Supermarkt-Ketten:Tengelmann: Tausende hoffen auf den Chef des Konkurrenten

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"Denen geht es doch gar nicht um uns Mitarbeiter, sondern nur ums Geld" (Foto: dpa)

Gibt es in letzter Minute doch noch eine Chance? An dem Chef von Rewe hängt der Erhalt der Arbeitsplätze von Kaiser's Tengelmann.

Von Markus Balser, Michael Kläsgen und Kristiana Ludwig

Zwischen zwei Regalen, in einem neonbeleuchteten Supermarkt unter der Erde, schlägt Marianne Steiner mit der flachen Hand auf einen Stapel Pappkartons. "Das war's jetzt", sagt sie. Seit Donnerstagabend weiß Steiner, dass sie und ihre Kollegen bei Kaiser's Tengelmann mit dem "Verlust ihrer Arbeitsplätze" rechnen müssen. Steiners Haar ist raspelkurz und grau, sie trägt ein Goldkettchen über dem Tengelmann-T-Shirt. Sie ist 60 Jahre alt und möchte ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen.

Im April wird sie 30 Jahre in Berliner Tengelmann-Filialen gearbeitet haben. Während sie ihr Jubiläum feiert, so sieht es aus, wird Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub das Unternehmen zerschlagen. Die Verhandlungen über die Rettung der Kette und aller Arbeitsplätze mit den Konkurrenten Edeka, Markant, Norma, Rewe sowie der Gewerkschaft Verdi wurden am Donnerstagabend von den Unternehmen als gescheitert erklärt. Steiner ist frustriert. "Denen geht es doch gar nicht um uns Mitarbeiter, sondern nur ums Geld", sagt sie.

Stimmt das?

Einer, der einfach nur einen Scheck in vielleicht dreistelliger Millionensumme einstecken müsste, um endlich Frieden zu geben, und damit Tausende Arbeitsplätze retten könnte, ist der Rewe-Chef Alain Caparros, ein Franzose mit deutschem Pass. Und, wie man hört, kein leicht beratbarer oder berechenbarer Zeitgenosse. Auf ihn richten sich nun alle Blicke: die vieler Mitarbeiter, aber auch aller anderen Beteiligten in dem Verfahren, das sich nun schon mehr als zwei Jahre hinzieht.

In dem endlos langen Gefeilsche steht er nun plötzlich als Bösewicht da, obwohl er immer betonte, aufseiten der Mitarbeiter zu stehen. Doch seit Donnerstagabend, als das Scheitern offiziell verkündet wurde, sieht es so aus, als sei er derjenige, der verantwortlich wäre für die Zerschlagung von Kaiser's Tengelmann und damit für den Verlust von schätzungsweise bis zu 8000 Jobs. Verdi-Chef Frank Bsirske schaltete sich deshalb noch einmal persönlich ein. Am Freitag drängte er ihn, doch diesen Scheck zu akzeptieren und dann die Beschwerde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zurückzuziehen.

Vom Bösewicht zum lucky hero

Ja, der Gewerkschafter Bsirske riet Caparros dazu, sich die Beschwerde abkaufen zu lassen. Mit der blockiert der Rewe-Chef seit Mitte Juli die Fusion zwischen Kaiser's Tengelmann und Edeka, dem Erzrivalen von Rewe. Und er verhindert damit den Erhalt aller verbliebenen offiziell etwa 16 000 Arbeitsplätze. Die wären für mindestens fünf Jahre gesichert, weil sich Edeka per Ministererlaubnis dazu verpflichtet hat, die bereits mit den Beschäftigten geschlossenen Tarifverträge in diesem Zeitraum nicht anzurühren.

