SZ-Serie: 24 deutsche Ökonomen:Der Rahmenbauer

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Der Wirtschaftsweise Lars Feld ist als Leiter des Walter-Eucken-Instituts dem Erbe der Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet. Für ihn bleibt der Ordoliberalismus bis heute relevant.

Von Marc Beise

Das Walter-Eucken-Institut in Freiburg ist kein Ifo und kein DIW, kein ZEW und kein IfW und wie die großen Wirtschaftsforschungsinstitut des Landes alle heißen. Es ist weniger. Und mehr.

Das Eucken-Institut hat nicht, wie die genannten anderen, ein paar Hundert Mitarbeiter und etliche Millionen Euro Jahresbudget, sondern nur ein Dutzend Menschen und es muss mit ein paar Hunderttausend Euro auskommen, es erstellt weder Konjunkturprognosen noch Steuerschätzungen. Aber es verfügt, anders als die anderen, über ein ausgeprägtes wirtschaftstheoretisches Erbgut, es definiert sich durch seine intellektuelle Tradition. Und es hat einen Standortvorteil. Es residiert in der lebenswertesten Stadt Deutschlands. Die Rede ist von Freiburg im Breisgau, einem Flecken Erde, der von der Sonne verwöhnt wird, wo es Wald und Wein vom Feinsten gibt und wo man essen kann wie Gott in Frankreich, nämlich drüben im nahen Elsass.

Hier lebte, forschte und lehrte der strenge Nationalökonom Walter Eucken, ein Mann, der nicht sehr lebenslustig war, aber einen großen Blick hatte und eine ungeheure Wirkung. Eucken und seine Kollegen, die man die "Ordoliberalen" nannte oder einfach Ordnungspolitiker, haben nach Krieg und Ideologie und Kommandowirtschaft, nach Nationalsozialismus und Kommunismus, die Grundlagen für die soziale Marktwirtschaft gelegt, die die Bundesrepublik Deutschland nach 1949 so gut und wohlhabend gemacht hat.

Das Eucken-Institut, sinnigerweise in der ehemaligen Wohnung des Namensgebers, hält diese Tradition hoch, aber wie es mit den Dingen des Lebens allgemein so ist, sie altern, was nicht immer zu ihrem Besten ist. Das Institut gibt es seit sechs Jahrzehnten, genauer seit 1954; selbst damals war der Namensgeber schon vier Jahre tot. Hauptziel des Instituts ist es, die Ideen der sogenannten "Freiburger Schule" in der öffentlichen Erinnerung lebendig zu erhalten. Der Leiter dieses Thinktanks ist qua Amt der Eucken-Erbe, der Eucken von heute. Seit September 2010 heißt er, und nun soll endlich von ihm die Rede sein: Lars Feld.

Der Wirtschaftsweise Lars Feld ist Leiter des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. (Foto: Thomas Trutschel/photothek)

Lars Feld ist 49 Jahre alt (Glück gehabt für diese SZ-Serie der "24 deutschen Ökonomen, auf die es ankommt", die in der Definition der Redaktion noch keine 50 Jahre alt sein dürfen), er ist in Saarbrücken geboren, in Heusweiler aufgewachsen, er diente in Daun in der Eifel, wurde an der Universität des Saarlandes zum Diplom-Volkswirt ausgebildet, promovierte und habilitierte an einer wirtschaftswissenschaftlichen Kaderschmiede, dem schweizerischen St. Gallen. Er war Professor in Marburg und Heidelberg und ist das heute in Freiburg. Er gilt als einer der wirkmächtigsten deutschen Ökonomen, in der einschlägigen FAZ-Rangliste war er 2013 auf Platz 1 vor all den Sinns, Fuests, Fratzschers und anderen Institutsdirektoren, die die Talkshows und Wirtschaftsteile der deutschen Medien bevölkern. Und er ist einer der fünf Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, des sogenannten Rats der fünf Weisen. Kürzlich haben die Herren und eine Dame ein Sondergutachten zur großen Verschuldung nicht nur, aber vor allem im Euro-Raum vorgelegt.

Das alles ist eine wunderbare Vita, und alles wäre so schön, wenn es nicht ein Problem gäbe: Die Ordnungspolitik, der Ordoliberalismus, die Freiburger Schule, das schert heute niemanden mehr, das kennt kaum noch einer, und wenn ein Politiker sich dazu äußern muss, dann liest er in seinem eigenen Redemanuskript, das ihm fleißige Helfer vorformuliert haben, kluge Dinge, von denen er bis dahin in seinem "Ich regel dies und regel das"-Tagesgeschäft noch nie etwas gehört hat.

Hätte man sich an die Regeln gehalten, wäre es gar nicht zur Griechenland-Krise gekommen

Lars Feld aber kann seinen Eucken mehr oder weniger auswendig. Und er findet ihn wichtig, auch heute noch. Allerdings vertritt er eine "moderne Ordnungspolitik", und das kann misstrauisch machen. Das ist so eine Sahra-Wagenknecht-Formulierung, und mit der Linkspartei hat Lars Feld, der auf Vorschlag der FDP in den Sachverständigenrat gewählt worden ist, ganz sicher nichts am Hut.

