Jedes Wort, das Yasuo Hamanaka zum Kupfer sagte, trieb den Preis des häufig verwandten Metalls weltweit hoch. Dafür nannte man ihn "Kupferfinger". Und weil er fünf Prozent des Weltmarkts kontrollierte, auch "Mr. Five Percent".
Hamanaka war in Tokio Metallhändler bei Sumitomo Trading, der Handelstochter des japanischen Mischkonzerns Sumitomo. Und er war ein Star in seiner Branche. Bis er am 5. Juni 1996 - amerikanische und englische Fahnder ermittelten bereits - seinen Chefs eröffnete, mit heimlichen Deals Verluste von 1,6 Milliarden Dollar angehäuft zu haben.
In den Monaten zuvor hatte Hamanaka zu trinken begonnen; der stets freundliche, lächelnde Kupfer-Guru war innerlich zusammengebrochen. Geschockt entließen die Sumitomo-Bosse ihren Star, und das Fiasko gelangte nach einer kurzen internen Untersuchung an die Öffentlichkeit. Auch diese reagierte geschockt. 1,6 Milliarden Dollar - bald waren es sogar 1,8 Milliarden Dollar: einen solchen Verlust hatte es bis dahin nie gegeben.
Schockiert war auch Eiichiro Tokumoto: "Ich fühlte mich schuldig und schäme mich, eigentlich bis heute." Der inzwischen 44-jährige Japaner war damals Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters für den Metallhandel in Tokio. Er hatte jene Worte, mit denen der Kupferfinger die Märkte manipulierte, verbreitet.
Gewundert habe er sich zuweilen schon, so Tokumoto: "Wie konnte ein durchschnittlicher Salaryman", so nennt man in Japan die Armee der gesichtslosen Büroangestellten, "der in einem kleinen Haus in Kawasaki", einem unattraktiven Vorort von Tokio, "mit zwei Kindern, einem Hund und einem Kleinwagen wohnte, ein Star-Trader sein?" Er hätte härter fragen sollen, meint Tokumoto heute.
Buch über "Kupferfinger"
Er nahm später Urlaub, um den Fall in London und New York zu recherchieren. Er war einer der wenigen Journalisten, die den Gerichtsprozess gegen Hamanaka verfolgten. An Stelle eines Sachbuchs schrieb Tokumoto, sicherlich der beste Kenner des Falles, schließlich - auf Anraten seines Verlegers - einen Schlüsselroman: "Squeeze".
In dem Buch spürt ein Reporter einem Kupfer-Trader mit zwei Kindern, einem Hund, einem alten Auto und einem kleinen Haus nach, der in seiner Branche ein Star ist. Abgesehen von Sex & Crime, um die Tokumoto die Geschichte angereichert hat, hielt er sich streng an die Fakten. Eigentlich ein Filmskript. Während die internationalen Medien Hamanaka als Spieler schilderten, der fast zwei Milliarden Dollar verjubelte, zeichnet Tokumoto ein anderes Bild: "eine griechische Tragödie".
Zehn Jahre habe Hamanaka verzweifelt versucht, mit versteckten Geschäften einen Verlust auszugleichen, den die Kupfer-Handelsabteilung von Sumitomo bereits Mitte der 80er Jahre erlitt. Damals war Hamanaka noch nicht einmal deren Chef, nur der Vize. Der Leiter der Kupferhändler, die über Jahre lausig gearbeitet hatten, ist gerichtlich nie belangt worden. Beim Prozess gegen Hamanaka sagte er als Zeuge aus.
1998 verurteilte ein Tokioter Gericht Hamanaka wegen Fälschung und Betrugs zu acht Jahren Gefängnis. Seine Berufung wurde abgelehnt. Er saß sechs Jahre ab, im Sommer 2004 wurde er entlassen. Und begann mit 54 ein neues Leben: Zuerst absolvierte er wieder die Führerscheinprüfung.
Für die Öffentlichkeit war der Fall mit dem Urteil abgeschlossen: ein krimineller Einzeltäter. Niemand fragte, was den braven Angestellten veranlasst hatte, plötzlich die Unterschriften seiner Bosse zu fälschen und Millionen-Kredite von anderen Sumitomo-Filialen zu erschleichen, etwa 770 Millionen Dollar von jener in Hongkong, um mit dem Geld nachts heimlich zu tun, was er tagsüber schon tat: Kupfer und Kupfer-Futures zu handeln. Futures sind Termingeschäfte, also Abmachungen über Geschäfte in der Zukunft.
Die Motive von Hamanaka
Was konnte Hamanakas Motiv sein, wenn nicht Geldgier? "Angst", sagt Tokumoto. "Hamanaka und sein damaliger Chef fürchteten, ihr erster Verlust würde entdeckt." Ihrer Generation seien Pannen nie verziehen worden. "Ein einziger Fehler, und man wurde zurückgestuft - auf jeden Fall nicht befördert."
