SZ-Serie: Die großen Spekulanten (28):Gauner im Maßanzug

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Der Italiener Charles Ponzi verspricht, dass jeder sein Geld in nur drei Monaten verdoppeln kann - damit verdient er Millionen. Am Ende vertraut ihm sogar Mussolini.

Alexander Mühlauer

Ob er sich an diesem Morgen ausmalte, was für ein Aufruhr ihm bevorstand, dass sie ihm wie einem Messias zujubeln und vertrauen würden, in dem Glauben, endlich reich zu werden; schwer zu sagen, wahrscheinlich ist es nicht. Hätte er an diesem Morgen doch die Boston Post gelesen, dann hätte er wenigstens eine Ahnung gehabt.

Boston, Massachusetts im Jahr 1936. (Foto: Foto: AP)

"Verdoppeln Sie Ihr Geld in drei Monaten"

So sitzt er an diesem 24. Juli 1920 im Fond seines strahlend blauen Locomobiles, des teuersten Autos im Amerika der zwanziger Jahre, und lässt sich in die School Street chauffieren. In der School Street, Nummer 27, Boston, Massachusetts hat Charles Ponzi sein Büro.

Vor dem Haus wartet eine Menschenmasse. Sie schreit, tobt, flippt völlig aus, als sie Ponzis Locomobile in die Straße einbiegen sieht. Die meisten Leute haben die Boston Post in der Hand. Auf der Titelseite steht in fetten Buchstaben die Schlagzeile, die die Menschen in die School Street getrieben hat: "Verdoppeln Sie Ihr Geld in drei Monaten."

Am Tag zuvor hatte ein Reporter der Post Charles Ponzi besucht. Er wollte wissen, was dran sei an den Geschäften Ponzis, an seinem strahlend blauen Locomobile, seinen maßgeschneiderten Anzügen, seinen Seidenkrawatten. Und Ponzi erklärte dem Reporter genüsslich, wie das geht, dass jeder sein Geld in nur drei Monaten verdoppeln könne.

Das hat Ponzi nun davon. Die euphorisierte Masse stürzt sich auf ihn, wie Paparazzi auf Popstars oder angetrunkene Thronfolger des britischen Königshauses. So ist das eben, wenn Menschen auf den Messias, den Erlöser warten.

Jeder will ihn anfassen, jeder an ihm zerren. Macht aber nichts. In den nächsten Wochen wird Ponzi so viel Geld von den Menschen einsammeln, da können die ruhig an seinem Maßanzug zerren.

Keine Lust auf Arbeit

Der Reporter hatte in der Titelstory ausführlich den Lebensstil Ponzis beschrieben: Er sei ausgestattet mit dem Besten, trotzdem habe man nicht den Eindruck eines neureichen Italieners. Wenn die Menschenmasse in der School Street irgendetwas Negatives über Ponzi in Erfahrung hätte bringen wollen, so stand es nicht der Boston Post.

Dabei hätte es so einiges gegeben. Carlo Ponzi, geboren 1882 in Norditalien, studiert an der Universität Rom lieber Frauen auf der Spanischen Treppe als Bücher in der Bibliothek. Er hat keine Lust auf das, was man Alltag nennt.

Zum Alltag gehört ja auch Arbeit; und auf die hat er gar keine Lust. Er verschläft lieber den Tag und erliegt dem Nachtleben, diesem großen Versprechen, das ihn mit der Aussicht auf Unterhaltung, Rausch und neue Gesellschaft immer wieder lockt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Ponzi seine gierigen Kunden anlockte.

Ein Onkel von Carlo sieht, dass so nichts aus dem Jungen werden könne. Er schlägt ihm vor, sein Glück in den Vereinigten Staaten zu versuchen, dort seien die Straßen zurzeit mit Gold gepflastert. Von seiner Familie bekommt Carlo Ponzi eine Fahrkarte und 200 Dollar.

