Swap-Geschäfte:20 Monate auf Bewährung für Pforzheims Ex-Bürgermeisterin

Prozess um Millionenverluste

Die frühere Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Christel Augenstein (FDP)

(Foto: dpa)

Mit riskanten Wertpapiergeschäften wollte Christel Augenstein die Schulden der Stadt verringern - und verzockte stattdessen weitere 50 Millionen Euro. Ihr Anwalt und Parteifreund Wolfgang Kubicki kündigt eine Revision an.

Von Josef Kelnberger, Mannheim

Auch Richter lernen nie aus, und so hat Andreas Lindenthal als Vorsitzender der Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Mannheim in den vergangenen Monaten viel Neues erfahren. Zum Beispiel, dass Banken "gefährliche Dinge verkaufen", und dass sie dann, um das Risiko auf andere abzuwälzen, nach der Methode "cover your ass" verfahren. Um in der Terminologie des Hohen Gerichts zu bleiben: Rette Deinen Arsch.

Deshalb hatte Richter Lindenthal an diesem Dienstag keine Haftstrafen für die Deutsche Bank oder JP Morgan zu verkünden. Vielmehr traf es Christel Augenstein, die ehemalige Oberbürgermeisterin von Pforzheim, sowie deren ehemalige Stadtkämmerin. Ein Jahr und acht Monate für Christel Augenstein, zwei Jahre für Susanne W. wegen Untreue.

Zinswetten galten vor der Finanzkrise als "modernes Schuldenmanagement"

Die Strafen fallen sehr viel milder aus, als von der Staatsanwaltschaft gefordert (zwei Jahre und vier respektive sechs Monate), und sie werden zur Bewährung ausgesetzt, obwohl es um einen Schaden von vielen Millionen Euro geht. Diese Milde habe, wie Richter Lindenthal erklärte, auch damit zu tun, dass die beiden Frauen sozusagen exemplarisch für Hunderte von Kommunen angeklagt wurden, die versucht haben, mit riskanten Finanzgeschäften die Zinslast zu drücken und den Haushalt zu sanieren. Sie wurden als Erste verurteilt.

Derivate, vor allem Zinswetten, galten in den Jahren bis zur Finanzkrise als "modernes Schuldenmanagement". Kritiker halten es bis heute für eine der größten Verirrungen des seinerzeit herrschenden neoliberalen Zeitgeistes, dass Städte und Gemeinden ihr Schicksal in die Hand des Casino-Kapitalismus gaben. Passenderweise ließ sich Augenstein vor ihrem Parteifreund Wolfgang Kubicki vertreten, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden er FDP.

Wie im Kasino, nur noch riskanter

Jahrelang haben Institute wie die Deutsche Bank, die West LB und andere Landesbanken oder die Hypo-Vereinsbank sogenannte Swaps verkauft - und dafür viel Ärger vor den Gerichten bekommen. Bei den Swaps handelt es sich um höchst komplexe und oft spekulative Wertpapiere. Eigentlich dienen sie dazu, sich für eine festgelegte Laufzeit gegen ein bestimmtes Risiko abzusichern.

Zwei Partner tauschen dazu beispielsweise einen variablen Zinssatz gegen einen fixen. Daher auch der Name: Im Englischen heißt "to swap" so viel wie "tauschen". Vereinfacht gesagt kann ein Unternehmen oder eine Kommune beispielsweise ein Darlehen mit veränderlichem Zinssatz aufnehmen und sich mit einem Swap gegen das Risiko steigender Zinsen absichern. Häufig wurden Swaps deshalb als Mittel zur "Zinsoptimierung" zusammen mit Krediten an Unternehmen, Gemeinden und wohlhabende Privatleute verkauft.

Was nach Absicherung aussah, war in vielen Fällen aber eigentlich pure Spekulation. Denn im Kern ähneln Swaps einer Wette: Sind die Darlehenszinsen in zehn Jahren höher oder niedriger als heute? Wird ein Kredit zurückgezahlt oder nicht? Steigt oder fällt der Kurs einer Währung zu einer anderen? Am Ende kann immer nur eine der beiden am Swap beteiligten Parteien gewinnen.

