SZ-Serie zur Globalisierung:Der Ökonom der Ökologie

Nicholas Georgescu-Roegen untersuchte den Zusammenhang von Wirtschaft und Umwelt

Nikolaus Piper

(SZ vom 10.10.2001) - Eine der größten Sorgen vieler Globalisierungsgegner gilt der Umwelt. Der freie Welthandel und die Herrschaft der Finanzmärkte führten dazu, so das Argument, dass nur noch so billig wie möglich produziert wird, dass nach und nach alle politisch ausgehandelten Umweltstandards fallen und die Zerstörung der Natur sich noch beschleunigt.

Die Umweltschützer unter den Kritikern der freien Wirtschaft können sich dabei auf einen herausragenden Ökonomen berufen. Vielen Aktivisten von Göteborg bis Genua dürfte er bis heute unbekannt geblieben sein, unter globalisierungskritischen Wissenschaftlern hat er jedoch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss: Nicholas Georgescu-Roegen.

Georgescu-Roegen wurde 1906 in Rumänien geboren, studierte Mathematik und später Ökonomie. 1944 wurde er Generalsekretär der rumänischen Waffenstillstandskommission im Zweiten Weltkrieg und emigrierte 1948 in die Vereinigten Staaten.

Er bekam einen Lehrstuhl für Ökonomie an der Vanderbilt-Universität in Nashville (Tennessee), wo er bis zu seinem Tod 1994 lebte. Georgescu-Roegen näherte sich den Problemen der Ökonomie mit den Augen eines Mathematikers und damit vor allem methodenkritisch.

Anfang der siebziger Jahre veröffentlichte er zwei Arbeiten über den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Physik, genauer: über die Bedeutung der Thermodynamik für die Wirtschaftswissenschaften. Der Essay Das Entropiegesetz und das Problem der Ökonomie und sein Hauptwerk Das Entropiegesetz und der Wirtschaftsprozess begründeten seinen Ruf in der Fachwelt.

Nach dem ersten thermodynamischen Gesetz (Erhaltungssatz der Energie) kann Energie weder geschaffen noch zerstört werden, nach dem zweiten Gesetz (Entropiegesetz) nimmt die Konzentration dieser Energie unweigerlich immer mehr ab, mit anderen Worten, der Anteil zerstreuter Energie ("Entropie") wächst. Eine Tasse Kaffee in einem Zimmer kühlt so lange ab, bis sie Zimmertemperatur erreicht hat. Die in ihr enthaltene Energie ist zwar nicht zerstört, sie ist aber so im Raum verteilt, dass sie nicht mehr genutzt werden kann, etwa um eine zweite Tasse Kaffee zu bereiten.

Diese physikalischen Tatsachen, so sagte Georgescu-Roegen, blendete die Wirtschaftswissenschaft bisher aus. Sie tat so, als sei die Volkswirtschaft ein Kreislauf, als könne man ökonomische Prozesse umkehren. Genau dies ist jedoch wegen des Entropiegesetzes ausgeschlossen.

Nutzbare Energie ist niedrige Entropie, das menschliche Leben und die gesamte Wirtschaft sind auf diese niedrige Entropie angewiesen: Pflanzen, Tiere, Kohle, Öl, radioaktives Uran. Der Wirtschaftsprozess, so schrieb Georgescu-Roegen, ist kein Kreislauf, er "besteht aus der kontinuierlichen Umwandlung von niedriger in hohe Entropie, also in nicht wiederverwertbaren Abfall, oder, um einen geläufigen Begriff zu verwenden, in Umweltverschmutzung."

Apokalyptischer Unterton

Die Konsequenzen dieser Überlegungen reichen weit: Die Menschen können gar nicht anders, als die Umwelt zu verschmutzen, Ökonomie und Ökologie sind nicht wirklich zu versöhnen. Das Problem hielt sich noch in Grenzen, als die Menschen nur die Sonnenenergie in Gestalt von nachwachsenden Rohstoffen (Holz und Agrarprodukte) nutzten, seit jedoch Kohle und Öl ausgebeutet und verbrannt werden, nimmt die Entropie in Form von Umweltzerstörung immer mehr zu.

Denn dabei handelt es sich um Sonnenenergie, die in der Erdkruste gespeichert ist. Die Menschheit zehrt ihr Vermögen auf und vervielfacht dabei die Umweltverschmutzung.

Je besser die Wirtschaft läuft, desto schlechter für die Erde: "Wenn wir über Details hinwegsehen, können wir sagen, dass jedes heute geborene Baby ein menschliches Leben weniger in der Zukunft bedeutet. Aber auch jeder Cadillac, der irgendwann einmal produziert wird, bedeutet weniger Leben in der Zukunft."

Der apokalyptische Unterton seiner Analysen hat die Wirksamkeit von Georgescu-Roegen in der Umweltbewegung gebremst. Seine Bücher sind bis heute nicht ins Deutsche übersetzt. Denn nähme man ihm beim Wort, so liefe dies auf ein Selbstmordprogramm für die Menschheit hinaus.

Andererseits passt die Warnung vor der Apokalypse zum Selbstverständnis vieler Globalisierungsgegner. Deshalb spielt sein Name auf Kongressen und in Internet-Foren immer wieder eine wichtige Rolle. Wer die westliche Lebensweise grundsätzlich in Zweifel zieht, der findet dafür bei dem eigenwilligen Ökonomen genügend Argumente. Allerdings ist Georgescu-Roegen auch in der herkömmlichen Wirtschaftswissenschaft anerkannt, als Kritiker ökonomischer Erkenntnisverfahren.

Niemand jedoch, weder Globalisierungsgegner, noch Schulökonomen, wären bereit, sein "Überlebensprogramm" für die Welt in Angriff zu nehmen: Die Industrieländer müssten auf jegliche Extravaganz verzichten und den Entwicklungsländern einen auskömmlichen Lebensstandard ermöglichen. Die Weltbevölkerung müsste sich auf einem Level einpendeln, der sich mit ökologischem Landbau ernähren lässt.

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