer genug Alternativen zu Null- oder Negativzinsen. Während regionale Banken und Sparkassen im Schnitt nur noch 0,02 Prozent Zinsen pro Jahr auf das Tagesgeld anbieten, werben bundesweite Anbieter mit 0,29 Prozent durchschnittlicher Rendite, wie das Vergleichsportal Verivox berichtet. Vor allem Direktbanken und ausländische Institute locken mit höheren Zinsen. Sparer sollten aber aufpassen, wie ihre Einlagen geschützt sind und wie gut die Bonität der Anbieter ist, empfehlen Verbraucherschützer.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2016
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