Swiss-Leaks:Rotlichtkönige, Adel und ein Fußballprofi

The Swiss Offices Of HSBC Private Bank In Geneva

Das HSBC-Gebäude in Genf: Die Schweizer Bank war in dubiose Geschäfte verstrickt.

(Foto: Getty Images)
  • Unter den HSBC-Kunden aus Deutschland sind zahlreiche Prominente: ein verurteilter Millionenbetrüger, Rotlichtkönige, ein südamerikanischer Fußballprofi, eine Verlegerfamilie, der Chef eines großen Unternehmens, ein verstorbener Bundestagsabgeordneter und mehr.
  • Bei etlichen Personen liegen zwar Hinweise vor, das Geld auf dem Schweizer Konto könnte Schwarzgeld sein. Die Süddeutsche Zeitung wird ihre Namen aber nicht nennen.
  • Denn einzelne Fälle werden noch von den Steuerbehörden geprüft, andere sind abgeschlossen, ohne dass das Ergebnis bekannt ist. Und: Das System hinter Swiss-Leaks ist wichtiger als die Namen.

Von Hans Leyendecker, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Der mutmaßlich größte Bankdatenraub der Geschichte ist schon vollbracht, aber noch unentdeckt, als Peter Beckhoff, der Leiter der Wuppertaler Steuerfahndung, Ende 2008 mit einem anonymen Informanten telefoniert. Der Mann - der aus der Schweiz anruft - nennt sich "Ruben Al Chidiack", seine Mails verschickt er als "John Barack". Er behauptet, im Besitz von mehr als 100 000 Kundendaten einer Schweizer Bank zu sein, der Genfer HSBC. Dagegen ist jede gewöhnliche Steuer-CD ein Witz.

Die beiden einigen sich auf ein Treffen in Konstanz, an der deutsch-schweizerischen Grenze, noch vor Weihnachten. Dann bricht sich der deutsche Steuerfahnder die Kniescheibe, er muss ins Krankenhaus. Als "Ruben Al Chidiack" das nächste Mal in Wuppertal anruft, hat er jemanden am Apparat, der kein Französisch kann. "Ruben Al Chidiack" aber spricht kaum Englisch, und das wenige klingt eher französisch. Das Gespräch wird eine Katastrophe, das Treffen in Konstanz platzt.

Wenig später wird "Ruben Al Chidiack", alias Hervé Falciani, festgenommen und übergibt seine Daten den französischen Steuerbehörden. Über diesen Umweg landet im Oktober 2010 auch eine CD mit deutschen Kunden der HSBC auf Peter Beckhoffs Schreibtisch in Wuppertal. Mit etwas Verspätung kann der deutsche Fahnder sich nun also ansehen, was der geheimnisvolle Informant angeboten hatte. Sehr viele Namen. Aber für Biografien interessieren sich Fahnder meist nicht. Sie schauen aufs Geld.

Animierte Grafik: Hassân Al Mohtasib

Dabei sind schon etliche interessante Namen darunter: Ein verurteilter Millionenbetrüger und die neun Millionen Dollar schwere Tochter eines verurteilten NS-Verbrechers. Ehemalige Rotlichtkönige und ein südamerikanischer Fußballprofi mit deutschem Wohnsitz. Die Familie eines angesehenen Verlegers, der Vorstandsvorsitzender eines großen Unternehmens und die Nachkommen einiger der reichsten deutschen Dynastien. Ihnen folgt eine lange Reihe von Mitgliedern des deutschen Adels, ein verstorbener Bundestagsabgeordneter, ein abgestürzter Hedgefonds-Manager und viele Hundert weitere Kunden.

Die Süddeutsche Zeitung wird deren Namen nicht nennen. Denn bei etlichen Personen liegen zwar Verdachtsmomente vor, die darauf hindeuten, das Geld auf dem Schweizer Konto könnte Schwarzgeld sein. Doch einzelne Fälle werden noch von den Steuerbehörden geprüft, andere sind abgeschlossen, ohne dass das Ergebnis bekannt ist.

Entscheidend ist jedoch: Die Namen des Swiss-Leaks sind weniger wichtig als das System.

