SZ-Serie:1200 Tonnen Euphorie

Vor 25 Jahren kamen über Nacht Kapitalismus und D-Mark nach Ostdeutschland. Das hieß: Geldtransporter, zu schwer für die DDR-Straßen, Bankberatung unter freiem Himmel und am Ende ein riesiges Müllproblem.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Banker improvisieren höchst ungern. Nichts geht ihnen über ein gutes Projektmanagement. Sauberste Vorgaben für Prozessabläufe. Bloß nichts dem Zufall überlassen.

Doch der Lauf der Geschichte hält sich nicht immer an den Plan. Im Sommer vor 25 Jahren zum Beispiel. Am Wochenende vom 30. Juni auf den 1. Juli. Da kam die D-Mark in die DDR und mit ihr der Kapitalismus. Alles wurde anders. Am Samstag noch gab es die Ostmark, am Sonntag war sie Geschichte. Entschieden worden war das nur wenige Monate zuvor, und umgesetzt gleichsam über Nacht.

Mittendrin in dieser Operation fand sich unverhofft Rolf Thöbes - Wessi, gebürtig aus Frankfurt am Main, bei der Commerzbank zuständig für Zahlungsverkehr, ein Geschäftsbereich, der normalerweise wenig Abenteuer bietet. In der DDR war Thöbes noch nie zuvor gewesen. Doch in jenem Sommer lag er mit einem Mal auf einem Sofa, in einer Gartenlaube in Magdeburg, wo er mit einem Kollegen übernachtete. Die beiden waren angereist aus Hessen, ein freies Hotelzimmer war nicht mehr zu bekommen. Ein Glück nur, dass viele Ostdeutsche Schlafplätze in ihrer Datscha vermieteten.

Bilder zu 25 Jahre Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion

Geldausgabe unterm Sonnenschirm und im Container: Die D-Mark in die DDR zu bringen war eine logistische Großaufgabe mit knappem Vorlauf.

(Foto: Commerzbank)

Die beiden sollten die DDR-Bürger mit Bargeld versorgen. Nicht allein, sondern mit Hunderten von ostdeutschen Kollegen, die die Commerzbank dazu eiligst eingestellt hatte. Zur Bargeldverteilung stand zwar auch die ehemalige Staatsbank bereit, die gerade in Teilen von Dresdner und Deutscher Bank übernommen wurde, sowie die ostdeutschen Sparkassen. Aber auch die Commerzbank wollte dabei sein. Wollte sich nicht die einzigartige Gelegenheit entgehen lassen, auf einen Schlag Millionen Kunden zu gewinnen.

"Es gab überhaupt keinen Masterplan für diese Prozesse. Da war die Situation da", erzählt Thöbes, 55. Er ist ein gemütlicher Banker mit hessischem Zungenschlag, der immer noch bei der Commerzbank arbeitet. Vor ihm auf dem Tisch liegt heute ein Blackberry. Damals im Osten hatte er noch nicht einmal eine Telefonverbindung zur Zentrale in Frankfurt.

Kein Hotel, kein Telefon, es waren widrige Umstände, doch das war alles egal. "Wir hatten das Gefühl, wir dürfen an etwas Großem teilnehmen, keinem wurde das zu viel", sagt er heute. Weil die Commerzbank auf ihre ehemaligen ostdeutschen Filialen von vor dem Krieg freilich keinen Zugriff mehr hatte, mussten sich Thöbes und Kollegen mit Containern und Bussen behelfen. Diese stellte sie in den wichtigsten ostdeutschen Städten kurzerhand auf die Marktplätze. "Wir hatten einen extra langen Ziehharmonika-Bus, den haben wir am Vorabend des 1. Juli in Dessau geparkt, gelbe Sonnenschirme raus, gelbe Luftballons aufgehängt, Campingstühle, fertig war die Beraterecke", erzählt er.

Einführung der D-Mark in der DDR

Hans-Joachim Corsalli war Überlieferungen zufolge der erste DDR-Bürger, der die neue Währung erhielt.

