SZ-Expertenforum Mittelstand:"Idealismus allein reicht nicht"

Wenn Ökonomie und Ökologie sich treffen: Immer mehr Verbraucher verlangen umweltschonende Produkte. Davon kann vor allem der Mittelstand profitieren. Doch der fordert ein stärkeres Eingreifen der Politik.

Oliver Bilger

Jürgen Trittin trägt Trauer. Am Donnerstag musste der Fraktionschef der Grünen mit ansehen, wie der große politische Wurf aus seiner Zeit als Bundesumweltminister zu Grabe getragen wurde. In Berlin beschloss der Bundestag die seit Wochen kontrovers diskutierte Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke. Am Abend sitzt Trittin im schwarzen Anzug und heller Krawatte auf dem Podium des 9. Expertenforums Mittelstand von Süddeutscher Zeitung und Hypo-Vereinsbank und diskutiert mit anderen Experten die Chancen des grünen Wachstums. Über den jüngsten Bundestagsbeschluss sind viele der Teilnehmer genau so enttäuscht wie Trittin.

Gero Lücking, zum Beispiel. Der Vorstand des Hamburger Energieversorgers Lichtblick mit mehr als einer halben Million Kunden, darunter der Bundestag, sagt, er sei "ernüchtert" vom Atomkompromiss der Regierung. Eine "wirtschaftlich unsinnige Entscheidung" sei das, die überhaupt nicht in eine Zeit passe, in der jedermann von Klimawandel und Nachhaltigkeit spricht. So kann sich Lücking dann auch nicht so recht über den Zulauf an neuen Kunden freuen. Die Politik sende das falsche Signal, findet er: Es entstehe der Eindruck, als ob sich die Regierenden vor allem für die Belange der großen Konzerne interessiere, nicht aber für den Mittelstand.

Dabei, da sind sich die Teilnehmer des Forums einig, sorgen oftmals die kleinen und mittleren Betriebe für den Fortschritt - nicht die großen Unternehmen. Das gilt gerade im sogenannten grünen Bereich, wo Firmen in Nachhaltigkeit investieren und Innovationen für eine umweltfreundliche Zukunft, für einen ökologischen Fortschritt und einen schonenden Umgang mit Ressourcen entstehen.

"Neue Technologien kommen oft aus dem Mittelstand und werden dann groß", sagte Klaus Töpfer, Direktor des Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam, es erforscht den Klimawandel, das Erdsystem und die Nachhaltigkeit. Und genüsslich registriert der ehemalige Bundesumweltminister Töpfer, wie ihm heute mancher der anwesenden Unternehmer dafür "dankt", dass die Politik in Form von neuen Gesetzen ihre Firma auf neuen Ideen gebracht hat. Es ist die alte Frage, wie viel Druck ist nötig und wie viel tun die Firmen freiwillig?

"Heute ist ein schwarzer Tag für verlässliche und stabile Rahmenbedingungen", erklärte Trittin. Seine Partei will die Entscheidung des Bundestages nicht akzeptieren und vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Trittin rechnet sich gute Chancen aus. Aber es kann sich vier, fünf Jahre hinziehen, bis das oberste Gericht entscheidet. Alle Unternehmen, die bisher in Deutschland in Energie investiert haben, geraten nun in eine "Phase der Unsicherheit", fürchtet Trittin.

Das sind keine guten Nachrichten für den Unternehmer Martin Schoeller, der gemeinsam mit seinem Bruder Christoph in der achten Generation die Münchner Schoeller Gruppe führt. Er wünscht sich von der Politik vor allem eines: Stabilität. Schoellers Vater hat die Getränkekiste aus Kunststoff erfunden, die Söhne hatten die Idee für die grünen Kästen und das dazugehörige Logistiksystem, mit dem heute Obst und Gemüse in den Handel kommen.

"Zurückfallen in altes Denken"

Auslöser dafür war die Politik. In den achtziger Jahren forderte die Regierung, der Töpfer damals als Umweltminister angehörte, den Handel auf, Verpackungsmüll zu vermeiden. Das Mehrwegsystem war die große Chance der Brüder. "Wir Mittelständler treiben Ideen voran", sagt Schoeller. "Man hat zuhause ja auch eine Geschirrspülmaschine und keine Porzellanfabrik", sagt Schoeller. Er spricht von "Druck und Chance". Denn ohne die Bestimmung von damals würde seine Gruppe heute wohl nicht 5500 Mitarbeiter beschäftigen und einen jährlichen Umsatz von fast einer Milliarde Euro erzielen.

R. Andreas Kraemer, Geschäftsführer des Ecologic Institut, ist überzeugt, dass Unternehmen, besonders große, "verändern sich nur unter Druck". Üblicherweise führe Knappheit zum Umdenken und zur Weiterentwicklung. Seine Hoffnung, die schwerste Wirtschaftskrise seit acht Jahrzehnten würden den Wandel beschleunigen, wurden allerdings enttäuscht. Das Gegenteil war der Fall. Die Krise beförderte das "Zurückfallen in altes Denken", auch das zeigt die Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke.

