Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Rohstoffe (XV):Überangebot drückt den Preis

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Da immer mehr Textilien in China gefertigt werden, steigt dort die Nachfrage nach Baumwolle. In Europa und den USA nimmt der Verbrauch allerdings ab.

Dieter Claassen

Der Baumwollmarkt wird von zwei Entwicklungen geprägt: Auf der einen Seite wächst der Importbedarf Chinas rasant, andererseits melden Indien und Pakistan Rekordernten, die Vorräte sind groß. Dagegen hatte der Hurrikan Katrina nur geringe Auswirkungen.

Das amerikanische Agrarministerium (USDA) vermochte nur einen "geringfügigen Anstieg" der US-Baumwollpreise im Gefolge des Wirbelsturms festzustellen. Zwar seien die Ernteschäden in den von Katrina unmittelbar betroffenen Feldern zum Teil beträchtlich, doch die Hauptanbaugebiete in Georgia und anderen Regionen blieben verschont. Experten beurteilen das Baumwollangebot der USA für den Weltmarkt nach wie vor als reichlich.

Welche Schäden der Hurrikan Rita nach sich ziehen könnte, war am Wochenende noch nicht erkennbar.

Das Hauptaugenmerk der Spekulanten und Verbraucher gilt denn auch weiterhin den Ernten Chinas, Indiens, Pakistans und Australiens sowie dem Eigenverbrauch dieser Länder und deren Exportpolitik.

Gentechnik sorgt für Rekordernten

Indien steht eine Rekordernte ins Haus. Eine erweiterte Anbaufläche und höhere Erträge durch den wachsenden Einsatz genmanipulierten Saatguts werden das Ernteaufkommen in dem jetzt endenden Erntejahr 2004/05 um etwa 30 Prozent auf fast vier Millionen Tonnen in die Höhe treiben. Da der drittgrößte Produzent von Baumwolle der Welt in der Regel den weitaus größten Teil seiner Ernte für den eigenen Verbrauch beziehungsweise den Export von Baumwollgarnen und Textilien benötigt, blieb bisher nur ein kleiner Teil für den Export übrig. Das könnte sich jedoch mit dem rasch wachsenden Ernteertrag durch den Einsatz genmanipulierten Saatguts jedoch schon bald ändern.

Im letzten Erntejahr steuerte der Subkontinent mit seiner Produktion zwar 15 Prozent zum weltweiten Baumwollaufkommen bei, beanspruchte aber etwa 14 Prozent dessen für den eigenen Verbrauch. Dagegen liefern die USA etwa 20 Prozent der Weltproduktion und verbrauchen nur sechs Prozent davon für sich selbst.

Dagegen klaffen Produktion und Eigenbedarf in China, dem größten Baumwollproduzenten der Welt, in entgegengesetzter Richtung auseinander. Das Land produziert ein Viertel des weltweiten Baumwollangebots, verbraucht aber mittlerweile 35 Prozent der globalen Nachfrage.

Chinas Importe steigen noch lange

Diese Entwicklung könnte die Fantasie der Spekulanten beflügeln, wenn die derzeit hohen weltweiten Vorräte erst einmal abgebaut sind. Für 2005/06 geht das Handelsministerium in Peking von mehr als einer Verdoppelung des Einfuhrbedarfs auf mindestens drei Millionen Tonnen aus. Die eigene Ernte werde zugleich wahrscheinlich um mehr als zehn Prozent einbrechen. Chinas Baumwollimporte werden damit wohl noch auf Jahre steigen, vermuten Rohstoffanalysten.

Schon seit Jahren schrumpft die Anbaufläche für die Naturfaser in dem Riesenreich und macht zunehmend Getreidefeldern oder Wohngebieten Platz. Im laufenden Jahr wird sich das Anbauareal um zwölf Prozent verringern, schätzt Peking.

Hinter dem stürmisch wachsenden Baumwollverbrauch der aufstrebenden Wirtschaftsmacht verbirgt sich nicht nur der wachsende Bedarf für die eigene Bevölkerung. Vielmehr benötigt die exportorientierte Textilindustrie ständig größere Mengen des Rohstoffs, seitdem China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten ist und die Beschränkungen für den Export weitgehend weggefallen sind. Ähnliches gilt für Indien.

Das Angebot schrumpft

Die rasch wachsenden Textilexporte aus diesen Ländern gehen zu Lasten der Textilindustrie im Westen. Dadurch wiederum schrumpft deren Baumwollnachfrage. Laut der Londoner Economist Intelligence Unit (EIU) ist allein in den vergangenen drei Jahren der Baumwollverbrauch der USA und der EU um fast zehn Prozent zurückgegangen, während der Konsum Chinas um etwa 50 Prozent in die Höhe schnellte.

Das International Cotton Advisory Committee geht für 2005/06 von einer Weltbaumwollproduktion von etwa 24,4 Millionen Tonnen aus, ein Rückgang von etwa sieben Prozent nach der Rekordernte von 2004/05. Nach Ansicht von Marktkennern wird das kleinere Angebot die derzeit extrem niedrigen Baumwollpreise am Weltmarkt aber nicht sogleich nach oben treiben.

Schließlich zeichnet sich ab, dass die Vorräte per Ende 2005/06 (zum 31.7.) um etwa ein Drittel auf fast elf Millionen Tonnen und damit den höchsten Stand seit 1998/99 steigen werden. Australische Anbieter halten derzeit Ware vom Markt zurück, in der Hoffnung auf bessere Preise in Zukunft.

Starke Konkurrenz durch Polyester

Nach Einschätzung der EIU dürften die Preise erst 2007 wieder deutlich steigen, wenn ein Teil der Bestände abgebaut ist. Das International Cotton Advisory Committee befürchtet indes, dass der Baumwollverbrauch 2005/06 durch den gestiegenen Ölpreis und eine Verlangsamung des Weltwirtschaftswachstums einen Dämpfer erhalten könnte.

Doch selbst unter günstigeren Marktverhältnissen verbiete sich ein allzu großer Preisanstieg, weil die Naturfaser auch weiterhin gegenüber Polyester wettbewerbsfähig bleiben müsse. 2003/04 wurde die Kunstfaser erstmals in größeren Mengen verarbeitet als Baumwolle. Der Anteil der Baumwolle am Welt-Faserverbrauch der Welt verringerte sich in den vergangenen fünf Jahren von 40,4 Prozent auf nur noch 38,1 Prozent.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2005
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