Supermarkt-Fusion:Der Geschäftsbetrieb bei Kaiser's Tengelmann lässt sich nur noch mit Ach und Krach aufrechterhalten

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Ein Bild mit Symbolik? Unbenutze Einkaufswägen bei Kaiser's Tengelmann in Berlin. (Foto: Mauersberger/Imago)

Die Geschäftsführung schildert erstmals die Dramatik der Lage. Die Existenz ist bedroht.

Von Michael Kläsgen, München

Die Situation bei Kaiser's Tengelmann wird immer dramatischer. Geschäftsführer Raimund Luig schrieb Karl-Erivan Haub, dem Eigentümer der Supermarktkette: "Mit jedem Tag wird es schwieriger. Im Oktober müssen wir zum Beispiel das Team 'Nationales Qualitätsmanagement' auflösen." Der Brief vom 6. September liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Im zentralen Dienstleistungszentrum habe es, so Luig, in den vergangenen zwei Jahren 100 Eigenkündigungen gegeben. Der Geschäftsführer betont, dass sich der Geschäftsbetrieb nur noch mit Ach und Krach aufrechterhalten lasse.

Die gesamte IT, an der die Logistik und das Kassensystem hänge, drohe zusammenzubrechen. Der Geschäftsführer appelliert in unmissverständlichen Worten an Haub, am kommenden Freitag die Reißleine zu ziehen. "Auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünschen sich eine Entscheidung", schreibt Luig. Haub will dem Aufsichtsrat am Freitag vorschlagen, so sieht es nach gegenwärtigem Stand aus, das Unternehmen zu zerschlagen, das heißt, teils zu verkaufen, für andere Teile Insolvenzantrag zu stellen. Haub ist Eigentümer und Aufsichtsratsvorsitzender.

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:Brandbrief an den BGH

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Die Dramatik erhöht sich dadurch, dass immer mehr Vermieter der Supermärkte abspringen. "Unsere Vermieter sind verunsichert und suchen nach Alternativen", schreibt Luig. "In München hat die gesamte Expansionsabteilung zu unseren Wettbewerbern gewechselt und spricht nun teilweise gezielt unsere Vermieter an, um sich als Nachmieter ins Gespräch zu bringen."

Es stehe bereits fest, dass die Supermarktkette Ende 2016 auf bundesweit nur noch 405 Filialen schrumpfe. Luig prophezeit, 2017 würden weitere 25 Filialen geschlossen, da Mietverträge nicht verlängert oder Optionen auf Mietvertragsverlängerungen nicht gezogen würden. Besonders dramatisch ist die Lage in der Region Nordrhein, im Umkreis von Düsseldorf und Köln, etwa im Raum Mönchengladbach und Viersen. Laut Luig ist die Anzahl der Filialen dort binnen zwei Jahren von 145 auf derzeit 95 gesunken.

Aldi unterbietet die Preise von Kaiser's Tengelmann

Die Kette habe in den ersten neun Monaten dieses Jahres einen Verlust von 90 Millionen Euro angehäuft. Im Vergleich zum Vorjahr sei der Umsatz um 13,5 Prozent zurückgegangen, "zuletzt mit stark zunehmender Tendenz". Schon jetzt sei abzusehen, dass er sich 2017 nochmals "deutlich verschlechtern" werde. Das liege auch an Konkurrenten wie Aldi. Der Discounter nähme Markenprodukte ins Sortiment und unterbiete die Preise von Kaiser's Tengelmann.

Am Wochenende hatte als Erster Bild am Sonntag berichtet, dass sich Kaiser's Tengelmann von 80 Standorten in Nordrhein-Westfalen trennen will. Nach Informationen der SZ ist diese Zahl zutreffend. 34 Standorte sind demnach "nicht mehr zu retten", 16 sind im Laufe dieses Jahres bereits geschlossen worden; 46 wolle der Lebensmittelkonzern Edeka unter seiner Discount-Marke Netto weiterführen.

Edeka hatte 2014 einen Kaufvertrag mit Haub über damals bundesweit 451 Filialen, die Verwaltung, Fleischwerke und die Logistik abgeschlossen. Doch das Kartellamt und die Monopolkommission lehnten den Verkauf ab. Haub und Edeka versuchten anschließend, den Kauf mittels einer Ministererlaubnis durchzusetzen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erlaubte ihn schließlich. Doch jetzt ist der Fall vor Gericht anhängig. Es könnten Jahre bis zu einem rechtskräftigen Urteil vergehen. Die Zeit hat Haub nicht. Spricht sich der Aufsichtsrat am Freitag für eine Zerschlagung aus, wären allein in Nordrhein-Westfalen etwa 3000 von 4000 Stellen in Gefahr. Auch in Berlin und Bayern würde es zu Schließungen kommen.

Kaiser's Tengelmann schreibt seit dem Jahr 2000 rote Zahlen. Bei einer Zerschlagung wäre die angestrebte Komplettübernahme durch Edeka vom Tisch. Für Edeka hätte das sogar finanzielle Vorteile. Denn die Nummer eins im deutschen Lebensmitteleinzelhandel hatte sich im Zuge der Ministererlaubnis dazu verpflichtet, auch die maroden Standorte zu übernehmen und sie in den kommenden sieben Jahren nicht zu privatisieren. Zudem schloss Edeka mit der Gewerkschaft Verdi für alle offiziell 16 000 Mitarbeiter Tarifverträge ab, die zum Teil deutliche Lohnerhöhungen vorsehen.

Spitzentreffen könnte Zerschlagung noch abwenden

Würde es zu einer Zerschlagung und einem anschließenden Bieterverfahren kommen, wäre Edeka im Vorteil. Die Gruppe hat Einblick in die Bücher und wüsste, wie attraktiv welche Filiale ist und wie viel sie dafür bieten müsste. Würde ein früherer Tengelmann-Standort zu einem Edeka-Discounter Netto werden, würde dem Vernehmen nach auch Haub daran verdienen. Er soll eine Gewinnbeteiligung von zehn Prozent an Netto halten.

Mit einem Treffen der Spitzen von Tengelmann, Edeka und Konkurrenten wie Rewe könnte eine Zerschlagung vielleicht noch in dieser Woche abgewendet werden. Verdi mobilisiert die Unternehmen im Hintergrund für einen solchen runden Tisch. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement stünde als Vermittler bereit.

© SZ vom 19.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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