Druck bekommen Unternehmen nicht nur von der Politik. Die Globalisierung, die demografische Entwicklung, die Urbanisierung und der Klimawandel zwingen zu einer neuen, nachhaltigen Wirtschaftsweise, weil immer mehr Menschen, immer mehr verbrauchen. Wie knapp manche Ressourcen sind, hat die Entwicklung einiger Rohstoffpreise in den Jahren des Booms gezeigt.

"Die Politik agiert als Dienstleister der Wirtschaft"

Andere Produktionsmittel, etwa Strom aus Kernkraftwerken, sind verzerrt und zu billig, weil die Kosten der Endlagerung beispielsweise nicht berücksichtigt werden. Strom aus Kernkraft wäre dann teurer, sagt Wissenschaftler Kraemer und verweist darauf, dass der Preis für Ökostrom an manchen Standorten und in manchen Projekten schon mit konventionell erzeugter Energie mithalten könne.

Für Erdöl, einen der endlichen Rohstoffe und Energieträger, haben Helmut Nägele und Jürgen Pfitzer, geschäftsführende Gesellschafter der Tecarno GmbH in Ilsfeld-Auenstein, schon eine Alternative gefunden. Es ist Lignin, der Stoff, der Pflanzen verholzen lässt. Er ist Basis ihres Produktes, das Kunststoff ersetzen kann und auch tut. Computertastaturen werden daraus produziert, ebenso wie Schuhabsätze oder Verpackungen. "Wir haben die Lücke zwischen Kunststoff und Holz gefunden", erklärte Nägele. "Lignin wird das Erdöl einmal ersetzen", ist Pfitzer überzeugt.

Mit Holz arbeitet auch das Unternehmen von Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell: Zwei Milliarden holzgefasste Stifte produziert seine Gruppe pro Jahr, und sie war die erste in der Branche, die sich eine umweltfreundliche Wasserlackfärbung für ihre Stifte leistete. Angetrieben auch durch einen Konkurrenten, der ganz auf die Lackierung verzichtete und so den Wandlungsdruck erzeugte. In den späten achtziger Jahren haben sich das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung gewandelt.

Nur zwischen Bewusstsein und Praxis hapert es manchmal. So verkauft Faber-Castell auch wiederbefüllbare Textmarker aus Kunststoff. Das Tintenfass wird mitgeliefert. Seit 15 Jahren gibt es das Nachfüll-System, doch der Kunde hat es bislang nicht akzeptiert, so Faber-Castell.

"Solange wir noch Abfall produzieren, haben wir noch keine Nachhaltigkeit erreicht", sagte Klaus Töpfer. Und um die zu erreichen, müsse die Wirtschaft eine stärkere Verantwortung übernehmen, mahnt Verbraucherschützer und Foodwatch-Gründer Thilo Bode. Dabei müsse sie auch mal Gesetze verabschieden, die sich gegen die Wirtschaft richten. "Der Umweltverschmutzer muss bezahlen."Im Moment sei das oft nicht so: "Die Politik agiert weitgehend als Dienstleister der Wirtschaft", kritisiert Bode, siehe Atom-Kompromiss.

Aufforderung an die Politik

Gesetze fordert auch Gottlieb Hupfer. Der Gründer der Enviro Chemie aus Roßdorf ist auf Anlagen zur Wasser- und Abwasseraufbereitung spezialisiert. In Ländern, in denen es keine strengen Regeln gibt, finde keine Überwachung statt und somit auch keine Wasserreinigung. Energie gehe verloren. Dass mit seiner Arbeit Geld zu sparen ist und die Umwelt geschont wird, setzt sich erst seit wenigen Jahren durch. "Als wir vor 22 Jahren gestartet sind, mussten wir unsere Lösungen anbieten wie sauer Bier."

Die Verbraucher sind heute oft schon bereit, für ein ökologisches Produkt mehr Geld auszugeben, aber sie wollen einen Unterschied erkennen. Bei der Energie etwa fragen sie sich aber: Warum teuren Ökostrom kaufen, wenn man keinen Unterschied zu gewöhnlichen Anbietern bemerkt? Deshalb müsse die Politik eingreifen, sagt Bode. "Idealismus allein reicht nicht."

Immerhin verkauft Kurt-Ludwig Gutlebert, Vorsitzender der Geschäftsführung der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, zunehmend energieeffiziente Geräte. "Die Kunden sind bereit, mehr Geld für die Umwelt auszugeben." Jede Strompreiserhöhung erhöhe das Bewusstsein und belebe das Geschäft. Vom grünen Gewissen der Bevölkerung kann der Mittelstand profitieren. Wer beweist, dass er mit ökologisch sauberer Wirtschaft erfolgreich ist, werde die neue Wirtschaftsmacht, sagt Töpfer. "Das sind grandiose Chancen für ein grünes Wachstum."

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