Als er, 21 und voller Neugier auf die goldenen Möglichkeiten Amerikas, an Bord der S.S. Vancouver 1903 in Boston ankommt, erkennt er, dass die Straßen vor allem eines sind: voller Dreck. Später wird Ponzi sagen: "Ich landete in Amerika mit nichts als 2,50 Dollar in bar und einer Million Dollar in meiner Hoffnung, und diese Hoffnung hat mich nie verlassen."

Aufmerksamer Lehrling

An der Ostküste arbeitet er als Tellerwäscher in schäbigen Hotels, schläft auf dem kalten Küchenfußboden, lernt fleißig Englisch und nennt sich Charles. Er steigt zum Kellner auf, darf sich auch um die Buchhaltung kümmern, so lange, bis sein Chef merkt, dass ihn der junge Kerl aus Good Old Europe übers Ohr haut. Charles Ponzi fliegt und flieht nach Kanada, wo er in Montreal bei einer Bank anheuert.

Dort lernt er viel für seine späteren Betrügereien, besonders von Bankchef Luigi Zarossi, seinem Patron. Der verspricht jedem italienischen Neukunden sechs Prozent Zinsen auf sein Erspartes. Kein schlechter Deal, drei Prozent sind üblich.

Klar, dass Zarossis Rechnung nicht aufgeht. Er kann das Zinsversprechen nur halten, weil er im großen Stil Geld von Konten der Neuanleger abzweigt, um damit langjährige Kunden auszubezahlen. Ein System, das zum Kollaps verdammt ist. Das weiß auch Zarossi. Eines Tages räumt er die Konten leer und setzt sich mit dem Geld nach Mexiko ab.

Auch Ponzi, der im Haus der Zarossis lebt, kann nicht mehr in Kanada bleiben. Er will zurück in die USA, um sich dort mit einem ähnlichen Geschäftsmodell den Traum vom großen Geld zu erfüllen. Um den Neustart in Amerika finanzieren zu können, fälscht er einen Scheck über 423,58 Dollar, wird erwischt und muss drei Jahre hinter Gitter.

Nach 20 Monaten wird Ponzi entlassen. Wegen guter Führung. Im Knast hat ihn ein italienischer Gangster, für den er Briefe übersetzte, auf eine Idee gebracht. Ponzi will eine Export-Zeitschrift herausgeben. Dabei entdeckt er die Sache mit den Rückporto-Kupons.

Ausgeklügeltes Schneeballsystem

Ein Mann aus Spanien schreibt Ponzi und bittet ihn, ein Magazin gegen einen Kupon nach Europa zu schicken. Den Kupon hat der Spanier in seiner Heimat für einen Cent gekauft. Bei der US-Post bekommt Ponzi dafür eine Sechs-Cent-Briefmarke. Sechsmal so viel.

Was also, wenn er einen Strohmann beauftragt, im Ausland massenhaft Rückporto-Kupons zu kaufen, die er in Amerika für den sechsfachen Wert eintauschen könnte, um sie anschließend zu Geld zu machen? Na, hoppla, das wäre doch: eine Riesensache!

Die Riesensache funktioniert. Zunächst. Die Menschen werfen Ponzi, man muss es so sagen, das Geld hinterher. Zehntausende lassen sich vom Traum, schnell reich zu werden, blenden, kaufen Anteile zwischen zehn und 50.000 Dollar. Es scheint alles wunderbar zu sein: Ponzi zahlt den ersten Anlegern die versprochenen Renditen aus. Das kann er auch, weil jeden Tag immer neues Geld in sein System fließt.

Charles Ponzi hat das Schneeballsystem neu erfunden. Amerikaner sprechen dabei von der alten Schwindelei nach dem Motto "Robbing Peter to pay Paul" ("Beraube Peter, um Paul zu zahlen"). Das Problem ist nur: Die langen Laufzeiten der Post und die Formalitäten beim Umtauschgeschäft mit Devisen kosten zu viel Zeit und machen Ponzi einen Strich durch die Rechnung. Es ist nur noch eine Frage von Monaten, dass sein System kollabieren wird.

