In Paris, hinter der Comédie Française, so erzählten jene, die dabei waren, gab es im Spätherbst 1708 einen Salon, der gehörte einer berühmten Schauspielerin, und in diesem Salon stand ein Spieltisch, und an dem saß, wenn er da war, immer ein Schotte, spielte Karten, steckte Goldmünze um Goldmünze in seinen Lederbeutel und stand im Morgengrauen immer als Gewinner vom Tisch auf.
Der Glücksritter aus dem Nichts
Wenn der Schotte nicht da war, dann geschah in diesem Salon hinter der Comédie Française nichts, woran man sich erinnern müsste. Die Besucher tratschten über die neuesten Liebesaffären, der Hunger der Armen interessierte sie nicht. Wenn aber der Schotte da war, konnten die Damen ihre Blicke nicht von ihm lassen: 1,80 Meter, lange schwarze Locken, Samtrock mit weiten Schößen, stets aufgeknöpft, damit ja alle die Weste aus Damast und die Halsbinde aus Brüsseler Spitze sehen konnten. Die Männer bestaunten sein geschicktes Spiel. Beides, Spiel und glamouröser Look, öffneten ihm den Zugang zur Pariser Hautevolee. Sein Name: John Law.
Zwölf Jahre nach seinen Gastspielen im Salon hinter der Comédie Française ist Law der reichste Mann der Welt. Er, der Ausländer, führt die größte Bank Frankreichs und bestimmt die finanziellen Geschicke des mächtigsten Landes Europas. Seine Geschichte ist die eines eitlen Playboys, der die Gier der Menschen erkennt und sie nutzbar macht: Durch die Erfindung der Volksaktie, die er zu einer der ersten riesigen Spekulationsblasen der Neuzeit steigert, bei der er unfassbar reich wird. Zunächst.
Bevor John Law ein Volksheld wird, tötet er, flüchtet und lernt akzentfrei Französisch. 1671 als Sohn eines Goldschmieds in Edinburgh geboren, zieht er mit Anfang 20 nach London und sucht Anschluss an die Upper Class. Er liebt teure Kleidung und schöne Frauen - beides kostet verdammt viel. Law bezahlt mit dem, was er beim Glücksspiel gewinnt. Und er gewinnt fast immer. Das liegt an seiner Gabe, Gewinnchancen blitzschnell vorausberechnen zu können.
Ein Schotte verzaubert die Welt
Als er einer Dame der höheren Gesellschaft nachstellt, fordert ihn sein Nebenbuhler Beau Wilson zum Duell heraus. Law trifft den bekannten Salonlöwen mit einem Schwert, Wilson stirbt. Law wird des Mordes beschuldigt, vor Gericht gezerrt und zum Tod durch Erhängen verurteilt. Der Schotte bricht aus dem Gefängnis aus, flieht auf einem Schiff in die Niederlande und taucht auf dem Festland unter. Zehn Jahre ist er ein Dandy auf Reisen und setzt sich an die Spieltische der High Society von Brüssel, Genf, Wien und Venedig. Er inszeniert sich als den vom Pech verfolgten Gentleman, den die Aura einer skandalösen Vergangenheit umgibt. Man merkt ihm an, was für ein Vergnügen es ist, Ende zwanzig und berühmt zu sein.
Sein erspieltes Geld spart Law nicht, er gibt es aus. In seinem 1705 veröffentlichten Buch beschreibt er sein Verständnis vom Monetären: Um von Nutzen zu sein, muss das Geld verwendet werden, es muss zirkulieren. Sind nicht genügend Goldmünzen da, sollen Banknoten ausgegeben werden. Menschen können für ihre Arbeit und Dienste mit diesen Noten bezahlt werden. So wird Law zu einem der Erfinder des Papiergeldes.
1715 taumelt Frankreich, der Verschwenderkönig Ludwig XIV. ist gestorben, die Staatskassen sind leer. In den Salons diskutieren die Franzosen über die Ideen Voltaires und Montesquieus. Die Dekadentesten veranstalten Maskenbälle im Schloss des verstorbenen Absolutisten und feiern dort wilde Orgien.
Die Volksaktie sprengt die sozialen Fesseln
Gerade ist der Herzog von Orléans Regent von Frankreich geworden. Als John Law bei ihm vorsprechen darf, sagt er: "Ich werde einen Plan entwickeln, der aufgrund der Fortschritte, die er Frankreich bringt, ganz Europa in Erstaunen versetzen wird - Veränderungen, die radikaler sind als die Entdeckung Amerikas oder die Einführung des Kredits." Law schlägt dem Regenten vor, eine Bank zu gründen. Dabei kommt ihm zu Gute, dass er inzwischen aristokratisch und akzentfrei Französisch spricht. Und dass sich auf den britischen Inseln und in den Niederlanden bereits ein Bankwesen entwickelt hat, Frankreich dagegen mit seiner bäuerlichen Wirtschaft sehr rückständig wirkt.