Das oben umrissene deutsche Personal, auf das man in den gestohlenen Daten der Schweizer HSBC-Bank trifft, eint im Grunde nur eines: das Konto in der Schweiz.

Nun gibt es legitime und gute Gründe, sich ein Konto in der Schweiz zuzulegen, geschäftlich oder privat. Und wenn es nur ist, um im Skiurlaub leichter an Schweizer Franken zu kommen. Wer die Erträge des Kontos dem Finanzamt offenlegt, verstößt gegen kein Gesetz. Er spart noch nicht mal Steuern.

Gleichzeitig gehört zur Wahrheit, dass ein Schweizer Konto, erst recht eines der berüchtigten anonymen Nummernkonten, häufig zur Verschleierung von Einkommen dient. Das bestätigen etliche Fälle deutscher HSBC-Kunden, gegen die inzwischen wegen Hinterziehung ermittelt wurde, und die zum Teil beträchtliche Geldbußen bezahlen mussten.

Das bestätigen aber auch die Statistiken der französischen Steuerfahnder, die akribisch Buch geführt haben über ihre Falciani-Fälle. In Frankreich ging es am Ende um 2846 Konten. Das waren die, auf denen auch Geld lag. Von diesen 2846 Konten - so ist es im Untersuchungsbericht der französischen Nationalversammlung vom Juli 2013 festgehalten - waren exakt sechs deklariert. Das sind in etwa 0,2 Prozent. Verfasser des Berichts war Christian Eckert, der heutige Haushaltsminister des Landes.

Diese Zahl, diese 0,2 Prozent, sagt nichts über einzelne Fälle aus den deutschen Daten. Wohl aber gibt sie eine gewisse Orientierung dafür, dass die Schweiz ihren Ruf als Beihilfe-Land nicht ganz zu Unrecht hat oder hatte.

Was die deutschen Fahnder an den neuen Swiss-Leaks-Namen interessiert

Eine solche Statistik gibt es für die deutschen Fälle nicht. Nachdem das Bundeszentralamt für Steuern die CD mit den deutschen Namen aus Frankreich bekommen hatte, wurden die Fälle nicht zentral bearbeitet - wie das bei der Steuer-CD der Fall war, die Post-Chef Klaus Zumwinkel zum Verhängnis wurde - sondern an die Wuppertaler Steuerfahndung weitergereicht. Von dort wurden die deutschen Fälle dann an die zuständigen Behörden verteilt.

Rückmeldungen sind in diesem System nicht vorgesehen. Nur wenn die Finanzbehörden für eine Steuer-CD Geld ausgeben, so erklärt es ein deutscher Steuerbeamter , wird zentral erhoben, wie viel Steuernachzahlungen oder Strafzahlungen die Daten einbringen. Weil man dann wissen möchte, ob die Investition sich gelohnt hat.

Lediglich 1136 Personen gelistet

Die Falciani-Daten aber waren ja umsonst. Allerdings: Selbst wenn die deutschen Fahnder Statistik geführt hätten, wäre diese nicht komplett. In den Swiss-Leaks-Daten identifizierten ICIJ, das Internationale Konsortium von Investigativen Journalisten, und Süddeutsche Zeitung nach letzter Zählung 2106 Personen, die mit Deutschland verbunden sind. Auf der CD, die den deutschen Fahndern 2010 übergeben wurde, sind nach Erkenntnissen der SZ aber lediglich 1136 Personen gelistet.

Fast eintausend Namen weniger. Das werden die deutschen Fahnder nicht auf sich beruhen lassen. Erst recht nicht, wenn sie hören, dass mit diesen knapp zweitausend Personen 740 Nummernkonten und 229 Offshore-Briefkastenfirmen verbunden sind - für Ermittler sind beides Indizien für Verschleierungsabsicht.

Insgesamt finden sich in den deutschen Daten 1992 Konten mit 3616 Unterkonten und mindestens 3,3 Milliarden Euro Guthaben. Macht im Schnitt mehr als eine Million Euro Guthaben pro Unterkonto.

