SZ-Serie: Die großen Spekulanten (8):Commander Dattel und seine Goldjungs

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Wie ein Kölner Devisenhändler die einzige deutsche Bankenpleite nach 1945 verschuldete und trotzdem straffrei davonkam.

Caspar Dohmen

Dany Dattel lebt zurückgezogen, der einst redselige Spekulant der Herstatt-Bank ist Pensionär und lässt keine Journalisten mehr an sich heran. Dabei gab Dattel, der Mann mit der wuchtigen Nase und den wuseligen Haaren früher bereitwillig Auskunft. 1974 dominierte der Chefdevisenhändler der Kölner Herstatt-Bank die Schlagzeilen in Deutschland wie 34 Jahre später der Händler der Société Générale, Jérôme Kerviel, in Frankreich. "Dattel war der Superstar bei Herstatt", erinnert sich der 80-jährige Werner Schaeper, der bis heute als Insolvenzverwalter die Abwicklung der Bank begleitet. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 sollte die Pleite der Kölner Privatbank die Finanzwelt erschüttern.

Devisenhändler Dany Dattel: "Superstar bei der Herstatt-Bank". (Foto: Foto: dpa)

Ursache waren misslungene Spekulationsgeschäfte des Instituts. Raumschiff Orion nannten Mitarbeiter deren futuristisch gestalteten Handelsraum in Anspielung auf die Science-Fiction-Serie Raumpatrouille Orion mit Dietmar Schönherr als Commander Cliff Allister McLaner, die wenige Jahre zuvor die Menschen gebannt am Fernseher verfolgt hatten. Der Tisch bei Herstatt sah aus wie eine abgeschnittene Pyramide, auf den Monitoren flackerten allerdings keine fernen Galaxien, sondern Währungskurse: Dollar, D-Mark, Pfund oder Franc.

Der Markt für Devisentermingeschäfte sollte mit der Freigabe der Wechselkurse der großen Währungen explodieren. Schon vorher lief es gut für Dattel und seine Crew. Das Team der Kölner Privatbank spekulierte bei Devisentermingeschäften in einem Umfang wie sonst nur die großen Banken. Bis zu 600 Kontrakte zeichneten die Devisenhändler täglich.

Millionengewinne mit Dollargeschäften

Ihr Anführer Dattel, ein etwas fülliger Mittdreißiger, kaufte vor allem Dollar "leer", sprich, er beschaffte die Dollar erst zu einem späteren Zeitpunkt. Er war überzeugt davon, der Dollarkurs werde sinken. Er verkaufte am 28. Februar 1973 beispielsweise eine Milliarde Dollar zum 31. Mai für drei Mark je Dollar. Und fiel der Dollar erwartungsgemäß bis Mitte Mai auf 2,50 Mark, konnte Dattel die Milliarde Dollar für 2,5 Milliarden Mark kaufen. Beim vertraglich vereinbarten Verkauf am 31. Mai erlöste er dann für eine Milliarde Dollar drei Milliarden Mark. Sein Gewinn: 500 Millionen Mark. Aber es ging auch umgekehrt.

Zwischenzeitlich galten die Devisentermingeschäfte allerdings als recht narrensicher, weil beispielsweise die D-Mark als unterbewertet galt. Zudem musste die Deutsche Bundesbank intervenieren, wenn der Dollar-Kurs unter eine bestimmte Grenze sank.

Was Spekulanten wie Dattel verdienten, zahlte letzten Endes die Bundesbank. Der Erfolg hielt zunächst an, als die Bundesbank nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems im Jahre 1971 keine Unterstützungskäufe mehr für fremde Währungen tätigte. Nach der vollständigen Freigabe des Wechselkurses der D-Mark, fiel der Kurs des Dollar gegenüber der bundesdeutschen Währung im Laufe der folgenden Jahre auf 2 zu 1. Scheinbar mühelos verdiente Dattel Geld. "Alle Angestellten dürften nach einer Elf-Punkte-Regelung auch privat spekulieren. Das haben alle getan, Herr Herstatt, die Direktoren, die Sekretärinnen, auch ich", erzählte Dattel später. Lehrlinge fuhren bei Herstatt im Porsche vor. Es herrschte Goldgräberstimmung.

Lesen Sie weiter, wie Dattel das Glück verlies und er innerhalb von Monaten Millionen verzockte.

