Süddeutsche Zeitung

Tagebau:Stiftung will Vattenfall-Braunkohle kaufen

Monatelang hatte der Energiebetreiber versucht, die Anlagen loszuwerden. Jetzt gibt es endlich ein Angebot - aber die Stadtwerke im Ruhrgebiet sind nicht begeistert.

Von Michael Bauchmüller und Varinia Bernau

Neue Wege beschreiten in der Wirtschaft viele erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Nun womöglich in der Lausitz. Dort liegt Deutschlands zweitgrößtes Braunkohlegebiet. Seit Monaten sucht dessen Betreiber Vattenfall dafür einen neuen Eigentümer, der schwedische Staatskonzern hatte zuletzt kaum noch Freude daran. Weil es europaweit eher zu viel als zu wenig Strom gibt, lässt sich mit Kraftwerken derzeit nicht viel verdienen.

Nun aber zeichnet sich ein Plan ab, der nicht nur Vattenfall in der Lausitz helfen, sondern als Blaupause für das ganze Land dienen könnte: Nicht ein Unternehmen allein, sondern eine Stiftung soll die Braunkohle schultern, samt ihren Spätfolgen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung will der Essener Konzern Steag an diesem Mittwoch Vattenfall einen entsprechenden Vorschlag machen.

Schmutzige Braunkohle passt nicht zu grünem Image

Der schwedische Konzern steht unter Druck: Die schmutzige Braunkohle passt nicht zum grünen Image der Regierung in Stockholm. Obendrein rückt seit der Klimakonferenz in Paris das Ende der Braunkohle näher, auch in Deutschland. Ist es aber mit den Tagebauen vorbei, bleiben nur noch Kosten übrig, etwa für die Rekultivierung der Riesenlöcher. Diese könnte Vattenfall nun mit einem Schlag los werden - allerdings zu einem hohen Preis.

Steag, so verlautet aus unternehmensnahen Kreisen, will sich in der Lausitz mit dem australischen Finanzinvestor Macquarie zusammentun, der 2012 schon das Eon-Gasnetz übernommen hat. Er soll das Startkapital für eine Stiftung geben, die das Vermögen in der Lausitz verwaltet - inklusive der späteren Rekultivierung der Tagebaue. Die Steag, Deutschlands fünftgrößter Stromversorger, will sich um die Kraftwerke kümmern. Auch die Vermarktung des Stroms könnte der Essener Konzern übernehmen, über einen eigenen Handelsraum am Unternehmenssitz. Spätestens 2022, wenn der letzte Atommeiler in Deutschland vom Netz geht und damit wieder weniger Strom eingespeist wird, werden auch die Preise im Großhandel wieder steigen, gibt sich ein Insider gewiss.

Die Gewinne, die sich in der Lausitz noch machen lassen, bis sich die Bundesregierung zum Ausstieg aus der Braunkohle durchgerungen hat, sollen in die Stiftung fließen. Sie soll mit dem Geld gezielt Projekte rund um erneuerbare Energie fördern. Und zwar in der Lausitz. So sollen die Milliarden für die spätere Abwicklung der Braunkohle erwirtschaftet werden, ohne die Jobs in der Region zu vernichten.

Braunkohle-Abstoßung könnte Vattenfall etwa zwei Milliarden Euro kosten

Was sich in der Lausitz bewährt, könnte später wohl auch auf das größte deutsche Braunkohlegebiet, das Rheinische Revier, ausgeweitet werden. Für die dortigen Tagebaue des größten Braunkohlekonzerns RWE könnte sich Steag ebenfalls als Dienstleister anbieten - und damit für Kraftwerke gleich vor der Haustür.

Um die Risiken abzufedern, verlangen Steag und Macquarie von Vattenfall dem Vernehmen nach allerdings etwa zwei Milliarden Euro. Bislang hat der schwedische Konzern 1,2 Milliarden Euro für den Rückbau und die Rekultivierung im Braunkohlegebiet zurückgestellt. Wird er sich am Ende womöglich dennoch auf die teure Idee einlassen? Viele Alternativen jedenfalls hat Vattenfall nicht. An diesem Mittwoch endet die Frist, in der Gebote eingehen können. Und auch die zwei tschechischen Energiekonzerne CEZ und EPH, die Interesse signalisiert haben, verlangen etwa eben so viel Geld, um mit der Braunkohle in der Lausitz auch deren milliardenschwere Altlast zu übernehmen, heißt es.