Neu sortiert

Steuerfahnder hören ungern, dass ihnen Material vorenthalten wird, das verfügbar ist. Genau so verhält es sich allerdings nach Recherchen von SZ, NDR und WDR mit den Swiss-Leaks-Daten, die den deutschen Finanzbehörden ja grundsätzlich auch vorliegen. Als aber die französischen Steuerbehörden ihren deutschen Kollegen 2010 die "deutsche Liste" übergaben (die schlicht "Allemagne" hieß), hatten sie nach den Kriterien Nationalität, Postleitzahl, Adressen und Telefonvorwahlen sortiert. Datenspezialisten des ICIJ analysierten die Daten nun ein zweites Mal und ordneten Deutschland fast doppelt so viele Kunden zu. Sie erweiterten die Kategorien um den Geburtsort und den Ausstellungsort des Personalausweises und nutzten neueste Software, etwa um Adressen besser zuordnen zu können. Bastian Obermayer

Etwas weniger, nämlich 850 000 Dollar, lagen um 2006/2007 offenbar auf einem Konto, das laut den Swiss-Leaks-Daten mit einem hochrangigen deutschen Manager, einem Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens, verbunden ist. Es ist ein Konto, das einige Eigenheiten aufweist: Es ist ein anonymes Nummernkonto, dessen Korrespondenz der Inhaber offenbar im Bankschließfach verwahren ließ, anstatt sie sich schicken zu lassen. Das besagt die Notiz "mail: kept in bank" in den geleakten Unterlagen. In den Notizen der Bankberater ist festgehalten, dass der Kunde im Dezember 2005 angerufen habe: Er werde vor Weihnachten vorbeikommen, und wolle "dann alles in bar" haben.

Unklar ist, ob damit der gesamte Kontobetrag gemeint ist, zu dieser Zeit offenbar etwa 100 000 Dollar, - oder nur die Erträge aus einem Verkauf von Anleihen. Der Manager wollte auf Anfrage keine Stellung nehmen. Sein Anwalt wies den Verdacht der Steuerhinterziehung zurück.

Society-Charity-Damen lassen ihre Post "zerstören"

Vielleicht sollte man auch zuerst erklären, welcher Art die Swiss-Leaks-Daten sind: Den Kunden sind meist nicht nur Konten und Geldbeträge zugeordnet, sondern auch eine Vielzahl von persönlichen Daten, etwa Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten, Berufe oder der Familienstand. Damit ist die Identifizierung meist eindeutig.

Etwa ein Drittel der deutschen Kontoinhaber führte solch anonyme Nummernkonten, wie im obigen Fall. Bei einer ungezählten Menge von Konten ist jene ebenfalls gerade erwähnte Regelung getroffen, dass den Kunden die Korrespondenz nicht nach Hause geschickt wird. Diese Praxis - für Fahnder ein eindeutiges Indiz - hat die HSBC inzwischen im Rahmen der neuen Weißgeldstrategie abgeschafft.

In 160 einzelnen Notizen zu deutschen Kontoinhabern ist sogar festgehalten, dass Kunden die aufbehaltene Post noch in der Bank "zerstörten" - wie eine deutsche Adelige, eine jener Society-Charity-Damen, die gerne in Bunte und Bild erscheinen.

In den Daten findet man auch einen prominenten Unternehmer aus einer der großen deutschen Familien. Der Mann, vor einigen Jahren in einen Millionen-Steuerskandal verwickelt, in dem auch die Schweiz eine prominente Rolle spielte, hatte ebenfalls ein Nummernkonto bei der HSBC. Es wurde nach jener Steueraffäre gegründet, und 2006/2007 waren darauf etwa 2,5 Millionen Dollar deponiert. Auf Anfrage sagt der Unternehmer lediglich, das Konto weder bestätigen noch dementieren zu wollen.

Zahlreiche deutsche HSBC-Kunden gaben diese Antwort. Einige beantworteten die Anfragen gar nicht, andere schickten Anwaltsbriefe zurück - in denen auf wenigen Zeilen erklärt wird, das Konto sei den Behörden bekannt.

