SZ-Serie: Die großen Spekulanten (25):"Er ist nicht Gott. Aber auf dem Weg dorthin"

Lesezeit: 5 Min.

Einst wurde er in den Himmel gelobt. Doch dann brachte John Meriwether mit seinem Hedgefonds LTCM das Weltfinanzsystem ins Wanken. Zwei Nobelpreisträger halfen ihm dabei.

Ulrich Schäfer

Mit dem Zug fährt man von der Grand Central Station in New York exakt 37 Minuten, dann steht man auf dem Bahnhof von Greenwich in Connecticut. Die Stadt am Long Island Sound hat sich zu einem beliebten Refugium für Wall-Street-Banker entwickelt. Wer hier ein durchschnittliches Haus kaufen will, muss 1,7 Millionen Dollar hinlegen. Wer mit dem Auto unterwegs ist, fährt natürlich Oberklasse: In Greenwich gibt es 3769 BMWs, 3473 Mercedes-Benz, 931 Porsches, 94 Ferraris, 90 Bentleys, 65 Aston Martins, 40 Maseratis, 39 Rolls-Royces, vier Maybachs und einen Lamborghini.

Der gläubige Katholik John Meriwether, der nach Lourdes und Fatima pilgerte, galt als überaus wagemutig. (Foto: Foto: AP)

Weltfinanzmärkte kurz vor dem Kollaps

Niemand ahnt, dass hier, in einem vierstöckigen Gebäude in der Steamboat Road 600, in den 90er Jahren ein kleines Unternehmen saß, das die Weltfinanzmärkte an den Rand des Kollapses gebracht hat. Sein Name: Long-Term Capital Management, kurz LTCM. Sein Gründer: John Meriwether. Dieses Unternehmen steht wie kaum ein anderes für den schnellen Aufstieg und den schnellen Fall in der Finanzindustrie, aber auch für die Gefahren des globalen Kapitalismus. Es ist zum Symbol der Selbstüberschätzung und der Gier geworden.

LTCM ist ein Hedgefonds. Diese hochriskanten Zockerklubs sammeln ihr Geld bei reichen Privatleuten, die auf eine Extrarendite schielen, außerdem bei Pensionsfonds und Versicherungen. Sie haben ihren juristischen Sitz meist in einer Steueroase, in der sich keine Aufsichtsbehörde für ihr Treiben interessiert, LTCM etwa auf den Cayman Islands. Und sie wollen besonders schnell viel Gewinn machen. Deshalb leihen sich Hedgefonds bei den Banken meist ein Mehrfaches dessen, was sie bei ihren Investoren eingesammelt haben; dadurch können sie ihren Einsatz vervielfachen.

Der größte Hedgefonds der Erde

Niemand geht dabei derart aggressiv vor wie Meriwether. Im Jahr 1998 verfügt sein Fonds über Einlagen von 4,7Milliarden Dollar, hinzu kommen Schulden von 120 Milliarden Dollar. Diese gewaltige Summe steckt Meriwether in hochkomplexe Finanzinstrumente, an denen wiederum Wertpapiere im Wert von bis zu 1,5 Billion Dollar hängen. Der Hedgefonds aus der Steamboat Road bewegt damit mehr Geld, als Österreich oder Spanien in einem ganzen Jahr erwirtschaften; es ist der mit weitem Abstand größte Hedgefonds der Erde.

Auf der nächsten Seite: Ehrfurcht vor dem "Archimedes" der Finanzmärkte: "Er ist nicht Gott. Aber er ist auf dem Weg dorthin"

LTCM arbeitet anfangs auch überaus erfolgreich. Das Wirtschaftsmagazin Forbes bezeichnet ihn deshalb als "Archimedes", Business Week tituliert ihn als "Super-Händler" und ein amerikanischer Investmentbanker sagt über ihn: "Er ist nicht Gott. Aber er ist auf dem Weg dorthin."Meriwether, ein gläubiger Katholik, der bereits nach Lourdes und Fatima gepilgert ist, gilt als überaus wagemutig. Bei der Investmentbank Salomon schafft er es mit seinen riskanten Geschäften fast bis an die Spitze. Doch 1991 fliegt ein Skandal in seiner Abteilung auf, ein Händler hat seine Geschäfte mit amerikanischen Staatsanleihen manipuliert. Er muss gehen - und Meriwether auch.

Ein Spitzenteam mit zwei Nobelpreisträgern

Als der Mann aus Greenwich ins Geschäft zurück kehrt, will er es allen zeigen. Meriwether gründet seine eigenen Hedgefonds, der kühner sein soll als alle anderen. Er schart die besten Investmentbanker um sich, die er finden kann, darunter zahlreiche Kollegen von Salomon. Er heuert die besten Professoren und Doktoren der Finanzwissenschaft an, darunter Myrton Scholes und Robert Merton. Die beiden haben in den 70er Jahren die Gleichung entwickelt, mit der Banken und Anleger seither den Preis von Optionen berechnen, und erhalten dafür 1997 den Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften.

Die Akademiker liefern die Computer-Formeln für ein scheinbar todsicheres Geschäft. Denn Meriwether wettet darauf, wie sich die Kurse von zwei Wertpapieren zueinander entwickeln. Entdecken die Computer, dass sich eine Staatsanleihe und eine Firmenanleihe, deren Kurse in der Vergangenheit immer einer bestimmten Abstand hatten, auseinander bewegen, schlägt LTCM zu. Der Fonds spekuliert darauf, dass der übliche Abstand sich wieder einstellen wird.

