Süddeutsche Zeitung

Syntellix:Eine Ex-Männerfreundschaft eskaliert

  • Der Kleinkrieg zwischen Carsten Maschmeyer und dessen ehemaligem Freund Utz Claassen erreicht eine neue Eskalationsstufe.
  • Claassen vermutet Maschmeyer hinter einem groß angelegten Komplott gegen seine Firma Syntellix.
  • Es geht um eine medizinische "Studie", die zu Ungusten der Syntellix-Produkte ausfällt.

Von Uwe Ritzer, Hannover

Vor zwei Jahren, als die großen Egomanen noch dicke Männerfreunde waren und kein Blatt Papier zwischen sie zu passen schien, gratulierte Carsten Maschmeyer Utz Claassen überschwänglich zum Geburtstag. "Dass du ein Herz aus Gold hast, hat sich bis heute nicht geändert", schrieb der Milliardär dem Multimillionär und schenkte ihm eine D-Mark als Glücksbringer. Die Münze war 1963 geprägt worden, Claassens Geburtsjahr.

Inzwischen sind sich die beiden Unternehmer spinnefeind. Sie haben sich über ihre Engagements als Investoren bei der Medizintechnikfirma Syntellix überworfen, die mit neuartigen Implantaten und Knochenschrauben auf einen milliardenschweren und entsprechend lukrativen Markt drängt. Ein vor Weihnachten geschlossener Burgfriede ist gescheitert; die Sticheleien und juristischen Scharmützel gehen munter weiter. Inmitten des bizarren Kleinkriegs taucht nun ein Vorgang auf, der das Zeug zum Wirtschaftskrimi haben könnte. Und die Frage aufwirft, ob es in der medizinischen Forschung, von deren Resultaten für die Firmen sehr viel abhängt, tatsächlich immer wissenschaftlich sauber, korrekt und neutral zugeht.

Die Firma Syntellix hat Strafanzeige gegen zwei Ärzte gestellt, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Unternehmen mit Sitz in Hannover stellt Schrauben und Platten auf Magnesium-Basis für Knochenoperationen her, die sich mit der Zeit im menschlichen Körper von selbst auflösen. Eine zweite OP wie bei herkömmlichen Titan-Implantaten, um sie wieder aus dem Körper zu holen, wird damit überflüssig. Setzten sich die Produkte durch, winken der von Claassen gegründeten und dominierten Syntellix AG satte Geschäfte und Gewinne.

2014 untersuchten die Mediziner Reinhard M. und Martin P. in einer angeblichen Pilotstudie den Einsatz von Syntellix-Produkten in der Handchirurgie. Mutmaßlich am Ortenau-Klinikum in Offenburg, wo M. damals als Chefarzt arbeitete. Das Ergebnis fiel für Syntellix negativ aus. Den Implantaten fehle die Marktreife, weitere Untersuchungen seien nötig, hieß es. Die Syntellix-Schrauben böten zwar gewisse Vorteile, ein flächendeckender Einsatz im klinischen Alltag sei aber nicht empfehlenswert. Bei Patienten sei es zu "Gas- und Knochenzystenbildung" gekommen. So ist es nachzulesen in einem Beitrag, den die beiden Ärzte 2016 in einer Fachzeitschrift des renommierten Medizinverlags Thieme publizierten.

Im Nachhinein allerdings ist der Wert der Expertise fragwürdig und umstritten. Syntellix wirft den Autoren in der Strafanzeige massive Verletzungen der geltenden Standards vor. So sei weder das für medizinische Studien notwendige Votum der zuständigen Ethik-Kommission eingeholt, noch sei die Untersuchung korrekt in einer der einschlägigen wissenschaftlichen Datenbanken registriert worden. Ihr Design sei nicht offengelegt worden und keine Kriterien für einen etwaigen Abbruch formuliert worden. Es sei auch nicht ersichtlich, ob die betroffenen Patienten vorher zugestimmt oder unwissende Versuchskaninchen gewesen seien. Dass sie zusätzlich geröntgt worden seien sei eine gefährliche Körperverletzung, so der Vorwurf. Inhaltlich hätten die Autoren unterschlagen, "dass alle Patienten geheilt wurden und keine klinischen Probleme auftraten".

Während die Staatsanwaltschaft Offenburg prüft, ob sie ein Ermittlungsverfahren einleitet, wehrt sich der bei der Studie federführende Mediziner Reinhard M. "Untersuchung und Publikation sind fachgerecht und erfolgten aus wissenschaftlichem und ärztlichem Interesse", teilte er auf Anfrage mit. Die Arbeit sei vor ihrer Veröffentlichung "durch zwei unabhängige und dem Autor namentlich nicht bekannte Gutachter" bewertet worden.

Was allerdings seltsam ist: Der als Co-Autor aufgeführte Martin P. war "an den klinischen Untersuchungen nicht beteiligt", wie eine Sprecherin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mitteilte, an deren Klinik der Chirurg arbeitet.

Der Thieme-Verlag rudert vorsichtig zurück. In einer "Klarstellung" von Herausgeber Karl-Josef Pommersberger und Autor Reinhard M. räumte er am Montag ein, eine Beratung durch die Ethikkommission habe tatsächlich nicht stattgefunden. Und: Es habe sich "um eine Fallserie und nicht, wie in der Publikation ausgeführt, eine prospektive Studie gehandelt".

Syntellix vermutet Maschmeyer hinter alldem

Utz Claassen und die Seinen glauben nicht an bloße handwerkliche Fehler. Schließlich geht es in letzter Konsequenz um große Geschäfte, die durch solche Expertisen befördert oder zerstört werden können. Syntellix vermutet Maschmeyer am bösen Werk, im Verbund mit dem US-Konkurrenten Arthrex. Die fragwürdige Expertise sei "Bestandteil einer systematischen, breit angelegten Marodierungskampagne" gegen Syntellix, heißt es in der Strafanzeige. Maschmeyer, so Claassens Credo, wolle Syntellix plattmachen, nachdem er sich die Firma nicht unter den Nagel habe reißen können.

Die beiden Mediziner, so der Vorwurf, unterlägen Interessenskonflikten, nachdem OP-Kurse des einen und die Klinik des anderen von Arthrex und Maschmeyer gesponsert worden seien. Ein Vorgesetzter des Dr. P. an der MHH sei zudem "ein Vertrauter" Maschmeyers, ein enger "Buddy".

Ein Maschmeyer-Sprecher wies alle Vorwürfe zurück. Man kenne "weder die beiden Ärzte noch die Studie". Reinhard M. versichert: "Es bestanden und bestehen keine wirtschaftlichen Interessen oder Abhängigkeiten jedweder Art" gegenüber Arthrex oder Maschmeyer. Zu mehr wollen sich die Mediziner "aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Befassung" nicht äußern.

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Quelle:
SZ vom 20.06.2017/vit
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