Ein Abkömmling des letzten deutschen Kaisers

Tatsächlich dürften sehr viele der HSBC-Konten den Behörden inzwischen bekannt sein. Zudem hat die HSBC nach Erkenntnissen der SZ ihre Kunden im März 2010 gewarnt und sie über den Datendiebstahl informiert. Es folgte eine Vielzahl von Selbstanzeigen. Die Finanzämter ließen die meisten Selbstanzeigen offenbar nicht durchgehen, weil sie zu spät erstattet worden waren, gewährten aber Rabatt: Wer sich nach der HSBC-Warnung freiwillig meldete, musste weniger Strafe zahlen.

Zu denen, deren Steuerakte die zuständige Finanzbehörde aufgrund der Falciani-Daten 2010/2011 noch einmal zur Hand nahm, gehört ein höchst prominenter Vertreter des deutschen Hochadels, ein inzwischen verstorbener Abkömmling des letzten deutschen Kaisers. Auch sein Konto war ein Nummernkonto, auch bei ihm war vermerkt, man möge ihm die Korrespondenz im Schließfach aufbewahren. Und das Konto war dem zuständigen Finanzamt bis dato unbekannt.

Das Finanzamt bat also die deutsche Steuerkanzlei um Aufklärung, die den Toten betreut hatte. Die Kanzlei kannte das Konto ebenfalls nicht und fragte, so erzählt es ein enger Verwandter des Toten der SZ, schließlich bei der Familie nach. Aber auch da wusste offenbar niemand von dem ominösen Konto. Letztendlich habe sich das Finanzamt jedoch nicht mehr gemeldet, sagt der Verwandte.

Die Daten zeichnen ein Sittenbild der Oberschicht der alten Bundesrepublik

Diese Konstellation wurde bei den Recherchen häufig angetroffen: Oft ist die nachfolgende Generation in das Schweizer Konto nicht oder nicht umfänglich eingeweiht. So musste sich ein renommierter deutscher Verleger darum kümmern, dass seine betagte Mutter die Nach- und Strafzahlungen für ihr Schweizer Konto beglich. In einer deutschen Adelsfamilie wird offenbar noch immer nach dem HSBC-Konto gesucht, nach dem die SZ in einem Schreiben gefragt hatte. Und so gibt es noch etliche andere Fälle.

Die Daten und das deutsche Personal darin zeichnen noch einmal ein Sittenbild der Oberschicht der alten Bundesrepublik. Die meisten der Kunden sind ein wenig älter und äußerst wohlhabend - und viele waren nicht abgeneigt, der Steuer ein Schnippchen zu schlagen. So, das darf man nicht vergessen, so sah man das noch bis weit in die Neunzigerjahre, als das Schweizer Konto auch eine Art Statussymbol war.

"Damals hatte ich Aktien im Wert von einer halben Milliarde"

Die Anonymität der Schweizer HSBC zog aber auch andere Kunden an - solche nämlich, deren Geschäfte mit den deutschen Gesetzen nicht immer im Einklang standen. Etwa einen derzeit inhaftierten Millionenbetrüger - allerdings bevor seine Taten aufgeflogen waren. Bei zwei ehemaligen Rotlichtgrößen sieht es anders aus, beide waren noch als Kunden angenommen worden, als ihr krimineller Hintergrund - Hinterziehung, illegales Glücksspiel, Urkundenfälschung - bereits bekannt war.

Und dann ist da noch Florian Homm, der ehemalige Hedgefonds-Manager, der inzwischen auf der Most-Wanted-Liste des FBI steht - wegen angeblichen Betrugs in dreistelliger Millionenhöhe. Sein Name kann hier genannt werden, er hat damit keine Probleme.

In Homms HSBC-Konto, das schon viele Jahre geschlossen ist, gibt es eine Verbindung zu einer Yachtfirma in Griechenland. Möglicherweise eine Schiffsbeteiligung? Homm überlegt am Telefon. "Kann sein", sagt er, und dann: "Wissen Sie, damals hatte ich Aktien im Wert von einer halben Milliarde. Die einzige Schiffsbeteiligung, an die ich mich erinnere, war 50 000 wert. Verstehen Sie? Das stand nicht ganz oben auf meiner Liste."

Mitarbeit: Petra Blum, Bastian Brinkmann, Robert Gast, Christoph Giesen, Arne Meyer, Klaus Ott, Julia Stein, Jan Strozyk, Benedikt Strunz

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