Süddeutsche Zeitung

Diskriminierung am Arbeitsplatz:Für echte Diversität

Frauen mit Zuwanderungsgeschichte haben es im Beruf und beim Berufseinstieg häufig schwer. Acht von ihnen sind angetreten, um das zu ändern.

Von Kathrin Werner

Plötzlich war da eine fremde Hand in ihren Haaren. Regina Sandig kam eines Morgens zur Arbeit und hatte eine andere Frisur, keine Haarverlängerung wie vorher, sondern ihre natürlichen krausen Haare. "Darf ich mal?", rief eine Kollegin und ehe Sandig antworten konnte fasste ihr die Frau bereits ins Haar. "Ich war total perplex, es war einer dieser Momente, in denen es einem die Sprache verschlägt", sagt sie. "Schwarze gelten immer noch als exotisch, wir unterliegen anderen Regeln."

Grenzüberschreitungen, Mikroaggressionen, Diskriminierung - so etwas erleben Frauen mit Zuwanderungsgeschichte sehr oft auch am Arbeitsplatz oder bei der Jobsuche - und es bremst sie aus, oft trotz besten Qualifikationen. Sandig fallen viele Geschichten ein. Zum Beispiel der eine Abschied nach einem erfolgreichen Praktikum. "Ja, Frau Sandig, Sie haben ganz schön Farbe in unser Team gebracht", sagte da der Chef. Betretenes Schweigen im Raum.

Sandig hat beschlossen, etwas zu ändern. Zusammen mit sieben weiteren Frauen gehört sie zum Team der Swans-Initiative, die sich für einen gerechteren Arbeitsmarkt für im deutschsprachigen Raum aufgewachsene Studentinnen, Absolventinnen und junge Berufstätige mit Zuwanderungsgeschichte, Schwarze Frauen und Women of Color einsetzt. Die Swans-Initiative bietet Seminare und Webinare an, einen Bewerbungscheck, Mentoring und Coaching. Und ganz wichtig: Swans ist eine Gemeinschaft, in der sich die "Schwäne" austauschen und langfristig miteinander in Verbindung bleiben können. Fast 400 Frauen sind inzwischen im Netzwerk. "Wenn man mit anderen spricht, sieht man, dass nicht ich selbst das Problem bin, dass es sich nicht um Einzelerfahrungen handelt, sondern dass es etwas Strukturelles ist", sagt Sandig. "Das spart Energie, die wir für etwas anderes nutzen können, zum Beispiel dafür, den tollen Job zu finden."

Doch es gab bislang keine Hilfsangebote, die exakt auf sie zugeschnitten waren. Denn bei den acht Frauen des Swans-Teams überschnitten sich mehrere Faktoren, wegen denen Menschen diskriminiert werden: Zuwanderungsgeschichte, ethnischer oder religiöser Hintergrund, ein Name, der sich nicht so leicht aussprechen lässt, oft sind sie dazu noch Arbeiterkinder und die ersten in ihrer Familie, die studiert haben. "Dann hat man einfach ein anderes Auftreten als die Kieferorthopäden-Töchter", sagt Martha Dudzinski, die Geschäftsführerin der Initiative. Und dann sind sie auch noch Frauen. Einige der Swans-Gründerinnen waren Stipendiatinnen der Deutschlandstiftung Integration, die jungen Menschen mit Migrationsbiografie auf ihrem Karriereweg hilft - doch bei den Treffen dort übernahmen oft die Männer das Wort. "Wir haben danach gesagt, dass wir gerne so einen Raum hätten - nur ohne Männer", sagt Dudzinski.

