Süddeutsche Zeitung

Talk-Abend:Medien, Mut und Klimakrise

Auf der SZ-Bühne trifft die Aktivistin und Seenotretterin Carola Rackete auf Moderatorin Pinar Atalay und Weltraumforscherin Suzanna Randall. Ein Talk-Abend in Berlin.

Von Jan Schmidbauer, Berlin

Pinar Atalay weiß noch gut, wie das war im Frühsommer 2019. Wie sie und ihre Kollegen in der Redaktion der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung "Tagesthemen" zusammensaßen und überlegten, wie sie über Carola Rackete berichten sollen. "Wir haben immer versucht, Interviews zu führen", sagt die Journalistin. Für die einen ist Rackete eine moderne Heldin und für andere pure Provokation. Und an diesem Abend sitzen nun Pinar Atalay, Carola Rackete und die Weltraumforscherin Suzanna Randall gemeinsam auf der Bühne des SZ-Wirtschaftsgipfels in Berlin. Atalay und Rackete reden miteinander. Das ist insofern erwähnenswert, weil es bislang ja anders war: Atalay, die Nachrichtenmoderatorin, berichtete über Rackete.

Der 1. Juli 2019 war einer dieser Tage. Atalay moderierte die "Tagesthemen" und die Menschen vor den Fernsehern sahen Carola Rackete auf dem Bildschirm. "Diese Frau aus Norddeutschland bewegt gerade viele und vieles in Europa", sagte Atalay. Sehr treffend war das. Rackete bewegte die Menschen mit dem, was sie tat. Und sie bewegte die Gemüter. Mit dem Seenotrettungsschiff Sea-Watch 3 hatte sie 42 geflüchtete Menschen aus dem Mittelmeer geborgen und auf die italienische Insel Lampedusa gebracht. Sie ignorierte das Verbot der italienischen Behörden, sie ignorierte ein neues Dekret des damaligen italienischen Rechtsaußen-Innenministers Matteo Salvini, das privaten Rettungsschiffen die Einfahrt in italienische Häfen verbot. Sie brachte die Menschen in Sicherheit.

Die einen feierten Rackete für ihren Mut. Andere warfen ihr Rechtsbruch vor. Wieder andere beschimpften sie. Und mehr noch: Rackete steckte mittendrin in einem diplomatischen Konflikt. Matteo Salvini bezeichnete sie als "verwöhnte deutsche Kommunistin" und die Organisation Sea-Watch als "Banditen". Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte: "Wer Menschenleben rettet, kann nicht Verbrecher sein."

"Mein Fall hatte extrem viel Öffentlichkeit", sagt sie heute, auf der Wirtschaftsgipfel-Bühne. Mit Betonung auf extrem. Ihr war es zu viel Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die andere Flüchtlingsretter nicht bekämen, die im Gegensatz zu ihr seit Jahren im Gefängnis säßen. Aber sie war nun mal da, die Aufmerksamkeit. Weil Zeitungen und Fernsehsender über sie und die Sea-Watch 3 berichteten. Aber auch, weil viele Menschen wissen wollten, wer diese Carola Rackete ist und was sie antreibt. Und was aus den Menschen wird, die sie aus dem Mittelmeer gerettet hatte.

Dürren, Armut, Flucht - alles hängt zusammen

Wie moderiert man solche Themen, will Moderator und SZ-Wirtschaftschef Marc Beise jetzt von Pinar Atalay wissen? Wie bleibt man nüchtern, wenn auf dem Bildschirm das Leid von Menschen zu sehen ist? "Das geht natürlich nicht eiskalt an mir vorbei", sagt Atalay. "Wenn Kinder leiden, sieht man mir das, glaub ich, an. Aber es ist wichtig, dass meine Emotionen nicht überschäumen", sagt sie. Rackete findet schon, dass in ihrem Fall etwas übergeschäumt ist. Sie meint nicht die Emotionen der Nachrichtensprecher. Aber das Ausmaß der Berichterstattung, das schon. "Es wurde eine Märchenfigur erschaffen", sagt sie. Carola, die Retterin.

Rackete hat Menschen gerettet. Aber sie will nicht darüber definiert werden, nicht für immer die "Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete" sein. Sie hat Nautik und Naturschutzmanagement studiert, sie reiste zu Polarexpeditionen in die Arktis, sie ist Umweltschützerin, Aktivistin. Sie weiß, dass alles mit allem zusammenhängt. Die Erderwärmung, die Unwetter, die Dürren, die Armut, die Flucht. All die Krisen, über die auch Pinar Atalay in ihren Nachrichtensendungen spricht. Früher in der ARD und seit ein paar Monaten beim Privatsender RTL.

Was direkt zu der Frage führt, ob gut und ausreichend berichtet wird über die Klimakrise. Die Diskutanten sind uneins. Rackete findet: nein. "Es wird sicher berichtet. Aber nicht in ausreichendem Maß", sagt sie. "Wenn wir diese Krise wirklich verstanden hätten, würden wir darüber berichten wie über Corona." Statt täglicher Inzidenzen also ein täglicher Erderwärmungs-Check. Oder - auch dieser Vorschlag wurde im Internet diskutiert - "Klima vor acht" statt "Börse vor acht". Atalay findet die Kritik zu hart. Mehr geht immer, klar, aber der Klimawandel sei viel häufiger Thema als früher. "Wir achten durchaus darauf", sagt Atalay. Suzanna Randall, die Weltraumforscherin, sieht die Sache so wie Rackete: "Carola hat da total recht." Natürlich werde berichtet. "Aber nicht in dieser Dringlichkeit."

Auch Randall macht sich Gedanken über die Erderwärmung. Natürlich. Sie will diesen Planeten ja irgendwann von oben sehen. Die Astrophysikerin will als erste deutsche Frau in den Weltraum, sie ist eine von zwei Kandidatinnen für einen möglichen Privatflug zur Raumstation ISS. Wobei die Raumfahrt in Sachen Klimaerwärmung auch nicht den besten Ruf hat, spätestens seit Unternehmer wie Elon Musk und Jeff Bezos mithilfe von vielen Milliarden Dollar und vielen Tonnen Treibstoff versuchen, Touristen ins All zu schießen und daraus ein Geschäft zu machen. "Da muss man sich natürlich fragen: Was ist da der Sinn?", sagt Randall.

Auf eines können sich die Umweltaktivistin, die Fernsehmoderatorin und die Astrophysikerin aber einigen: Es muss mehr passieren, um die Erderwärmung zu stoppen. Und das Gute sei ja, dass man immer noch damit anfangen kann, sagt Carola Rackete: "Ich kenne keinen Klimaforscher, der sagt, es ist zu spät."

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