Die "Raketenwissenschaft" vom Reichwerden

Wenn man die richtigen Computerprogramme hat, lässt sich dieses Geschäft auf jede beliebige Anlageart übertragen: dänische oder russische Anleihen, Devisen- und Zins-Swaps, Hypotheken- oder Mittelstandskredite. Überall driften Papiere um ein paar Zehntel auseinander, überall lässt sich, wenn man dies entdeckt, Geld verdienen. "Raketenwissenschaft" nennen Hedgefonds diese Kunst, scheinbar ohne Risiko reich zu werden.

Vier Jahre lang geht das gewagte Spiel gut. Meriwether und seine Partner sitzen in Chinohosen und Polohemden im Büro, und zwischendurch fahren sie mit der Yacht zum Angeln auf den Long Island Sound hinaus. LTCM erwirtschaftet eine Rendite von 43 Prozent im Jahr 1995 und von 41 Prozent im Jahr darauf. Doch dann passiert im Sommer 1998 etwas, was die Finanzwissenschaftler in ihren Formeln nicht vorgesehen haben: Russland gerät in den Strudel der Asienkrise, die Regierung in Moskau kann ihre Schulden nicht mehr bedienen.

Fürchterliche Folgen

Rund um den Globus spielen daraufhin die Börsen verrückt. Alle Modelle, mit denen LTCM bis dahin kalkuliert hat, geraten durcheinander. Es ereignet sich an den Märkten genau das Gegenteil dessen, was die Computer in Greenwich errechnet haben. Die Folgen sind fürchterlich: Bis Mitte August verliert LTCM eine Milliarde Euro. Meriwether versucht, frisches Geld aufzutreiben. Doch als am 31. August die Börsen erneut abstürzen, zerschlägt sich diese Hoffnung. In den nächsten vier Wochen verliert LTCM weitere zwei Milliarden Dollar.

Auf der nächsten Seite: Auch die Deutsche Bank zahlte, um die Kernschmelze des Weltfinanzsystems abzuwenden

Die Federal Reserve Bank of New York, der örtliche Ableger der amerikanischen Notenbank, verfolgt mit Sorge, wie der Hedgefonds taumelt. Sie ahnt, dass die Risiken für die Weltfinanzmärkte gewaltig sein können. Mitte September wollen die Aufseher es genauer wissen: Wie viel schuldet Meriwether den einzelnen Banken? "Niemand konnte dies quantifizieren. Deshalb war das ganze so furchterregend", wird später ein führender Wall-Street-Banker sagen.

Die Banken zahlen Millionen

Am 22. September trommelt die Federal Reserve deshalb morgens um 7.30 Uhr erstmals fünf hochrangige Banker zusammen, darunter Douglas Warner, Chairman von J.P. Morgan und Herbert Allison, Vorstandschef von Merrill Lynch. Die Banken haben zugleich ihre Teams nach Greenwich entsandt, um die Bücher von LTCM zu durchleuchten. Am Abend werden sechs weitere Banken zu einer zweiten Krisensitzung hinzugebeten. Nun ist klar: Selbst wenn LTCM binnen weniger Stunden sämtliche Wertpapiere verkaufen würde, könnte der Hedgefonds seine Verpflichtungen nicht mehr erfüllen. Die Zeit drängt.

Als am nächsten Morgen gegen 10.40 Uhr der New Yorker Fed-Chef William J. McDonough zur dritten Krisenrunde bittet, sieht es zunächst so aus, als stünde ein Retter bereit. Warren Buffett, der große Investor, bietet an, LTCM zu kaufen. Doch zweieinhalb Stunden später platzt das Geschäft; die Gründe sind bis heute unklar. Liegt es daran, dass Buffett Meriwether und seine Partner ganz aus ihrer Firma herausdrängen will? Möchte der LTCM-Gründer dies verhindern?

Der mächtigste Hedgefonds-Manager ist gescheitert

Nun müssen die Topbanker der Wall Street, getrieben von der Notenbank, selbst eine Lösung finden. Sie streiten sich. Die Anspannung ist groß. Am Ende aber legt jeder zwischen 100 und 350 Millionen Dollar auf den Tisch, um LTCM zu retten; auch drei europäische Institute, darunter die Deutsche Bank, beteiligen sich. Nur die Investmentbank Bear Stearns sagt, sie wolle keine weiteren Risiken eingehen. Insgesamt sind 3,6 Milliarden Dollar nötig, um die Kernschmelze des Weltfinanzsystems abzuwenden. Meriwether wird zugleich beauftragt, die Reste seiner Firma selbst abzuwickeln.

Der mächtigste Hedgefonds-Manager aller Zeiten ist gescheitert, doch er kann es nicht lassen. Nur ein Jahr nach der Pleite gründet Meriwether eine neuen Fonds namens JWM Partners. Das Geschäftsmodell ist dasselbe wie bei LTCM: Mit seinen Computern spürt JWM Partners untypische Kursdifferenzen auf und wettet viel Geld darauf, dass sich die Kurse wieder auf ihr normales Niveau zurückbewegen.

Doch die Finanzkrise bringt Meriwether im Frühjahr 2008 erneut in Not. JWM verliert in den ersten drei Monaten des Jahres 31 Prozent. Der Fonds hat sich mit japanischen Staatsanleihen verzockt. Und so muss Meriwether in einem Brief an seine Anleger kleinlaut einräumen: "Wir haben das Risikoprofil des Portfolios stark zurückgefahren."

© SZ vom 08.07.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: