SZ-Serie: Schatzsucher:Das Nazi-Gold und der beharrliche Brite

Im Tresor der Reichsbank in Berlin lagerte 1945 Gold aus ganz Europa. In den Wirren der letzten Kriegstage verschwand es - und faszinierte Ian Sayer aus Norwich.

Andreas Oldag

Ian Sayer wurde im Oktober 1945 im englischen Norwich geboren - nur wenige Monate nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland. Er selbst sieht sein Geburtsdatum nicht als symbolisch an. Doch die Faszination der damaligen Zeit lässt den mittlerweile grauhaarigen Mittsechziger nicht los. Sayer ist ein Schatzsucher, der nicht mit dem Spaten in der Hand loszieht. Er hält ohnehin nicht viel von Abenteuerlegenden.

Reichsbank, Schatzsucher, Nazi-Gold; dpa

Die Berliner Reichsbank soll einmal einen Goldschatz im Wert von 3,9 Milliarden Dollar gehortet haben. Große Teile sind verschollen. Das Archivbild zeigt das ehemalige Reichsbank-Gebäude im Jahr 1996.

(Foto: Archivbild: dpa)

Sayer setzt vor allem seinen Sachverstand als erfahrener Historiker ein, um in alten Archiven nach dem Gold der ehemaligen Reichsbank zu fahnden. Für Sayer ist dies zu einer Lebensaufgabe geworden. Er hat Jahrzehnte für seine Recherchen gebraucht, ist um die halbe Welt gereist, um dem Edelmetall auf die Spur zu kommen. Das Ergebnis seiner Arbeiten ist mittlerweile auch eines der größten privaten Archive über den Zweiten Weltkrieg mit mehr als 100.000 Büchern, Briefen und amtlichen Dokumenten.

Zwei Goldbarren in britischen Tresoren

Sayer forscht über das Gold, das die Nazis auf ihren Raubzügen quer durch Europa zusammengerafft und in ihrem Rassenwahn vor allem auch jüdischen Opfern abgenommen hatten. Für die Kriegswirtschaft wurde das Gold, das in den Tresoren der Reichsbank in Berlin lagerte, unter anderem zur Devisenbeschaffung eingesetzt. Bis heute ist nach Meinung von Historikern jedoch nicht vollständig geklärt, wo der braune Goldschatz in den Nachkriegswirren schließlich landete.

Sayers größter Triumph war es, als er 1997 nach intensiven Recherchen zwei Goldbarren der Reichsbank in den Tresoren der britischen Notenbank aufstöberte. In einer Erklärung teilte die Notenbank mit, dass sie noch kleinere Goldbestände im Auftrag der "Tripartite Commission" halte. Das war eine von den westlichen Siegermächten gegründete Kommission, die das geraubte Gold an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben sollte.

Darunter waren nun auch die von Sayer gefundenen zwei Barren mit dem Stempel der staatlichen preußischen Münze von 1938 und einer späteren Gravur der westdeutschen Firma Degussa aus dem Jahre 1958. Nach Angaben der Bank of England (BoE) hatte die Bundesbank die beiden Stücke übergeben.

336 Tonnen Edelmetall

Trickreicherweise ist die Jahresangabe 1938 von den Nazis bei der Umschmelzung der Barren gefälscht worden. Sie wollten dadurch verbergen, dass das Gold 1942 aus der französischen Staatsbank entnommen wurde. Ursprünglich gehörte das Edelmetall der belgischen Notenbank, die es vor der Besetzung des Landes 1940 durch die Deutschen nach Paris schickte, um es in Sicherheit zu bringen.

Die Tripartite Commission hat 1998 ihre Arbeit für beendet erklärt. 64 Prozent der Ansprüche von geschädigten Staaten seien befriedigt worden, hieß es. Dabei handelte es sich um insgesamt 336 Tonnen Edelmetall. Die Kommission räumte allerdings ein, dass auch künftig immer noch Raubgold der Nazis auftauchen könne. Laut der Bank of England werden die beiden Goldbarren nicht mehr in London aufbewahrt. Wo das Gold derzeit liegt, wollte der Bank-Sprecher nicht sagen.

