Süddeutsche Zeitung

SZ-Kongress:Es war einmal der Kutscher

Experten diskutieren über die Digitalisierung der Energiewelt - und skizzieren einen Wandel, der sich durch nichts mehr aufhalten lässt.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Für alle, die noch irgendwelche Zweifel hegen, hat Thomas Raffeiner am Ende immer noch zwei Bilder aus New York. Das eine zeigt die Osterparade des Jahres 1900. "Sehen Sie das Auto?", fragt der Österreicher. Genau eines ist zu sehen, inmitten von lauter Kutschen. Das nächste Foto zeigt dieselbe Parade, nur 13 Jahre später. "Sehen Sie die Kutsche?", fragt Raffeiner. Gute Frage, denn fast überall sind nur noch Autos. Die Botschaft ist klar: Die Dinge ändern sich oft schneller, als sich Zeitgenossen das vorstellen können.

Eine SZ-Tagung in Berlin ist dem Wandel nun nachgegangen, mit Start-ups, etablierten Konzernen, mit Politik und Wissenschaft. Das Fazit: Die digitale Welt könnte gerade die Energiewirtschaft in wenigen Jahren stärker verändern als in den 50 Jahren zuvor. Für Raffeiner, Gründer und Chef des Batterie-Anbieters The Mobility House, steht das Ende des Ölzeitalters jetzt schon fest. "Eine bessere Technologie setzt sich am Ende durch", sagt er. Schon sinkende Preise für Stromspeicher würden dafür sorgen. "Wir werden Elektroautos so billig machen, dass nur noch Reiche Benzin verbrennen", sagt er. Der niedrige Ölpreis lässt ihn kalt.

Die Vernetzung von Speichern mit der Stromerzeugung zählt zu einem der großen Trends der digitalen Energiewelt. Firmen wie die Mannheimer Beegy arbeiten gerade an Rund-um-sorglos-Paketen, mit denen sich Haushalte quasi per Flatrate mit einer Solaranlage auf dem Dach und einem Batteriespeicher im Keller ausstatten können. "Das wird kommen", sagt Beegy-Chef Marco Demuth. Beegy arbeitet dafür eng mit Handwerkern zusammen. Sie sollen künftig nicht mehr eine schnöde Solaranlage verkaufen, sondern Energieautarkie: Die Batterie speichert den Sonnenstrom aus der Mittagszeit, damit am Abend die Lampen brennen und der Fernseher läuft. Ein ganz ähnliches Konzept verfolgt die Bielefelder Greenergetic, die dafür mit Stadtwerken zusammenarbeitet. Alle berichten von stark wachsendem Interesse. Autarkie ist für viele eben sexy.

Wohin sich diese Welt entwickeln wird, weiß keiner ganz genau. Sicher ist nur, dass der Energie-Kunde stärker ins Zentrum rückt denn je. "Digitalisierung ermöglicht es erstmals einem Waschmaschinen-Anbieter, eine direkte Kundenbeziehung herzustellen", sagt Frank Schmidt, der bei der Telekom das Geschäftsfeld Energie leitet. So könnte ein Hersteller individualisierte Waschgänge anbieten. "Irgendwann verkauft man vielleicht nicht mehr eine Waschmaschine, sondern Waschgänge."

So ähnlich kann sich das auch Philipp Pausder vorstellen, Gründer und Chef des Berliner Start-ups Thermondo. Gegründet 2012, verkauft sein Unternehmen mit stetig wachsendem Erfolg Heizungen per Internet. Die Heizung lässt sich per Mausklick konfigurieren, eine Software bestellt alle nötigen Teile, ein Handwerker des Unternehmens installiert sie - und übernimmt dann auch Wartung und Service. Denkbar wäre aber auch, künftig nur noch das Produkt Wärme zu verkaufen. "Sie wollen 21 Grad haben?", sagt Pausder. "Dann liefern wir 21 Grad." Wie das am effizientesten geht, entscheidet dann der Anbieter.

Es sind Geschäftsideen einer Welt, der scheinbar keine Grenzen gesetzt sind, die durch die Auswertung von Daten auch effizienter mit Energie umgehen könnte. So arbeiten Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung an Modellen, mit denen sich die Nachfrage nach Energie besser abschätzen lässt. So lasse sich aus Mobilfunkdaten auch der häusliche Energieverbrauch überschlagen, sagt Fraunhofer-Forscherin Anke Eßer. Jemand, dessen Handy von Funkzelle zu Funkzelle wandere, werde wohl kaum zu Hause sein. Lasse sich der Verbrauch besser prognostizieren, ließen sich auch Stromerzeuger und Speicher effizienter betreiben. "Die Digitalisierung", sagt Roman Zurhold von der Deutschen Energieagentur, "wird durch den Blick in die Verbräuche ganz neue Effizienzpotenziale heben können." Vorausgesetzt natürlich, wie stets in der digitalen Welt, die Daten sind sicher.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2016
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