Oft werden Swaps deshalb vereinfacht als "Zinswetten" oder "Währungskurswetten" beschrieben. In Wahrheit sind sie aber noch viel riskanter. Wer ins Kasino zum Wetten geht, kann dabei höchstens so viel verlieren, wie er vorher auf den Tisch gelegt hat. Anders bei Swaps. Ihr Verlustrisiko ist theoretisch unbegrenzt, wie der Bundesgerichtshof in einem Urteil bereits festgestellt hat, vor allem dann, wenn Währungsgeschäfte enthalten sind. Der Schaden kann dann schnell den Einsatz übersteigen.

Kubicki kündigte noch im Gerichtssaal an, er werde Revision einlegen und den Fall vor den Bundesgerichtshof bringen. In seiner unnachahmlichen Art erklärte er, der Mannheimer Richter habe die komplizierte Materie einfach nicht durchdrungen, und seine Mandantin habe bis heute übliche Geschäfte getätigt, eben nur mit verhängnisvollem Ausgang.

Auch JP-Morgan-Mitarbeiter saßen auf der Anklagebank

Christel Augenstein hatte in ihrem Schlusswort über das viele Jahre dauernde, "existenzvernichtende" Verfahren geklagt. Pforzheim, sagte Augenstein, sei das "Opfer von intransparenten Geschäften vertrauenswürdiger Banken" geworden. Ähnlich äußerte sich ihre damalige Kämmerin Susanne W.. Dank der Hilfe der "weltbesten Experten" sei sie überzeugt gewesen, eine Lösung für die Finanzprobleme Pforzheims gefunden zu haben. Die weltbesten Experten: Damit meinte sie Berater der Deutschen Bank und der Investmentbank JP Morgan.

Zwei der Mitarbeiter von JP Morgan saßen in Mannheim zunächst mit auf der Anklagebank, die Staatsanwaltschaft warf ihnen zunächst Beihilfe zur Untreue vor. Oberbürgermeisterin und Kämmerin hatten, nachdem die Zinswetten bei der Deutschen Bank in ein Millionen-Minus geführt hatten, den Beistand der in London ansässigen Privatbank gesucht. Man schloss, statt den Stadtrat zu informieren, neuerliche, noch riskantere Finanzwetten ab, die dann ins totale Fiasko führten. Nicht nur Zinsschwankungen, sondern auch Währungsrisiken waren in den neuen Verträgen enthalten. Um auf Nummer sicher zu gehen, rief sogar der Deutschland-Chef von JP Morgan im Rathaus an und wies auf die Risiken hin.

"Gravierende, klare, evidente Pflichtverstöße"

Das Verfahren gegen die beiden Bank-Angestellten wurde vorzeitig gegen eine Geldauflage von 400 000 respektive 125 000 Euro eingestellt. Der ehemalige stellvertretende Kämmerer von Pforzheim, ebenfalls der Beihilfe zur Untreue angeklagt, kam mit einer Geldauflage von 9000 Euro davon.

Blieben zurück auf der Anklagebank: die Oberbürgermeisterin und ihre Kämmerin, zwei Pforzheimerinnen, die den Vorwurf energisch zurückwiesen, sie hätten bewusst zum Nachteil der Stadt gehandelt, im Gegenteil: Sie hätten die bei Amtsantritt schon erdrückende Zinslast der Stadt drücken wollen. Als Augensteins Nachfolger Gert Hager die Geschäfte 2009 beendete, war ein Schaden von mehr als 50 Millionen Euro entstanden; in Vergleichen mit den Banken holte die Stadt mehr als 40 Millionen zurück. Doch bis heute leidet die Stadt unter der hohen Verschuldung.

Richter Lindenthal warf den beiden auch nicht vor, der Stadt bewusst geschadet zu haben. Dennoch hätten sie sich "gravierende, klare, evidente Pflichtverstöße" zuschulden kommen lassen, und auf unvertretbare Art und Weise mit dem Vermögen der Stadt spekuliert, teilweise ohne Limit und an den Gremien der Stadt vorbei. An die beiden Angeklagten gewandt sagte Lindenthal: "Sie haben gewusst, dass Sie Handgranaten kaufen und keine Ostereier."

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