Süddeutsche Zeitung

Bedarf an Hilfe:Warum Griechenlands Finanzlöcher so schnell wachsen

  • Der Anstieg des Finanzbedarfs Griechenlands steigt fast täglich.
  • Im Kern liegt der Grund darin, dass die Steuerbasis im Land eingebrochen ist. Die Banken sind geschlossen, der Geschäftsverkehr teilweise erlegen.
  • Was durch Steuern nicht reinkommt, muss der Staat über Kredite finanzieren.

Von Guido Bohsem, Berlin

Die Summe wird immer größer. Zunächst wollten die Griechen 25 Milliarden Euro. Dann schätzte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass das Land in den kommenden drei Jahren vielmehr etwa 60 Milliarden Euro Finanzhilfe bräuchte. Doch wenige Tage später korrigierte der Fonds seine Annahmen und sprach von 85 Milliarden Euro. Doch auch das könnte bereits überholt sein, denn in den Kreisen der Geldgeber kursieren auch schon höhere Zahlen. Von bis zu 100 Milliarden Euro ist die Rede.

Wie kommt dieser Anstieg zustande? Um das zu erklären, muss man sich einmal klarmachen, wie sich nicht nur Griechenland, sondern so ziemlich jeder Staat finanziert, nämlich über Steuern. Die Höhe der Steuereinnahmen ergibt sich zum einen aus den Steuersätzen und zum anderen aus der Steuerbasis. Was durch Steuern nicht reinkommt, muss über Kredite finanziert werden.

Dass Griechenland nun immer mehr Geld braucht, liegt an der Veränderung der Steuerbasis. Sie ist in den vergangenen Wochen deutlich eingebrochen, vor allem durch die Schließung der Banken und den dadurch teilweise zum Erliegen gekommenen Geschäftsverkehr. Das hat zur Folge, dass die Regierung weniger Geld einnimmt als bislang erwartet.

Hellas-Soli

"Das sollte ein Weckruf sein", sagte Clemens Fuest am Nachmittag, nachdem seine Forderung so hohe Wellen geschlagen hatte. Der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hatte sich in einem Gastbeitrag für die FAZ dafür ausgesprochen, den Solidaritätszuschlag zu erhöhen, um das neue Hilfspaket für Griechenland zu finanzieren. Deutschland müsse sich daran mit einem Anteil von knapp 27 Prozent beteiligen, was bis zu 23 Milliarden Euro ausmache. Erhöhe man nun den Soli von derzeit 5,5 Prozent auf acht Prozent, nehme der Staat diese 23 Milliarden Euro zusätzlich ein. Doch wohin mit dem Geld, wo doch die Mittel für das neue Griechenlandpaket aus dem europäischen Rettungsschirm ESM kommen sollen und nicht aus den Haushalten der einzelnen Länder? "Das Geld könnte in die Schuldentilgung hier in Deutschland fließen", sagte Fuest. Es solle jedenfalls so verwendet werden, dass nachfolgende Generationen dadurch entlastet würden. Denn diese müssten aller Voraussicht nach die derzeit gewährte Griechenlandhilfe zahlen. Schließlich handele es sich ja nur formal um Kredite. Da das Geld aber aller Voraussicht nach nicht von den Griechen zurückgezahlt werde, seien es tatsächlich Transferleistungen. Die Ehrlichkeit gegenüber den Wählern gebiete es daher, dafür die Steuern zu erhöhen oder Ausgaben zu kürzen. Guido Bohsem

Zum Beispiel die Umsatzsteuer: Da die Griechen pro Tag nur noch 60 Euro von ihrem Bankkonto abheben dürfen, können sie auch nicht mehr als diese Summe ausgeben. Ohnehin halten sie sich angesichts der Unsicherheit der Lage mit Einkäufen zurück und horten ihr Geld lieber für den Fall, dass die Zeiten noch schlechter werden. Das führt zu Einbrüchen beim Konsum, die Leute kaufen weniger, und je weniger sie kaufen, desto weniger Umsatzsteuer nimmt der Staat ein. Da aber gleichzeitig die Ausgaben des Staates konstant bleiben, wird das Loch im Haushalt größer und der Bedarf neuer Kredite steigt.

Ähnlich geht es bei den anderen Einnahmequellen. Wenn die Firmen keinen Umsatz machen, erzielen sie weniger Gewinn, zahlen weniger Lohn und müssen womöglich Mitarbeiter entlassen. Da die Arbeitslosigkeit weiter steigt, sinken auch Einnahmen aus Steuern auf die Löhne.

Bemerkbar macht sich die Bankenkrise auch in der Reisebranche. Nach Angaben des griechischen Tourismusverbandes Seti sank die Zahl der Last-Minute-Buchungen seit Einführung der Kapitalkontrollen von gewöhnlich etwa 120 000 am Tag um etwa 40 Prozent. Und auch das trägt natürlich dazu bei, dass die Löcher in der Staatskasse des Landes größer werden. Schließlich erwirtschaftet der Tourismus etwa 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, und jeder fünfte Arbeitsplatz hängt von ihm ab.

Schon seit Anfang des Jahres war der Kapitalbedarf Griechenlands deutlich gestiegen. Doch haben sich das makroökonomische Umfeld und die Finanzlage nach Einschätzung des IWF durch das Schließen der Banken und das Verhängen von Kapitalverkehrskontrollen noch einmal deutlich verschlechtert.

Da sich durch das niedrigere Wachstum auch das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt verschlechtert, ist es nach Einschätzung des IWF unwahrscheinlicher geworden, dass private Geldgeber in absehbarer Zeit griechische Staatsanleihen kaufen. Deshalb müssten die Euro-Länder ihren Kreditrahmen erhöhen, um das Land zu unterstützen (und vor der Pleite zu bewahren). Als gerade noch angemessen und nachhaltig gilt eine Schuldenquote von 120 Prozent. Laut IWF wird Griechenland in den nächsten zwei Jahren deutlich darüber liegen - mit knapp 200 Prozent.

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SZ vom 17.07.2015/sana
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