Süddeutsche Zeitung

Tag der Arbeit: 1. Mai:Shopping statt Demo

Das "Fest der Solidarität" ist bedroht: Deutsche Städte machen den Tag der Arbeit zum verkaufsoffenen Sonntag. Die Gewerkschaften laufen Sturm dagegen, und zwar mit beträchtlichem Erfolg.

Charlotte Theile

Der 1. Mai wird seit je her als "Fest der Solidarität" von Arbeitern auf der ganzen Welt verstanden. Großdemonstrationen der Gewerkschaften in der gesamten Republik sollen, wie jedes Jahr, die Forderung nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen artikulieren und an die historische Bedeutung des Arbeitertages erinnern.

Dieser findet in Deutschland seit 1878 immer am selben Datum statt. Den meisten Bürgern ist der erste Tag im Mai dagegen vor allem als zusätzlicher Feiertag willkommen. Da er dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, ist der Feiertag dahin. Zudem, und das erzürnt Gewerkschaften im ganzen Land besonders, haben die Läden in mehr als 120 deutschen Städten an diesem Sonntag auf. "Eine Provokation" sei das, heißt es vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin.

"Hohe Feiertage müssen wichtiger sein als Gewinninteressen des Einzelhandels" fordert Ulf Birch von der Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi in Niedersachsen.

Verdi hatte am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück mit ihrer Klage gegen den verkaufsoffenen 1. Mai Recht bekommen. Dabei geht es um die Öffnung der Geschäfte im emsländischen Städtchen Lingen. Die sei nach der aktuellen Rechtslage nicht zulässig, meint Birch - und bezieht sich damit auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2009.

Darin wird dem Kulturgut Feiertag der Vorrang gegenüber einzelnen Verkaufsinteressen gegeben. Der Lingener Einzelhandel hat gegen das gerichtliche Öffnungsverbot Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingereicht - doch vergeblich.Es droht ein gewaltiger Imageschaden

Am Freitag wurde in einem Eilverfahren entschieden, dass die Lingener Innenstadt am Sonntag von 13 bis 18 Uhr geschlossen bleibt. Nun droht dem dortigen Handel ein gewaltiger Imageschaden: Seit Wochen wird in der Region und den angrenzenden Niederlanden für den verkaufsoffenen Nachmittag geworben. Dass die Besucher am Sonntag vor verschlossenen Türen stehen, ist fatal für die Geschäfte, die hohe Summen in die Reklame investiert haben.

Auch in anderen deutschen Städten stieß der verkaufsoffene Sonntag auf wenig Gegenliebe. Im bayrischen Fürstenfeldbruck riefen die katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), Verdi und der DGB die Stadtverwaltung auf, die Geschäfte am Tag der Arbeiterklasse aus historischer und gesellschaftlicher Sensibilität geschlossen zu lassen.

Anfang April protestierten 50 Betriebsräte gegen den Verkaufs-Sonntag. Da in dem Ort keine Mai-Kundgebung geplant ist, sah der DGB von einer Klage ab. "Skandalös" sei die Entscheidung des Stadtrates aber allemal, so Christoph Frey vom DGB in München. Dennoch wird am 1. Mai in Fürstenfeldbruck verkauft."Volksbelustigung zu Lasten der Verkäufer"

"Einen Fauxpas allererster Güte" hätten sich Städte und Kommunen da geleistet, schimpft Rainer Knake von Verdi in Lüneburg. Schon Anfang März hatte der Gewerkschaftssekretär erfahren, dass im norddeutschen Soltau ein verkaufsoffener Arbeitertag geplant war.

Die Beschwerde bei der Stadt zeigte Wirkung: In Soltau beugten sich die Veranstalter dem Argument der Arbeitnehmervertreter. "Ganz einfach, weil das der Tag der Arbeit ist. Da gehören die Verkäufer nicht hinter den Tresen!" Knake hat für die "Kommerzveranstaltung" kein Verständnis. Er hofft, dass das Lingener Exempel zum Anlass genommen wird, grundsätzlich über das Ladenöffnungsgesetz zu diskutieren.

Diese Hoffnung teilen seine Kollegen in München und Osnabrück. Das Urteil des Bundesverfassungsgericht hätte den freien Sonntag gestärkt, sei aber viel zu "nebulös", so Frey, um grundsätzlich Klarheit für den diesjährigen Arbeitertag zu schaffen.

Da nun der Lingener Shopping-Sonntag vor Gericht gekippt wurde, wollen die Arbeitnehmervertreter die Ladenschlussgesetze der Bundesländer noch einmal rechtlich prüfen lassen. Verkaufsoffene Sonntage soll es nach ihrem Willen nur in seltenen Ausnahmefällen, etwa bei olympischen Spielen, geben.

"Volksbelustigung zu Lasten der Verkäufer" sei das, eine unzulässige Beugung der Arbeitnehmerrechte für Geld und Kommerz. Gewerkschaftssekretär Knake ist schon jetzt mitten im schönsten Arbeitskampf.

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SZ vom 30.04.2011/pak
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