Bei dem Poker geht es um einiges: Vattenfall ist der wichtigste Arbeitgeber in der Region, die nach dem Zusammenbruch der DDR wirtschaftlich nicht wieder auf die Beine gekommen ist. Nahe der polnischen Grenze liegt zudem einer der modernsten Kraftwerkparks Europas. Experten halten es für absurd, sich ausgerechnet dort zuerst von der Braunkohle zu verabschieden, wo, von der Kohlendioxid-Schleuder Jänschwalde mal abgesehen, effizienter Strom erzeugt wird als im Rheinischen Revier.

Der Vorschlag der Steag ähnelt einer Idee, die kürzlich ihr stellvertretender Aufsichtsratschef präsentiert hat: Michael Vassiliadis, im Hauptberuf Vorsitzender der Bergbaugewerkschaft IG BCE. Bei einer Tagung schlug er vor, die Gewinne aus Tagebau und Kraftwerken in eine Holding fließen zu lassen, die wiederum einem Fonds oder einer Stiftung gehört. Für Stromvermarktung und Kraftwerke sah sein Modell eine "Betriebsgesellschaft" vor. Es klingt wie eine Vorlage für das Steag-Konstrukt.

Im Osten hat man schlechte Erfahrungen mit Rettern aus dem Westen

Vorsichtshalber weihte Vassiliadis die Spitzenfunktionäre in den Braunkohlerevieren ein, ehe er seinen Vorschlag publik machte. Der Brief ist ein Dokument bemerkenswerter Offenheit. Die Gewerkschaft müsse für die Braunkohle rasch ein Konzept entwickeln, "das den Staat in die Verantwortung für die fossile Energieerzeugung nimmt, ohne uns von alljährlichen Debatten und Entscheidungen über etwaige Subventionen abhängig zu machen", schrieb Vassiliadis. In 15 Jahren werde es sehr viel schwieriger sein, mit Braunkohle noch Geld zu verdienen, der Energiewende wegen. Ziel sei ein Gegengewicht zu den laufenden Debatten über einen Kohleausstieg. "Es geht dabei ausdrücklich nicht um aktuelle Fragen etwa derart, wer die Vattenfall-Braunkohle übernimmt, oder ob RWE eine Zukunft hat", schrieb der Gewerkschaftschef. Gespräche mit den Unternehmen habe es nicht gegeben.

Manche sagen dennoch, Vassiliadis habe die Idee direkt aus einer Steag-Präsentation übernommen. Im Osten der Republik kam sie jedenfalls gar nicht gut an: Dort hat man mit vermeintlichen Rettern aus dem Westen schlechte Erfahrungen gemacht. Zu groß ist die Furcht, in einer Stiftung unterzugehen, die dann von den Großen im Rheinischen Revier dominiert wird. Und groß auch die Befürchtung, andere Investoren zu verschrecken: Wer kauft schon einen Tagebau, aus dem er jeden Euro, den er vor dem Bagger verdient, gleich in eine staatliche Stiftung abführen soll?

Es gilt, die sieben Stadtwerke aus dem Ruhrgebiet zu überzeugen

Ausgemacht ist die Sache indes noch nicht: Denn nicht nur Vattenfall, auch seine Eigner muss Steag noch überzeugen. Der Konzern ist in der Hand von sieben Stadtwerken aus dem Ruhrgebiet. Die dortigen Stadträte waren wenig begeistert, als sie im Dezember in der Zeitung lasen, die Steag liebäugele mit einem Engagement in der Braunkohle am anderen Ende der Republik. Sie störten sich an den finanziellen Risiken - und untersagten in vier Kommunen der Steag, ein Gebot abzugeben.

Viele Politiker im Ruhrgebiet sehen mit Entsetzen, wie die einst mächtigen Ruhrkonzerne Eon und RWE ins Wanken geraten und dabei auch enorme Löcher in die städtischen Haushalte reißen. Nun noch Risiken im Osten Deutschlands eingehen? Die Stadträte in Duisburg und Oberhausen wollen nicht einmal, dass das Unternehmen die dortigen Kraftwerke betreibt. Deshalb, so ein Insider, werde man zunächst nur vorschlagen, in der Lausitz die Wartung und Optimierung der Kraftwerke und die Vermarktung des Stroms zu übernehmen - und seine Dienste später vielleicht auszuweiten. Die Arbeitsteilung mit dem australischen Finanzinvestor könnte so manchen Stadtrat beruhigen. Um ihm später zu zeigen, warum sich die Sache vielleicht auch für ihn rechnen könnte.

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SZ vom 16.03.2016/vit
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