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Die anderen Kläger vor dem OLG, der Discounter Norma und das Abwicklungsbüro Markant, würden sich mit Barem begnügen, heißt es. Warum tut sich Caparros also so schwer damit? Wo doch sonst sein Herz angeblich so für die Mitarbeiter schlägt? In der Domstraße zu Köln, dem Sitz der Rewe-Zentrale am Hauptbahnhof, ging es deswegen am Freitag hoch her. Vorstandssitzung. Was tun? Wäre es nicht reizvoll, einen dreistelligen Millionenbetrag zu kassiert, ohne viel dafür zu tun? Wie kann man den Preis noch hoch treiben? Und stünde Rewe am Ende nicht als Retter der Arbeitsplätze da? Kurz: Könnte man nicht kurzerhand das Blatt wenden und Caparros vom Bösewicht zum lucky hero mutieren? Und so kam es, dass Caparros sich am Freitagnachmittag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters doch noch zu einem "letzten Versuch einer Einigung" bereit erklärte. Er wolle an einer weiteren Verhandlungsrunde teilnehmen.

Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Caparros zuvor noch bearbeitet, sich einen Ruck zu geben. So schwer kann es doch nicht sein, einen Scheck zu akzeptieren. Anschließend bat der Minister in die Berliner SPD-Zentrale und berichtete darüber. Er betonte, was bei den dramatischen Rettungsversuchen auf dem Spiel steht. "Es wäre schockierend, wenn wir es nicht schaffen würden, 16 000 Arbeitsplätze, die auf dem Spiel stehen, zu retten." Es gehe um Menschen, die nicht viel Geld verdienten. Die soziale Marktwirtschaft müsse jetzt zeigen, dass sie dazu in der Lage ist, diesen Menschen zu helfen. Offenbar sieht Gabriel noch Chancen für eine Einigung bis zur Frist am kommenden Montag. Es bleibe also das Wochenende.

Ehe Gabriel Caparros anrief, hatte er sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abgesprochen. Auch die ist also inzwischen in den Fall eingebunden. Daraufhin nahm Gabriel nicht nur Caparros, sondern auch alle anderen Beteiligten per Telefon ins Gebet. "Ich habe appelliert, noch eine Lösung zu suchen." Gabriel brachte einen Schlichter ins Spiel, so wie es auch Caparros getan hatte, und schloss nicht aus, höchstpersönlich die Vermittlerrolle zu übernehmen. "Wer das machen soll, müssten aber die Beteiligten regeln", sagte er.

Kommt es also doch noch zur Scheck-Lösung? Sie hätte neben dem Baren für Rewe den Charme, dass Rivale Edeka sich für mindestens fünf Jahre einen gewaltigen Klotz ans Bein binden würde.

Die Rewe-Leute haben das mal durchgerechnet. Allein die Einhaltung der Tarifverträge würde Edeka 120 bis 150 Millionen Euro kosten. Mehr noch: Die Bedingungen der Ministererlaubnis beziehen sich auf 451 Läden und 16 000 Mitarbeiter. Bis Ende dieses Jahres wird die Zahl der Filialen aber auf höchstens noch 405 geschrumpft sein - und die der Mitarbeiter auf 14 500. Das bedeutet: Bei strikter Einhaltung der Ministererlaubnis müsste Edeka Mitarbeiter einstellen, ohne sie gebrauchen zu können und zwar nach Tarifvertrag. Zusätzlich hätte Edeka Fleischwerke und Lager am Hals, die der Konzern nicht wirklich benötigt.

Dass ihn solche Gedanken umtreiben, würde der Franzose mit dem deutschen Pass in seiner temperamentvollen Art zwar weit von sich weisen. Was ihn wirklich umtreibt, bleibt rätselhaft. Am Donnerstagabend ließ Caparros einmal mehr, diesmal per Pressemitteilung, die Mär verschicken, wonach Rewe gewillt sei, statt Edeka die Läden von Kaiser's zu übernehmen, und zwar mit allem Drumherum, den Fleischwerken und den Lagern, und auch mit den Tarifverträgen. Caparros posaunt das so bei jeder Gelegenheit heraus. Rewe hat die Botschaft auch schon per Anzeigen-Kampagne verbreitet. Hinter den Kulissen sollen sich die Rewe-Leute aber darüber amüsieren, welche Lasten Edeka sich da aufgebürdet hat.