Auf der nächsten Seite: Der beharrliche Brite - Ian Sayer begann früh damit, eine Leidenschaft fürs Sammeln zu entwickeln. Bei seiner Bestandsaufnahme hinderten ihn zahlreiche Nazi-Legenden.

Der größte Raub der Geschichte

Vielleicht muss man Brite sein, um mit einer solchen Beharrlichkeit wie Sayer einer solchen Suche nachzugehen. Er habe schon als Schuljunge Berichten von Verwandten und Lehrern über den Zweiten Weltkrieg gelauscht, erzählte Sayer in einem Interview.

Zugleich hätte er eine Leidenschaft fürs Sammeln entwickelt - von Briefmarken bis hin zum in Großbritannien noch unter Erwachsenen beliebten Zeitvertreib, Nummern von Autoschildern und Kennziffern von Lokomotiven und Flugzeugen aufzuschreiben. Als Junge sei er manchmal 70 Meilen auf dem Rad zum Bahnhof gestrampelt, nur um eine wichtige Zugnummer zu notieren.

Verstecke in Bayern

Sein erstes Geld verdiente Sayer mit dem Verkauf von illustrierten Flugzeug-Büchern, um die Gemeinde der "Plane Spotter", der Flugzeug-Beobachter, zu versorgen. Dann fing er als Angestellter bei einer Luftfrachtfirma an. Schon bald gründete er am Londoner Flughafen Heathrow seine eigene Speditionsfirma.

Das sicherte ihm dann auch die materielle Grundlage, um seine Nachforschungen um das Nazi-Gold zu betreiben. Insbesondere interessierte ihn eine Geschichte im Guinness-Buch der Rekorde, worin das Verschwinden von Reichsbankgold als größter Raub der Geschichte bezeichnet wurde. Der Schatzjäger machte sich auf die Suche, die mehr als 20 Jahre dauerte. Er fragte Zeitzeugen. Er inspizierte Gebäude in Berlin und versuchte, Verstecke in Bayern aufzuspüren.

Er reiste in die USA und erhielt dort sogar Hilfe vom Außenministerium. 1998 veröffentlichte er mit seinem Ko-Autor Douglas Botting schließlich das Buch Nazi Gold: Die sensationelle Geschichte des größten Raubes der Welt. Das Buch liest sich wie ein Thriller. Detailverliebt beschreibt Sayer, wie Reichsbank-Gold und Devisen nach der Bombardierung des Bankgebäudes in Berlin im Februar 1945 aus der Stadt geschafft wurden.

Alliierte als Schatzräuber

Ein Großteil des Bestandes landete in einem Stollen im thüringischen Merkers, wo später amerikanische Truppen den Schatz sicherstellten. Die Nachforschungen führten Sayer auch nach Bayern in die Umgebung des Walchensees. Dort hatten die Nazis, wie der Historiker herausfand, in Nacht- und Nebelaktionen Gold und Devisenbestände versteckt. Für Sayer ist aber unstrittig, dass große Mengen des Schatzes nach 1945 verschwunden sind.

Als "Schatzräuber" betätigten sich nach Erkenntnissen der Autoren alliierte Offiziere wie Deutsche, die an den Transporten beteiligt waren oder von den Verstecken wussten. Sayer schätzt den entwendeten Gesamtwert auf knapp 3,9 Milliarden US-Dollar - bezogen auf die Kaufkraft der amerikanischen Währung im Jahre 1998.

Das Problem ist allerdings: Eine Bestandsaufnahme ist schwierig, weil die historischen Quellen nicht eindeutig sind. Vieles beruht auf Spekulationen. Das muss auch Sayer eingestehen. Um das Reichsbank-Gold ranken sich bis heute Legenden, die kaum etwas mit der Realität zu tun haben - zum Beispiel die Behauptung, die Nazis hätten noch nach der Niederlage 1945 im U-Boot große Mengen Goldbarren nach Südamerika verschifft. Aber unbestritten ist: Den größten Raub der Geschichte betrieben die Nazis zwischen 1933 bis 1945.

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