Utz Claassen war nicht weniger als ein deutsches Wunderkind. In jungen Jahren hatte der Topmanager beachtliche Erfolge bei Firmen wie Volkswagen oder dem Energieunternehmen EnBW gezeigt, galt als der Prototyp eines neuen Managers. Warum dann nicht auch Unternehmer werden, das wirklich große Geld verdienen? Claassen wollte es versuchen und gründete 2008 eine Firma, die später noch häufig in die Schlagzeilen geraten sollte: Syntellix. Das Start-up entwickelt Implantate, die sich im Körper auflösen und so eine Operation ersparen. Für die Menschen sollte das die Schmerzen lindern, für Krankenkassen die Kosten senken – und bei der Firma aus Hannover die Kassen klingeln lassen. Große Namen wie Ex-Deutsche-Bank-Vorstand Jürgen Fitschen oder Unternehmer Carsten Maschmeyer ließen sich von der Idee verzaubern. Sie alle wollten mitverdienen, wenn das deutsche Wunderkind mit seiner Firma einen Milliardenmarkt erobert. Das ist 17 Jahre her. Syntellix sollte zwar häufig in die Schlagzeilen kommen, der große Durchbruch ist allerdings ausblieben. Stattdessen: Probleme über Probleme. Die einstige Produktion in Deutschland ist aufgelöst, Jahresabschlüsse fehlen, Mitarbeiter warten bis heute auf nicht mehr gezahlte Gehälter und die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt seit April 2023 wegen des Anfangsverdachts der Insolvenzverschleppung.
An diesem Freitag werden von dem Arbeitsgericht elf Fälle verhandelt
Und jetzt auch noch das: Es droht neuer Ärger in Deutschland, genauer gesagt in Hannover. Dort hat die Bundesagentur für Arbeit Syntellix auf Zahlung von rund 88 000 Euro verklagt. Das zeigen Unterlagen, die NDR und SZ einsehen konnten, und das bestätigt das Arbeitsgericht in Hannover. Die Bundesarbeitsagentur will sich zu laufenden Verfahren nicht äußern.
In dem Streit geht es nach Informationen von NDR und SZ um die Rückzahlung von Geldern, die die Arbeitsagentur den ehemaligen Mitarbeitenden der Syntellix AG vorgestreckt hatte. Weil Syntellix einigen Angestellten von 2022 an Gehälter nicht mehr gezahlt hatte, hatten sich manche von ihnen an die Arbeitsagentur gewandt. Dort erhielten sie ersatzweise Arbeitslosengeld, obwohl sie noch angestellt waren. Das nennt sich „Gleichwohlgewährung“.
Die Arbeitsagentur will das gezahlte Geld nun offenbar von Syntellix zurückholen und hat in elf Fällen gegen die Firma geklagt. Vor dem Arbeitsgericht Hannover soll an diesem Freitag verhandelt werden. Dabei geht es um Fälle von Anfang 2022 bis Herbst 2023 und Summen zwischen 1000 und mehr als 15 000 Euro je Fall. Insgesamt wird nach Angaben des Arbeitsgerichts um 88 049,20 Euro gestritten.
Utz Claassen lebt mittlerweile in Südostasien
Ein Syntellix-Sprecher teilte auf Anfrage mit, dass es sich nicht um einen Streit mit der Arbeitsagentur handele. Es gehe vielmehr darum, ob sich Mitarbeiter diesbezüglich korrekt verhalten hätten. Syntellix selbst habe daher ein Interesse, dies höchstrichterlich zu klären. Offenbar ist Syntellix also der Ansicht, dass die Arbeitnehmer zu Unrecht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) bezogen haben und daher der BfA auch kein Rückforderungsanspruch gegenüber Syntellix zustehe.
Schon in der Vergangenheit hat Utz Claassen zudem immer wieder alle Vorwürfe gegen sich und seine Firma zurückgewiesen. Er selbst lebt mittlerweile in Südostasien, wo die Firma ihren neuen Produktionsstandort aufgebaut haben soll. Claassen ist aus gesundheitlichen Gründen eigenen Angaben zufolge nicht reisefähig. Wenn am Freitag also vor dem Arbeitsgericht Hannover gestritten wird, wird mutmaßlich ein Vertreter der Firma auflaufen, um die Klage zu verhandeln. Claassen hatte in der Vergangenheit immer betont, dass damalige Gehaltsverzichte mit den Mitarbeitern ausgemacht worden seien. Diese bestritten das und hatten geklagt, um ihre bisher nicht bezahlten Gehälter zu erhalten. Zwar gewannen einige von ihnen vor Gericht und hätten nun Anspruch auf ihre Gehälter. Doch solange Claassen sich nicht in Deutschland aufhält, ist es für die Ex-Mitarbeiter nahezu unmöglich, an das Geld zu kommen. Ein ehemaliger Mitarbeiter, der anonym bleiben will, sagt nun NDR und SZ, dass er nicht mehr daran glaube, dass er und seine ehemaligen Kollegen ihr Geld noch erhalten werden.Das Verfahren wegen Insolvenzverschleppung, das die Staatsanwaltschaft Hannover seit 2023 führt, läuft nach Informationen von NDR und SZ noch immer. In der Sache wurden bereits Gebäude durchsucht. Ein erstes Ergebnis wird nicht vor Jahresende erwartet.