Demnach wäre Hamanaka in die Illegalität geschlittert, weil er gesellschaftskonform bleiben wollte. Sicher sei der Trader schuldig, aber die damalige japanische Unternehmenskultur habe mit dem Druck, der auf dem Angestellten lastete, zu Hamanakas Absturz beigetragen, meint der Autor.
Gewiss legte sich Hamanaka, als er sich daran gewöhnt hatte, illegal Millionen zu scheffeln, ein Geheimkonto in der Schweiz zu und eine teure Geliebte aus einem Club im Vergnügungsviertel Ginza. Mit ihr machte er einige Luxus-Reisen.
Damit führte er nicht mehr nur bei der Arbeit ein Doppelleben - tagsüber handelte er offiziell; nachts, wenn die Börsen in London, die London Metall Exchange (LME), und New York offen waren, heimlich -, sondern auch privat. Aber das kam später - eher eine Folge seines illegalen Treibens als das Motiv. Fragen muss man auch: Wie konnte er zehn Jahre lang betrügen, und niemand verdächtigte ihn, wie später behauptet wurde?
Hat wirklich niemand Verdacht geschöpft? In Tokio wurde schon 1991 gegen Hamanaka ermittelt, im gleichen Jahr meldete ein Broker der Londoner Börse, Hamanaka hätte ihn gebeten, fiktive Kupferverkäufe zu bestätigen. Nur die Sumitomo-Bosse sollen nichts geahnt haben. Vermutlich wollten sie es nicht, oder, wie Tokumoto formuliert: "Sie wollten die Büchse der Pandora nicht öffnen." Sie wollten ihren besten Trader nicht bremsen.
Mit Billigung der Chefs
Paul Krugman, der streitbare Kolumnist der Zeitung New York Times, geht noch weiter. Er unterstellt, Hamanaka habe den Markt mit Billigung seiner Chefs manipuliert - zugunsten der Firma. Mit seiner oft publizierten Einschätzung, die Kupfernachfrage steige weiter, und einer künstlich provozierten Verknappung des Angebots habe er den Preis getrieben. Dafür ist er freilich nicht bestraft worden; auch sonst niemand.
Es ist auch nicht klar, wie viel Geld Hamanaka für Sumitomo unter dem Strich verdient oder verloren hat. Die 1,8 Milliarden Dollar entsprachen jener Summe, die Hamanaka als ungedeckte Future-Positionen im Juni 1996 aufgab. Sumitomo liquidierte diese Positionen in Panik - man verkaufte Kupfer in einen Markt fallender Preise -, deshalb verlor Hamanakas Firma noch einmal 800 Millionen Dollar. Heute ist der Kupferpreis mehr als dreimal so hoch wie damals.
Dass Hamanaka im Juni 1996 auf diesen offenen Positionen von 1,8 oder schließlich sogar 2,6 Milliarden Dollar saß, heißt allerdings nicht, dass er für Sumitomo über die Jahre nicht auch Profite erwirtschaftet hat; vermutlich hat er sogar sehr hohe Profite eingefahren.
Tokumoto hält Hamanaka für eine tragische Figur: Natürlich trage er die Verantwortung für seine Tat, aber andere Händler hätten dazu beigetragen, vielleicht sogar mitgemacht. Auch Sumitomo mit seiner Unternehmenskultur der Angst und die Presse, die ihre Kontrollaufgabe vernachlässigte, trügen Mitschuld. Hamanaka glaubte zudem, die Börse LME habe ihn unfair behandelt. Händlern aus den USA hätte sie ähnliche Manipulationen durchgehen lassen. Händler aus Lateinamerika äußerten Tokumoto gegenüber Sympathien für Hamanaka und bestätigten, die LME behandle Nichteuropäer strenger.
Zeit im Gefängnis
In den Jahren, in denen Hamanaka im Gefängnis saß, klagte Sumitomo gegen mehrere internationaler Finanzinstitute, darunter J. P. Morgan - die US-Bank hatte Hamanaka 154 Millionen Dollar geliehen, die als fiktive Kupfergeschäfte verbucht wurden -, Merrill Lynch, eine Tochter von Crédit Lyonnais und die Schweizer Großbank UBS.
Zu Prozessen ist es nicht gekommen. Alle Klagen wurden mit Vergleichen beigelegt. Als Resultat zahlte J. P. Morgan Sumitomo 125 Millionen Dollar, Merrill Lynch 275Millionen Dollar, UBS 85 Millionen Dollar und die Crédit-Lyonnais-Tochter 1,1 Milliarden Dollar. Sicher nicht aus Freundschaft.
Yasuo Hamanaka lebt wohl noch immer in seinem kleinen Haus in Kawasaki; dem Vernehmen nach handelt er wieder mit Kupfer. Aber mit den Medien redet er kein Wort mehr.