Bis es soweit kommt, verdient Ponzi erst einmal. Es dauert nicht lang, und er nimmt eine Million Dollar ein - pro Woche, später angeblich pro Tag. Es gibt Zeiten, da können seine Mitarbeiter in der School Street das Geld gar nicht so schnell annehmen, wie es ihm zerfließt. So auch am Morgen des 24. Juli 1920, als die Boston Post über Ponzis Prinzip der Geldanlage schreibt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Ponzi eine italienische Airline anvertraut bekam.

Der Mann aus Parma ist innerhalb weniger Monate mehrfacher Millionär. Er stapelt die Geldscheine in Schubläden, auf dem Fußboden, sogar in Papierkörben. Ponzi kann sich gar nicht so viele luxuriöse Autos, Anzüge und Häuser kaufen - es ist einfach zu viel Geld da, um alles ausgeben zu können.

Der Italiener lebt das Leben eines Dandys, mit Gehstock in der Hand und Borsalino auf dem Kopf. Solange, bis ihm eine unbezahlte Rechnung zum Verhängnis wird. Als ein Journalist enthüllt, dass Ponzi einem Möbelhändler sein Geld nicht zurückzahlt, fallen die Reporter über Ponzi her, so wie damals die Menschen in der School Street.

Günstling Mussolinis

Immer mehr Anleger fordern ihr Geld zurück. Ponzi kann nicht anders; er zahlt sie aus. Doch die Zweifel an seinem System verschwinden nicht. Sie halten sich hartnäckig, in den Schlagzeilen der Zeitungen und in den Köpfen der Anleger. Und damit nicht genug: Auch das Finanzamt interessiert sich mehr und mehr für die Machenschaften des gut aussehenden, redegewandten Italieners.

Wochenlang beschäftigt sich die Behörde mit Ponzis Vermögen. Von den 15 Millionen Dollar, die er von 40.000 Sparern bekommen hat, kann das Finanzamt nur 1,5 Millionen sicherstellen. Als die Zeitungen dann noch die Geschichten über Ponzis Vorstrafen drucken, stürmen wütende Kunden das Büro in der 27 Scholl Street. Sie wollen ihr Geld zurück. Doch es ist weg. Einfach weg.

Ponzi wird in Boston zu fünf Jahren Haft verurteilt, sitzt die Zeit ab, geht nach Florida, nennt sich Charles Borelli und baut wieder ein Schneeballsystem auf. Er verkauft Grundstücke und verspricht sagenhafte Gewinne. Dass die Grundstücke im Sumpfgebiet liegen, verschweigt er. Ponzi wird verhaftet und sitzt wieder im Knast. Wieder in Boston.

Danach verfrachten die Amerikaner Ponzi auf ein Schiff und schieben ihn in seine Heimat ab. In Italien ist er ein Held. Er genießt den Ruhm des bewunderten Gauners im Maßanzug.

Auch Staatschef Mussolini findet Gefallen an dem Betrüger, der die Amerikaner hinters Licht führte. Er schickt Ponzi nach Brasilien und lässt ihn dort das Geschäft einer neu gegründeten italienischen Fluglinie leiten. Im Zweiten Weltkrieg verliert Mussolini seine Airline und Ponzi seinen Job.

In Brasilien erleidet Charles Ponzi einen Schlaganfall, kann fast nichts mehr sehen und ist einseitig gelähmt. Der ehemalige Multi-Millionär ist 65 Jahre alt, als er in der Armenstation eines Krankenhauses in Rio de Janeiro stirbt. Die Kosten seiner Beerdigung deckt die staatliche Pension nur knapp.

© SZ vom 05.08.2008/jpm/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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