Dann riss die Erfolgsserie ab. Allerdings verschleierte Dattels Crew die Verluste zunächst durch das "Einbuchen" von Forderungen einer Schweizer Bank. So zeichneten die Wirtschaftsprüfer, beruhigt durch angebliche Überweisungen aus Zürich, die Bilanz ab. Als die Millionenverluste dann sichtbar wurden, sollte es für eine Rettung der Bank zu spät sein. Iwan-David Herstatt, der die Privatbank aufgebaut und als persönlich haftender Gesellschafter geführt hatte, bezeichnete es als tragisch, dass weder die eigenen Revisoren noch die Wirtschaftsprüfer die Kurse mit den tatsächlichen Tageskursen verglichen hätten. Dann wären die Ungereimtheiten wohl schon früher aufgefallen.

Nach dem Zusammenbruch: Besorgte Anleger vor einer Filiale der Herstatt-Bank. (Foto: Foto: dpa)

Die misslungenen Spekulationen hätten die Bank seiner Meinung nach auch nicht in den Abgrund gerissen, wenn sich Dattel an die Limite gehalten hätte. "Über diese Beschränkung setzte sich Dattel hinweg, indem er bei der Firma Nixdorf eine Abbruchtaste bestellte, die es ihm ermöglichte, Geschäfte zehn Tage unverbucht zu lassen (...) somit konnte er die Tagesbilanz manipulieren. Nachträglich habe ich festgestellt, dass Herr Dattel seine Limite zeitweise bis zu 750 Millionen Mark überschritt", schreibt Herstatt in seinem Buch "Die Vernichtung".

Ständig unter Erfolgsdruck

Wer war dieser Dany Dattel? Für die einen war er der verhinderte Schauspieler, der sich immer prächtig in Szene setzen konnte. "Ich wollte Schauspieler werden, doch meine Mutter hatte etwas dagegen," erzählte er selbst. Andere Menschen, deren Weg er kreuzte, sprechen von einem unterhaltsamen und netten Banker. In jedem Fall hatte Dattel 1958 auf Empfehlung der Familie Goldschmidt einen Ausbildungsplatz zum Bankkaufmann bei Herstatt bekommen.

Neun Jahre später war er bereits Chefdevisenhändler und sein Rat gefragt. Er war ein sachkundiger Gesprächspartner, erinnert sich ein Reporter, der Dattel damals mehrfach für den Westdeutschen Rundfunk über Goldgeschäfte interviewte. Dattel kletterte die Karriereleiter schnell hoch. Seine Vorgesetzten hatten Angst, dass ihnen ein größerer Konkurrent den Starbanker abjagen könnte.

Glaubt man Dattel, dann hätte er gerne selbst das Handtuch als Chefdevisenhändler geworfen. Er habe die Bankoberen gebeten, ihm eine andere Tätigkeit in der Bank zu geben, erzählte er später. Er habe unter dem ständigen Zwang zum Erfolg und unerträglichem Stress gelitten. Dies scheint mehr als eine Legende zu sein. Schließlich lagen in dem Handelsraum neben den Telefonen Medikamente, insbesondere Beruhigungsmittel. "Wer uns gesehen hätte, wie wir den ganzen Tag haben schuften müssen. Wir hatten ja überhaupt nicht die Zeit, uns um die Gesamtlage der Bank zu kümmern", gab Dattel als Begründung dafür an, dass er den Zusammenbruch der Bank nicht kommen sah.

Dabei gab es warnende Stimmen. So hatte der Chefrevisor Heinz Laaf auf Missstände im Devisenhandel hingewiesen. Doch die Führungsriege um Privatbankier Herstatt ignorierte die Alarmsignale, hielt Laaf für einen Buchhalter aus einer längst vergangenen Zeit. Glaubt man Dattel, dann wussten seine Vorgesetzten ganz genau, auf welchem Glatteis sich die Bank damals befand.

Ungedeckte Spekulationen

Dann kam im Jahr 1973 eine besonders nervenaufreibende Zeit für die Devisenhändler. Erst stürzte der Dollar binnen sieben Monaten von 3,15 Mark auf 2,28 Mark ab, dann kletterte er wieder auf 2,70 Mark. Irgendwann setzten die Herstatt-Händler wohl auf die falsche Kursentwicklung. Ende des Jahres tuschelte man in der Finanzwelt schon darüber, ob das kleine Institut nicht ein viel zu großes Rad drehte, viele Banken reagierten, indem sie Geschäfte mit Herstatt mit einem Limit versahen. Landeszentralbank und Bankenaufsicht schalteten sich ein. Doch Herstatt beruhigte sie. Dabei verschwieg er, dass die Bank zur Verkleinerung der Devisengeschäfte einige Positionen ein Jahr später verbuchen wollte. Ansonsten hätte es Ende 1973 bereits offene Positionen von 711 Millionen Dollar gegeben - das entsprach dem 23-Fachen des haftenden Eigenkapitals von Herstatt.

