SZ-Serie: Die großen Spekulanten (3):Der Puppenspieler

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Michael Milken ließ die amerikanische Geschäftswelt nach seiner Pfeife tanzen - bis er für seine Deals mit Ramschanleihen in den Knast wanderte.

Martin Hesse

Michael Milken ist 19 Jahre alt, als sich in Los Angeles die Wut der Schwarzen gegen Unterdrückung und Diskriminierung in schweren Unruhen entlädt. Am 11. August 1965 und in den Tagen danach sterben in dem Stadtteil Watts mehr als 34 Menschen. Der wohlbehütet im kalifornischen Encino aufgewachsene Milken studiert zu der Zeit Mathematik in Berkeley. Den Warnungen seines Vaters zum Trotz fährt er nach Watts, um die Gründe für den Aufstand zu verstehen. Was er dort erlebt, beschreibt er viele Jahre später in einem Interview als Schlüsselerlebnis für sein Leben als Spekulant und Financier: "Der wichtigste Wendepunkt in meinem Leben waren die Watts-Unruhen."

Michael Milken - der frühere Chef von General Electric sagte als Zeuge vor Gericht über ihn: "Mr. Milkens Anrufe waren außergewöhnlich höflich ... Er war sehr verführerisch, sehr charmant" (Foto: Foto: ap)

Sein Ziel: Die Demokratisierung des Kapitals

Er sieht, wie schwarze Arbeiter ihre eigenen Fabriken in Brand stecken und fragt sie, warum sie das tun. Sie antworten ihm, dass es ja die Fabriken der Weißen seien und sie selbst nie die Chance bekämen, eine eigene Existenz aufzubauen, weil niemand ihnen Kredit gebe.

20 Jahre später vergibt niemand in den USA so viele Kredite wie Milken. Er gibt sie nicht dem Establishment, sondern Aufsteigern und aggressiven Firmenkäufern, die der amerikanischen Unternehmenselite den Kampf angesagt haben. Sein erklärtes Ziel ist die Demokratisierung des Kapitals, seine Waffe sind Schrottanleihen (Junk-Bonds) - hoch verzinste Darlehen, mit denen Firmen Wachstum und Übernahmen in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß finanzieren.

"Geld hat mich nie motiviert"

Milken erschafft ein Junk-Bond-Imperium. Auf dem Höhepunkt seiner Ära werden Hochzinsanleihen im Wert von mehr als 200 Milliarden Dollar gehandelt, etwa ein Drittel davon über seinen Schreibtisch bei der Investmentbank Drexel Burnham. Milken verdient schwindelerregende Summen: Allein 1987 kassiert er 550 Millionen Dollar, mehr als den damaligen Jahresgewinn der Deutschen Bank. Bis heute gilt Milken deshalb vielen als Symbol für Gier und Größenwahn. Er selbst behauptet in dem Magazin Fortune einmal: "Geld hat mich nie in meinem Leben motiviert." Er sieht sich vielmehr auf einer Mission.

Nach den Unruhen in Watts fährt Milken zurück nach Berkeley und sattelt auf Wirtschaft um, um aus einer vagen Idee einen konkreten Plan zu machen. Später wechselt er an die Wharton School der Universität von Philadelphia und stößt auf eine Studie des wenig bekannten Ökonomen Braddock Hickman. Seine Kernerkenntnis: Anleger erzielen mit niedrig bewerteten Anleihen eine bessere Rendite als mit höher bewerteten Anleihen. Das Risiko, dass Unternehmen mit schlechter Bonität ihre Schulden tatsächlich nicht zurückzahlen, sei weit geringer als gemeinhin angenommen.

Mit Hickmans Studie im Gepäck zieht Milken später für Drexel Burnham von einem Investor zum nächsten, um sie von dem Kauf von Ramschanleihen zu überzeugen. Doch dazu bedarf es einer kleinen Revolution. Viele dieser Fonds durften nur in Anleihen investieren, die mit einer guten Note von Ratingagenturen wie Standard & Poor's ausgestattet sind. Milken wirft den Agenturen vor, ihre Ratings rückwärtsgewandt zu vergeben. Junge, kleine Firmen oder solche, die gerade eine schwierige Phase durchmachten, hätten so keinen Zugang zu Kapital - wie einst die Schwarzen von Watts.

Milkens wahres Genie

Milken überzeugt die Investoren und Unternehmen. Wie er es versteht, Menschen das Gefühl zu geben, sie seien mit ihm auf einer Mission, verdeutlicht ein Zitat des früheren Chefs von General Electric, Jack Welch. "Mr. Milkens Anrufe waren außergewöhnlich höflich... Er war sehr verführerisch, sehr charmant", sagte Welch in einer Zeugenaussage vor Gericht. Milken sei die Sorte Mensch, "die so verführerisch sind, dass man ihnen von seinen innersten Geheimnissen erzählt, seinem Sex-Leben, seinem ganzen Leben, einfach alles".