Bald bekommt Law die Erlaubnis zur Gründung der ersten Bank Frankreichs, die erstmals Papiergeld ausgeben darf. Ein großer Erfolg. Die Franzosen stürzen sich auf die neuen leichten Scheine wie die Tauben der Stadt auf Brotkrümel. Dann erfindet Law die nächste Finanzinnovation: die Volksaktie.
Die Aktiengesellschaft nennt er Compagnie d'Occident, im Volksmund heißt sie Mississippi. Ihr Geschäft ist die Ausbeutung der französischen Kolonien in Amerika. In Louisiana vermutet Law große Goldvorkommen. Beweise dafür hat er nicht. Er setzt auf das, was ihm auch am Spieltisch des Salons hinter der Comédie Française half: auf sein Glück.
Der Pariser Finanzdistrikt in den engen, dunklen Straßen um die Rue Quincampoix zieht plötzlich alle möglichen Menschen in seinen Bann. Die Rue Quincampoix wird zum Tollhaus, Menschen aus ganz Frankreich kommen hierhin, um Aktien der Mississippi-Gesellschaft zu kaufen. Bezahlt wird in Livres, 500 Livres sind etwa 500 Euro. Der Tagebuchschreiber Jean Buvat notiert: "Es mischen sich Doktoren der Sorbonne, Priester und Nonnen bei diesem Geschäft unter das normale Volk. Die ganze Welt ist verzaubert."
Als "Millionär" noch ein Schimpfwort war
Wer auch nur eine einzige Aktie für 500 Livres in dem prunkvollen Domizil der Mississippi-Gesellschaft im Palais Mazarin erwirbt, kann damit zeitweise sofort hinunterlaufen zur Place Vendôme und sie für 5000 Livres wieder verkaufen. Menschen aus allen Schichten werden mit einem Schlag unfassbar reich.
Eine adelige Dame sieht sich im Foyer der Oper mit einer Dame konfrontiert, deren Décolleté ein glitzerndes Collier aus Diamanten schmückt. Als die Dame genauer hinsieht, erkennt sie ihre eigene Köchin und stellt sie zur Rede. Die Köchin erwidert, sie sei ihr jetzt gleichgestellt. Für Menschen wie diese Köchin prägt die unter Schock stehende Aristokratie ein neues Wort. Sie nennt sie abschätzig millionaires - Millionäre.
Als Law erfährt, dass es in Louisiana kaum Gold gibt, versucht er die langsam misstrauisch werdenden Aktionäre mit einem Trick zu beruhigen. Er befiehlt Bettlern mit Schaufeln und Pickeln in der Hand durch das Pariser Zentrum in Richtung der Straße nach La Rochelle zu ziehen, von wo aus die Schiffe nach Amerika in See stechen. Der Blender Law täuscht damit vor, dass diese Arbeiter nach Louisiana aufbrechen, um für die Mississippi-Gesellschaft Gold abzubauen. Der Bluff wirkt: Eine Aktie im Nennwert von 500 Livres hat inzwischen einen Verkaufswert von 12 000 Livres.
Spätestens jetzt erkennt Law, dass die Blase bald platzen wird. Er stuft den Preis für die Aktie herab. Die Aktionäre fühlen sich beraubt. Die Hälfte ihres Vermögens nimmt ihnen dieser Schotte mit einem Schlag weg. Tausende stürmen seine Banque Royale. Bajonette werden geladen und über den Köpfen der wütenden Aktionäre fliegen Pistolenkugeln durch die Luft. 15 Menschen werden an einem Tag zu Tode getrampelt.
Der ewige Traum des leicht verdienten Geldes
Law, verstört, verängstigt und verloren, sucht Zuflucht im Palais Royal. Er glaubt, bald hingerichtet zu werden. Er hat zwar die starren sozialen Schranken des Ancien Régime aufgeweicht, aber das Finanzwesen Frankreichs ruiniert. Welchen positiven Nutzen Aktien haben können, entdecken erst spätere Generationen.
Law reist nach Venedig, wo er sich als Glücksspieler im Ridotto-Casino über Wasser hält. Eines kühlen Februar-Abends 1729, als er durch den kalten Nebel der Kanäle in einer Gondel nach Hause fährt, erkrankt er schwer und stirbt an einer Lungenentzündung.
Der französische Aufklärer Voltaire schreibt in seinem "Essay über Handel und Luxus": "Es war unser Schicksal, dass ein Schotte namens John Law nach Frankreich kommen und die ganze Wirtschaft unserer Regierung auf den Kopf stellen sollte, um uns zu unterweisen." Dem Schotten gelang es, im Bewusstsein der Menschen eines unauslöslich zu verankern: dass man nicht nur durch mühsame Arbeit zu Geld kommen kann, sondern auch als Spekulant. Auch wenn man am Ende alles verliert.