Lesen Sie weiter, warum alle Beteiligten hohe Strafen erhielten - außer Dany Dattel.

Im folgenden Frühjahr wird die Lage bedrohlich. Egal, ob der Dollar steigt oder fällt, Herstatt fährt neue Verluste ein. Es folgen hektische Verhandlungen mit Bank, Aufsicht, dem Hauptaktionär sowie den deutschen Großbanken. Als diese von Hans Gerling die Verpfändung von Aktien des Versicherers verlangen und dieser ablehnt, ist es vorbei. Am 26. Juni 1974 läuten die Totenglocken für die Herstatt-Bank.

Bank war nicht zu retten

Es ist ein feuchter, schwüler Sommertag im Rheinland. Iwan-David Herstatt hat sich morgens noch mit einem Architekten getroffen, um über die Fassade einer Zweigstelle zu sprechen. Wenige Stunden später sind die Straßen leer, die Deutschen verfolgen bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land die Partie Deutschland gegen Jugoslawien. Der Banker wird nur einige Minuten fernsehen. Noch vor dem ersten Treffer der deutschen Mannschaft ruft ihn Günter Dürre an, der Chef des Aufsichtsamtes für das Kreditwesen. Die Rettungsaktion für Herstatt sei gescheitert, die Aufsicht habe ihr deswegen die Banklizenz entzogen und die Liquidation angeordnet.

Herstatt verließ die Zentrale, der Taxifahrer fragte ihn, ob sein Fahrer Urlaub habe. Schweigend lässt er sich nach Hause fahren. Wenig später ratterte aus den Fernschreibern im Handelsraum die Nachricht. "Jeder wusste: Wenn eine Bank zumacht, dann macht sie nie wieder auf", erinnert sich ein Bankmitarbeiter. Das Raumschiff Herstatt war zerschellt. Commander Dattel selbst will von der Schließung der Bank erst am Folgetag durch den Nachrichtenticker von VWD erfahren haben. Wenig später versammeln sich verunsicherte Kunden vor den Herstatt-Filialen.

Herstatt selbst gibt Dattel die Schuld an dem Zusammenbruch der Bank. "Ich war total erledigt, mein Lebenswerk war zerstört durch unnötige, hemmungslose Geschäfte eines skrupellosen Spekulanten", schreibt er. Zwei Jahre später wird Herstatt verhaftet und zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Infolge der Bankpleite wird die deutsche Bankenaufsicht verschärft. Gleichzeitig schaffen die Privatbanken einen dauerhaften Feuerwehrfonds zur Einlagensicherung der Kundengelder.

Dattel kommt ungeschoren davon

Vier der Goldjungs wurden wegen illegaler Devisengeschäfte in großem Stil zu Bewährungsstrafen zwischen eineinhalb und zwei Jahren verurteilt. In der Urteilsbegründung betonten die Richter, dass sich Dattel "einmal mehr als Schlüsselfigur der Spekulationsgeschäfte erwiesen habe." Seinem Geschick beim Devisenhandel und der "Verlockung, schnell und risikolos Geld zu verdienen", seien die Angeklagten erlegen. Sie hätten Dattel nur gewähren lassen und keinen eigenen Tatwillen gehabt. Dattel selbst kommt ungeschoren davon. Er, der am Devisenroulette das "große Rad gedreht hatte", litt unter chronischen Angstzuständen. Als Vierjähriger war Dattel in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt worden. Ärzte bescheinigten ihm vor Gericht nun ein KZ-Syndrom, welches nach der Verhaftung ausgebrochen sei. Mehrere Gutachter erklärten Dattel für verhandlungsunfähig. Damit wird das Revisionsverfahren gegen ihn aus gesundheitlichen Gründen eingestellt.

Dattel lebt heute im Kölner Stadtteil Sülz, in einem dreistöckigen Appartementhaus mit Tiefgarage, Dachterrasse und Überwachungskamera. Wenige Kilometer weiter empfängt Schaeper einmal im Jahr die letzten Aktionäre der Privatbank in Liquidation. Darunter ist auch ein Mitarbeiter des ehemaligen Großaktionärs Gerling. Jahrelang kam ein Notar und zählte zwei Tage lang die 35.000 Aktien der Bank, die noch in einem Tresor bei Gerling lagen. Eines Tages beendete der zuständige Mitarbeiter die Prozedur, der Tresor wurde versiegelt.

© SZ vom 11.3.2008/sme/jkf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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