"Oh, du kannst aber gut Deutsch"

Diskriminierung ist oft nicht explizit böse gemeint, tut aber trotzdem weh und zeigt, dass davon ausgegangen wird, dass der andere nicht dazu gehört, sagt Dudzinski. Wer so stigmatisiert wird, hat es schwer im Beruf, auch weil es passieren kann, dass man das Nicht-Dazu-Gehören verinnerlicht. Es sind oft Fragen und Aussagen wie diese: "Oh, du kannst aber gut Deutsch" oder "Ach, dein Vater lässt dich also arbeiten?" oder "Darf ich deine Haare anfassen?" "Es gibt immer den Unterton, dass man dir deine Qualifikationen abspricht oder sie zumindest in Frage stellt", sagt Dudzinski. "Wer immer das Gefühl hatte, einen Platz am Tisch zu erhalten, hat eine ganz andere Anspruchshaltung, ein ganz anderes Selbstverständnis", sagt die 32-Jährige, deren Familie aus Polen stammt und die sich am Anfang ihres Studiums zunächst nicht traute, sich auf die besten Praktikumsplätze zu bewerben. "Wir wollen einen Raum bieten, wo man dafür Verständnis bekommt, wo man sich fallen lassen kann. Und wo man das überwinden kann."

Menschen mit Migrationshintergrund haben im Beruf viele Nachteile - und das obwohl genauso viele von ihnen im Alter von 25 bis 34 Jahren einen Hochschulabschluss haben wie Menschen ohne Migrationshintergrund: 26,1 Prozent. Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks studierten 2016 in Deutschland etwas mehr als 215 000 Frauen mit Migrationshintergrund und 421 000 Frauen zwischen 18 und 36 Jahren hatten einen akademischen Abschluss, insgesamt gibt es also 636 000 hochqualifizierte Frauen mit Migrationshintergrund - potenzielle Schwäne. Trotzdem bleiben sie auf dem akademischen Arbeitsmarkt unterrepräsentiert. Frauen mit Kopftuch zum Beispiel mussten sich laut einer Studie des Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit bei gleicher Qualifikation ganze 7,6 Mal häufiger auf Berufe mit höherer Ausbildung bewerben als Bewerberinnen mit deutschen Namen, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Dabei schadet das nicht nur den Bewerberinnen selbst - sondern auch der Wirtschaft. Denn dass Vielfalt und bessere wirtschaftliche Ergebnisse zusammenhängen, ist in etlichen Studien belegt. Doch meist geht es bei den Bemühungen um Diversität in der deutschen Wirtschaft vor allem um Frauen - und selbst da nur mit mäßigem Erfolg, schließlich haben andere Länder wie die USA deutlich mehr Chefinnen. Die Jobplattform Indeed fand im Februar 2021 unter den häufigsten Vornamen von Geschäftsführern von 318 190 GmbHs in Deutschland keine, die auf einen Migrationshintergrund schließen könnten. Unter die ersten 70 schaffen es nur zehn Frauennamen, erst auf Platz 69 taucht mit Ali ein Vorname auf, der auf eine arabische oder türkische Herkunft schließen lässt. Nach Frauennamen, die nach Migrationshintergrund klingen, muss man lange suchen.

Die Swans-Initiative wächst und wird immer professioneller. Bislang machen die Gründerinnen die Arbeit ehrenamtlich neben Studium, Beruf und Baby, aber es ist kaum noch zu schaffen. Ab September wird sich Dudzinski, die bislang als Pressesprecherin für Mercedes arbeitet, Vollzeit um die Swans kümmern. Und aus der Initiative wird bald eine gemeinnützige GmbH. Finanzierung kommt unter anderem von der Robert Bosch Stiftung. Außerdem arbeiten die Swans mit Arbeitgebern wie McKinsey und der internationalen Wirtschaftskanzlei Skadden zusammen. Sandig hat einst ein Seminar zum Thema Gehaltsverhandlung belegt - eine erhellende Erfahrung. "Vorher hatte ich keine Ahnung, dass man Gehalt überhaupt verhandeln kann", sagt sie. "Meine Eltern konnten das nie machen." Sandig ist in Deutschland geboren, studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in Berlin und London und war Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes, heute arbeitet sie als Trainee bei der BMW Foundation Herbert Quandt. "Wir alle sind hier aufgewachsen, haben uns durch die Schule gekämpft, beste Leistungen erbracht, sind Akademikerinnen geworden", sagt die 26-Jährige. "Beim Einstieg in die Arbeitswelt ist uns allen dann aufgefallen, dass es doch bestimmte Nachteile gibt, die wir gemeinsam haben, dass es diese Fremd-Markierungen gibt."

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