Tatsächlich tanzen gestandene Manager nach seiner Pfeife. Milken bringt es fertig, Firmenvorstände um vier Uhr morgens zur Besprechung in sein Büro zu bestellen. "Darin bestand Milkens wahres Genie", schreibt die New York Times 1988. "Es war nicht das, was er mit seinem eigenen Geld anstellte, ... sondern das Netzwerk von Vermögenden, das er in Gang setzte, um die von ihm erträumten Geschäfte umzusetzen."

So finanziert Milken den Aufstieg von CNN-Chef Ted Turner oder der Telefongesellschaft MCI zur Nummer zwei der Branche. Die dankbarsten Abnehmer für seine Ramschanleihen findet er aber in den berüchtigten Firmenkäufern der achtziger Jahre wie Ivan Boesky, Henry Kravis oder Carl Icahn. Am Rande seiner jährlichen Investorenkonferenzen im Beverly Hills Hotel in Los Angeles schart er die Firmenjäger um sich, und sie ersinnen Pläne, um mit schuldenfinanzierten Übernahmen die etablierte Unternehmenswelt auszuhebeln. Das Volumen der fremdfinanzierten Übernahmen steigt von elf Milliarden Dollar zwischen 1978 und 1982 auf 182 Milliarden Dollar in den folgenden fünf Jahren. Als "Predators Ball", Raubtierball, gehen die Treffen in die Geschichte ein und liefern Stoff für Filme und Bücher wie Wall Street und Fegefeuer der Eitelkeiten.

Milken selbst scheint völlig unempfänglich für das ausschweifende Leben derer, die er finanziert. Er heiratet die Frau, mit der er schon als Schüler ausging, und arbeitet mit an Besessenheit grenzender Disziplin. Seine Arbeitstage beginnt er um halb vier morgens. Abends um halb acht schleppt er noch dicke Aktentaschen mit nach Hause.

Ende der achtziger Jahre fällt der von Milken angefeuerte Boom in sich zusammen. Viele der von ihm finanzierten Firmen können ihre Schuldenlast nicht mehr tragen. Zugleich verlieren Investoren das Vertrauen in Junk-Bonds, zumal ihr größter Vermarkter nicht mehr die Werbetrommel für sie rühren kann: 1990 verurteilt die Richterin Kimba Woods Milken zu zehn Jahren Gefängnis. Ans Messer geliefert hat ihn der Firmenjäger Ivan Boesky, der selbst bereits wegen Insiderhandel einsaß. Milken hatte 1986 die Übernahme der Filmstudios MGM durch Ted Turner finanziert. Boesky sagte aus, Milken habe ihn vor der Übernahme aufgefordert, MGM-Aktien zu kaufen. Der Kurs schoss nach der Übernahme nach oben, Milken und Boesky teilten sich den Gewinn.

Kampf gegen die Krankheit

Doch schon 1993 kehrt Milken zurück. Ein Großteil seiner Strafe wird ihm wegen guter Führung erlassen. Doch bald gerät er als Strippenzieher zahlreicher Übernahmen wieder in das Visier der Staatsanwälte, weil ihm die Gerichte verboten hatten, jemals wieder in Wertpapiergeschäfte einzugreifen. Warum riskiert Milken eine erneute Gefängnisstrafe, wo er doch angeblich nicht an Geld interessiert ist? "Konnte er einfach dem Kitzel nicht widerstehen, Deals zu machen?", fragt der New Yorker 2001.

Milken lässt schließlich von den Fusionsgeschäften ab - sei es auf Druck der Staatsanwälte oder weil er seine Mission als erfüllt ansieht, die Kapitalmärkte zu demokratisieren, wie er es selber darstellt. Vor allem aber stellt sich Milken seit 1993 noch einer anderen Aufgabe: Dem Kampf gegen den Prostatakrebs, der kurz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis diagnostiziert wird. Er widmet sich ihm bis heute mit dem gleichen Arbeitseinsatz wie zuvor dem Junk-Bond-Geschäft und macht das Thema Gesundheit zum Zentrum seiner philantrophischen Tätigkeit. Auch im Kampf gegen die Krankheit zeigt sich noch einmal Milkens fast naiver Glaube an das "Alles ist möglich" des amerikanischen Traums. Als eine Businees-Week-Reporterin ihn 1999 besucht, trifft sie ihn meditierend im Schneidersitz an, die Ellebogen auf den Knien, die Hände ausgestreckt, die Augen geschlossen: "Wissen Sie, wenn man wirklich gut ist, dann kann man sogar aufhören zu atmen."

© SZ vom 05.02.2008/sma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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