(Foto: Thomas Wattenberg/dpa)

Der eigentliche Beschluss für dieses Wagnis lag da erst wenige Monate, ja nur Wochen zurück. Am 6. Februar 1990 bot Bundeskanzler Helmut Kohl der DDR eine Währungsunion an, die Verhandlungen begannen im April, und erst am 18. Mai schlossen die DDR und die Bundesrepublik den Vertrag für eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Noch bevor die Parlamente die Wiedervereinigung formal verabschiedet hatten, wurde die neue Währung eingeführt. Die Zeit drängte, die DDR drohte auszubluten. "Entweder kommt die D-Mark zu uns, oder wir gehen zu ihr", war die Devise vieler Bürger.

Die Herzkammer dieses Großprojekts, Bargeld in wenigen Tagen, ja Stunden in die Venen einer ganzen Volkswirtschaft zu pumpen, war die Deutsche Bundesbank in Frankfurt. Sie koordinierte ab Mitte Juni den Transport von 22 000 D-Mark-Packbeuteln mit jeweils wiederum 20 Paketen zu 1000 Banknoten in die neuen Bundesbankfilialen in der DDR. Das waren 440 Millionen Banknoten mit einem Gewicht von 460 Tonnen. Dazu kamen 102 Millionen Münzen, die sogar ganze 750 Tonnen wogen: Insgesamt waren das gut 1200 Tonnen und fast 28 Milliarden D-Mark. Diese Geldtransporte mussten von der Polizei geschützt werden, und weil wiederum viele der Transporter mit 40 Tonnen viel zu schwer waren für die meisten Straßen in der DDR waren sie gezwungen, Umwege zu fahren. Knatternde Helikopter begleiteten den Tross - es war eine logistische Herausforderung.

SZ-Serie: 25 Jahre Wirtschafts- und Währungsunion Eine SZ-Serie, Teil 20 und Schluss

25 Jahre Wirtschafts- und Währungsunion Eine SZ-Serie, Teil 20 und Schluss

Die DDR-Bürger wiederum mussten rechtzeitig ihr Bargeld zusammenkratzen, auf ein Konto einzahlen und dieses auf D-Mark umstellen lassen. Denn nur Einlagen wurden bar ausgezahlt. Erwachsene konnten bis 4000 Ost-Mark im Verhältnis 1:1 tauschen. Rentner 6000 und Kinder 2000 Ost-Mark. War mehr Geld auf dem Konto, wurde der Rest im Verhältnis 1:2 übertragen. Kein Wunder, dass viele Familien, um die Grenzen auszunutzen, für jedes Kind ein Konto einrichteten.

"Lasst uns mutig anfangen", rief DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière seinen Bürgern am Abend des 30. Juni 1990 in einer Fernsehansprache zu. Und pünktlich am 1. Juli um Mitternacht wurden die 24,7 Millionen Konten auf die D-Mark umgestellt. Die Zeit drängte: Nur bis zum 6. Juli hatten die Bürger Zeit, DDR-Geld, das vielleicht noch unter Matratzen schlummerte oder in Spardosen versteckt war, auf Konten einzahlen. Anders als bei der Euro-Umstellung war das alte Geld später wertlos. Nur die DDR-Kleinmünzen waren noch länger gültig, weil die flächendeckende Versorgung mit D-Mark-Münzen nicht sofort umsetzbar war.

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In Bussen und Containern wurden die neuen Scheine ausgeteilt. Einen Masterplan gab es nicht.