Zwei Lieblingsbücher

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(Foto: Rowohlt)

In den Ferien ein Sachbuch lesen? Warum nicht! Lars Feld beeindruckte Jürgen Kaubes Biografie von Max Weber. Er las sie vergangenen Sommer zusammen mit Christopher Clarks Schlafwandlern und war dadurch in die Jahrhundertwende und den Niedergang des Kaiserreichs versetzt. "Es ist unglaublich, welchen gesellschaftlichen, ethischen, sozialen und politischen Veränderungen die Menschen damals ausgesetzt waren", sagt er.

Zwei Lieblingsbücher

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(Foto: Diogenes)

Als Roman empfiehlt der Ökonom Monte Christo von Martin Suter, weil der mit einer ungeheuren Dynamik und sehr spannend schreibe. "Man kann das Buch nicht aus der Hand legen, bis es zu Ende gelesen ist."

Feld meint damit aber, dass die Grundidee der Ordnungspolitik noch gilt: die Wirtschaft machen lassen, sie nicht strangulieren, den Unternehmen nicht zu viel aufbürden, die Bürger nicht zu hoch besteuern, die Preise nicht verzerren, die Arbeitsverhältnisse nicht kleinteilig regeln, kurz: im Zweifel für den Markt und gegen den Staat zu entscheiden - aber, großes Aber - für all das einen Ordnungsrahmen zu setzen. Der Staat also nicht als Nachtwächterstaat, wie das die Radikalliberalen wollen, sondern als starker Regelsetzer, das ist das Ordo am Ordoliberalismus.

Das war Eucken, und jetzt kommt der mittelalte Lars Feld dazu: Bei all dem müssen die Ökonomen nach links und rechts blicken, müssen die Spielregeln der Politik beachten, die Psychologie des Menschen, sogar Physik und Biologie. Wenn also gerne gesagt wird, die Ökonomen müssten sich heute, nach der Finanzkrise und angesichts der Euro-Schuldenkrise, neu erfinden, müssten aus ihrem Regelhaus kommen, dann sagt Feld: sind wir doch längst! Hätte man die Dinge ordnungspolitisch geregelt, wäre es zur Finanzkrise gar nicht gekommen, weil es nämlich für die Banker und Zocker klare Regeln und Verbote gegeben hätte.

Es hätte dann auch die ganze quälende Griechenland-Krise nicht gegeben, weil die Griechen viel früher am Schuldenmachen gehindert worden wären. Und man würde heute nicht in Deutschland darüber reden, wie viel Geld im Feuer steht, weil Deutschland gar kein Geld gezahlt hätte. Feld ist, natürlich, gegen Euro-Bonds, gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden, gegen eine Schuldenunion. Er ist aber sehr für ein vereinigtes Europa mit europäischen Regeln, aber auf die müssen sich die Staaten, bitte schön, auch wirklich verständigen und erst dann vergemeinschaften.

So denkt Lars Feld, und dafür wirbt er. Nicht missionarisch, eher verschmitzt. Er liebt den Disput und ist für jedes Streitgespräch zu haben. Er diskutiert mit weniger prinzipienstrengen Kollegen, mit Politikern, mit Jürgen Trittin, er würde vermutlich auch mit Sahra Wagenknecht oder Yannis Varoufakis diskutieren, wenn man ihn fragte. Er hat Spaß am Wortgefecht, dann blitzen die Augen, dann freut er sich, wenn er einen Punkt gemacht hat, wenn der Gegner sich verzettelt. Er selbst verzettelt sich selten, er denkt klar und hat alle Fakten im Kopf, oft auch alle Zahlen.

Hat so jemand noch ein Leben jenseits der Wissenschaft? In seinem Lebenslauf steht: Er liebt gutes Essen, geht gerne zum Fußball und mit Begeisterung zu Rock-, Pop- und Jazzkonzerten. Das gute Essen hält ihn in Freiburg und damit in der Nähe zu Frankreich, wo man sich so schön durch Viele-Gänge-Menüs schlemmen kann. Der Fußball führt ihn immer wieder nach München, denn er ist seit Beckenbauer-Hoeneß-Breitner-Zeiten Bayern-Fan, er kann wie der Altkanzler Schröder ganze Spielzüge aus den Siebzigerjahren nacherzählen.

Und für die Musik fliegt er mal eben mit seiner Frau nach Berlin zu Van Morrison, oder fährt nach Montreux zum Jazzfestival wegen der Soulröhre Lionel Richie, oder nach Hamburg zum Konzert der Altrocker Foo Fighters - das alles binnen der vergangenen drei Monate. Dumm, dass sich der legendäre Dave Grohl, der Frontmann der Foo Fighters, kürzlich beim Fall von der Bühne kompliziert den Knöchel gebrochen hat und Konzerte abgesagt wurden. Aber das war, auch das weiß Feld, in Göteborg, also erst nach dem Auftritt in Hamburg. Auch hier: Glück gehabt.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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