Und jeder, der sich ein wenig mit der Sache auskennt, weiß inzwischen, dass Rewe nicht einfach so alles übernehmen kann. Es wäre kartellrechtlich nicht möglich. Der Verkauf müsste erneut geprüft werden, das wiederum Monate dauern würde. Die mühsam durchgeboxte Ministererlaubnis müsste neu aufgesetzt werden. Keiner will das.

Persönliche Animositäten

Vor allem aber: Haub will, warum auch immer, nicht alles an Caparros verkaufen. Da spielen auch persönliche Animositäten eine Rolle. Haub hält Caparros für nur bedingt vertrauenswürdig. Sie sind schon einmal aneinander geraten, als Haub Anfang der Nullerjahre seine Plus-Märkte verkaufte. Und außerdem hat der Tengelmann-Chef vor zwei Jahren einen Kaufvertrag mit Edeka geschlossen - durchaus mit Hintergedanken. Er hält am Soft-Discounter Netto ein hübsche Beteiligung, und Netto gehört zu Edeka. Wenn Netto Gewinn macht, klingelt auch Haubs Kasse. Und natürlich würden einige Kaiser's-Filialen irgendwann in Netto-Discounter umgewandelt. Die Kaiser's-Märkte, die Haub im Moment nur Ärger und einen Verlust von zehn Millionen Euro im Monat bereiten, könnten sich so in kleine Glücksbringer verwandeln: in ein nettes, regelmäßiges arbeitsloses Einkommen.

Daran, dass es Kaiser's so schlecht geht, ist Haub maßgeblich selbst schuld. Sein Vater, der in jüngeren Jahren häufiger mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl gesichtet wurde, war derjenige, der die Ostdeutschen nach der Wende mit Bananen beglücken wollte. Tengelmann war damals noch eine große Nummer, allerdings mit hohen Schulden. Sohn Karl-Erivan konnte hingegen mit den Supermärkten nie etwas anfangen. Start-ups sind vielmehr seine Sache. Am Mittwoch feierte er im Münchner "Kohlebunker" das fünfjährige Bestehen des Online-Möbelhauses Westwing. Daran ist Haub seit drei Jahren beteiligt. Dafür ist er sehr sozial. Kaiser's zahlt besser als die meisten anderen, und zwar in der Regel nach Tarif. Haub bleibt seinen Kunden treu und subventionierte die verlustbringenden Supermärkte mit Einnahmen bei Obi und Kik, den Ketten, die ihm ebenfalls gehören.

Die soziale Ader Haubs ist in den Märkten unverkennbar. In den Berliner Tengelmann-Filialen ist von den 5300 festen Mitarbeitern fast jeder Fünfte älter als 50 Jahre. "Es gibt eine hohe Vereinstreue", sagt der Betriebsrat. "Wir dachten, das Unternehmen wäre krisensicher", sagt eine Mitarbeiterin im Bezirk Mitte, die 30 Jahre für die Kette gearbeitet hat, in vier verschiedenen Filialen. Nun aber liest sie seit zwei Jahren, was über die Tengelmann-Verhandlungen in der Zeitung steht und wartet ab. Was sonst?

Eine Kassiererin mit Brille und faltigen Händen zieht in Kreuzberg Scheibenkäse und Kiwis über den Scanner. Vormittags kommen erst die Rentner und dann diejenigen, die schon Wein kaufen. Sie schaut über ihr Band und sagt: "Wir müssen heute ganz stark sein." Ihr Kollege in der Getränkeabteilung, 44 Jahre alt, zwei Kinder, sagt, er habe sich entschieden, die Lage erst einmal abzuwarten. Einen Job zu finden ist nicht einfach, sagt er. Diesen hat er seit 18 Jahren. "Mir ist egal, was oben drüber steht" - ob Tengelmann, Rewe oder Netto.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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