(Foto: Commerzbank)

Um Mitternacht, am 1. Juli, bekam als erster DDR-Bürger, so ist es überliefert, der damals 41-jährige Bauarbeiter Hans-Joachim Corsalli die D-Mark ausbezahlt, in einer Filiale der Deutschen Bank am Alexanderplatz in Berlin. Anders als die anderen Banken hatte diese bereits geöffnet. In einem Interview erzählte er später: "Ich bin jedenfalls hin, habe mir Kaffee mitgenommen, was zu essen und einen Pullover. Und dann haben wir da alle gesessen und gewartet". Mit ihm hatten sich dort zuvor Tausende Bürger gedrängt, um das Geld in Empfang zu nehmen. Für viele ein Grund zum Feiern. Nicht weit entfernt erklärte kurz darauf die stellvertretende DDR-Regierungssprecherin Angela Merkel der Presse die Währungsunion.

Manch einem wurde zu viel ausgezahlt - die Scheine waren so frisch, dass sie noch klebten

Auch die Commerzbanker haben noch die Szenen aus den Innenstädten vor Augen, viele Schaufenster hatte man am Vorabend des 1. Juli zunächst mit Decken verhängt, nur durch Schlitze war das auf einmal üppige Warenangebot zu sehen. "Schon am Abend wollte natürlich keiner mehr die Ostmark annehmen", sagt Thöbes. Das neue Bargeld holte er sich am Morgen des 1. Juli von der örtlichen Sparkasse, die als Drehscheibe für alle Institute diente, die in Dessau Bargeld aushändigen wollten. "Ich hatte ein weißes Legitimationsschreiben, meinen Betriebsausweis, und dann bekam ich meine erste Tranche ausgehändigt." Rund 50 000 D-Mark waren es für die erste Runde, auf dem Rückweg begleitete ihn ein Volkspolizist.

Schon zuvor hatte sich eine Schlange vor dem Commerzbank-Bus gebildet, die den ganzen Vormittag nicht kleiner wurde. Jeder Bürger hatte einen Abholschein, um sich auszuweisen. Es war warm, die Sonne schien. "Das war eine euphorische Stimmung, es wurde gelacht; viele hatten sich ja nicht vorstellen können, dass alles einmal so kommt", sagt er.

Jeder durfte in der ersten Juliwoche jedoch höchstens 2000 D-Mark abheben. Man hatte Angst, dass andernfalls der Nachschub zusammenbricht. "Das war alles neues Geld, frisch aus der Bundesdruckerei, weil das noch etwas haftete, haben wir manchmal 50 Euro zu viel ausgezahlt", erzählt der Banker. Einer der Neukunden blieb Thöbes besonders im Gedächtnis, "der hat ganz viel gefragt zu unserem Angebot, auch zu Details, wie die Kontoauszüge gestaltet sind und alles in ein Buch eingetragen". Nicht ohne Grund: Mit Freunden war er ausgeschwärmt, die neue Vielfalt der Bankangebote zu vergleichen.

Und natürlich ging auch einiges schief: Viele Kontoauszüge wurden von den ungeschulten Mitarbeitern erst einmal falsch ausgefüllt, nicht jede "alte" Kontonummer richtig in das neue System übertragen. Aber immerhin: Thöbes und sein Kollege fanden nach der Nacht in der Gartenlaube noch ein Hotelzimmer.

Doch was passierte mit dem Geldvermögen der DDR? Auch das war eine abenteuerliche Geschichte, die sich aber erst ein paar Jahre später zuspitzte. Denn nach der Wende verscharrte die Staatsbank das Geld - etwa 3000 Tonnen Papier - erst einmal in einem Stollen bei Halberstadt in Sachsen-Anhalt, 50 Meter unter der Erde, eigentlich für die Ewigkeit. Doch als in den Jahren darauf in Sammlerkreisen immer häufiger seltsam riechende 200er und 500er auftauchten war klar, dass jemand das Versteck aufgebrochen hatte. Diese Scheine hatte die DDR in den 1980er Jahren drucken lassen, aber nie ausgegeben, unter Sammlern waren sie daher einiges wert.

Die für den Schatz zuständige KfW entschied, die Scheine auszugraben. 298 Container voll mit Banknoten wurden nach der Jahrtausendwende verbrannt - sicher ebenfalls ohne Masterplan.

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