Süddeutsche Zeitung

Supermärkte:Ganz oder gar nicht

Der Wirtschaftsminister setzt sich über das Kartellamt hinweg: Edeka darf Tengelmann übernehmen - aber nur, wenn alle Jobs erhalten bleiben. Manche halten das für falsch.

Von Michael Bauchmüller, Berlin/München

Monatelang haben die Unternehmen auf eine "Ministererlaubnis" gewartet. Doch am Dienstag, als es endlich so weit sein soll, bekommen sie nur eine "Ministerentscheidung". So nennt Sigmar Gabriel das, als er in Berlin endlich vor die Presse tritt. Der Bundeswirtschaftsminister von der SPD hat die Entscheidung gefällt, unter welchen Bedingungen er eine Erlaubnis erteilen möchte - die Erlaubnis für die Fusion der Lebensmittelkonzerne Kaiser's Tengelmann und Edeka.

Es ist das vorläufige Ende eines langen Tauziehens. Im April hatte das Bundeskartellamt den Verkauf von gut 450 Tengelmann-Filialen untersagt. Auf "zahlreichen, ohnehin stark konzentrierten regionalen Märkten", so argumentierte die Bonner Behörde seinerzeit, werde die Übernahme zu einer "erheblichen Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen" führen. Vor allem in München, Berlin und Nordrhein-Westfalen drohe Eintönigkeit unter Supermärkten. Als letzter Ausweg blieb damals nur die sogenannte Ministererlaubnis - der Wirtschaftsminister darf damit sein Kartellamt überstimmen.

Auf vier knappen Seiten dürfen die Lebensmittelhändler nun nachlesen, unter welchen Bedingungen sie die ersehnte Erlaubnis erhalten. Anders als von Edeka geplant, sollen die Kaiser's-Tengelmann-Filialen nicht an selbständige Händler übergeben werden, wie sie sich im Genossenschafts-Verbund Edeka zusammengetan haben. Stattdessen sollen die Tengelmann-Geschäfte fünf Jahre lang als Edeka-Filialen geführt werden, mit "flächendeckenden Betriebsratsstrukturen". Nach Ablauf der Frist können zwar Selbständige die Filialen übernehmen, sie müssen sich aber in Tarifverträgen darauf verpflichten, zwei Jahre lang keinen Beschäftigten betriebsbedingt zu kündigen. Der Fleischzulieferer Birkenhof, den Edeka eigentlich schließen wollte, soll so modernisiert werden, dass er sich entweder von einem Dritten fortführen lässt oder bei Edeka bleiben kann. "Die Edeka-Zentrale & Co. KG ist gegenüber dem Minister für die Erfüllung der vorstehenden Bedingungen verantwortlich", heißt es in dem Brief. Jedes Jahr soll sie einen "Statusbericht" übermitteln. "Es gibt keine Hintertür", sagt Gabriel. "Alle Bedingungen muss Edeka erfüllen."

"Wenn etwas dem Gemeinwohl dient, dann die Sicherheit von Arbeitsplätzen."

Ministererlaubnisse haben bislang Seltenheitswert. Seit 1974 gab es 21 Anträge darauf, acht davon hatten Erfolg. Das Gesetz erlaubt sie, wenn " gesamtwirtschaftliche Vorteile" oder das "überragende Interesse der Allgemeinheit" die Nachteile aufwiegen. Gabriel sieht derlei Interesse vor allem im Erhalt der Arbeitsplätze. "Wenn etwas in einer sozialen Marktwirtschaft dem Gemeinwohl dient, dann die langfristige Sicherheit von Arbeitsplätzen zu guten, tariflichen Bedingungen", sagte er. Die Vorgaben sollen dafür sorgen, dass nicht nur unter dem Strich die bisher 16 000 Tengelmann-Jobs erhalten bleiben, sondern jeder einzelne Beschäftigte seine Arbeit behält, sehr zur Freude der Gewerkschaft Verdi. Um höchstens fünf Prozent darf die Zahl der Beschäftigten sinken.

Tengelmann-Gesellschafter Karl-Eriwan Haub hatte stets vor dem Verlust jedes zweiten Arbeitsplatzes gewarnt, sollten die defizitären Märkte nicht unter das Dach von Edeka schlüpfen können. Ohne eine Erlaubnis Gabriels werde es Kaiser's Tengelmann "nicht mehr geben", hatte Haub im November bei einer Anhörung im Wirtschaftsministerium gewarnt.

Diese Gefahr, sollte es sie so denn gegeben haben, ist einstweilen abgewehrt. "Ich bin sicher, sollten die Bedingungen nachweisbar erfüllt werden, dann sind auch die Voraussetzungen für den Erlass der Ministererlaubnis gegeben", sagt Gabriel. Das Schreiben aus seinem Ministerium bietet aber zunächst nur "rechtliches Gehör" an - binnen zwei Wochen können die Beteiligten nun dazu Stellung nehmen, darunter auch die Konkurrenten.

Von der Edeka-Gruppe, die am stärksten unter den Bedingungen zu leiden hat, ist aber offenbar nicht viel Widerspruch zu erwarten. "Dies ist ein guter Tag für die Beschäftigten von Kaiser's Tengelmann, die jetzt die Perspektive auf eine sichere Zukunft unter dem Dach des Edeka-Verbunds haben", erklärte das Hamburger Unternehmen. Gabriels Bedingungen wolle man "so schnell wie möglich und mit der gebotenen Sorgfalt angehen". Tengelmann äußerte sich wenig später nahezu wortgleich - so viel zur Fusion der beiden.

Schon jetzt ist Edeka der größte Lebensmittelhändler im Land, zusammen mit der Tochter Netto erwirtschaftete er 2014 allein 47 Milliarden Euro damit. Die Tengelmann-Gruppe kam dagegen nur auf zwei Milliarden Euro. Weil Tengelmann allerdings vor allem auf Großstädte wie München und Berlin konzentriert ist, gewinnt die künftige Edeka hier auch besonders viel Marktmacht - zulasten etwa des Wettbewerbers Rewe. "Die Kette muss sich nun intensiverem Wettbewerb stellen als bisher", sagt Justus Haucap, Wettbewerbsökonom an der Uni Düsseldorf. Verbraucher dagegen könnten von sinkenden Preisen profitieren. Allerdings verhinderten Gabriels Bedingungen, dass die TengelmannFilialen frühzeitig auf das Genossenschafts-Modell von Edeka umgestellt würden: Dies sei dem Filialmodell von Tengelmann überlegen, "da es den einzelnen Marktleitern viel mehr Entscheidungsfreiheiten und auch Selbstverantwortung gibt", findet Haucap, der lange Jahre Chef der Monopolkommission war.

"Der Wettbewerb im Lebensmittelsektor wird dadurch beschädigt."

Sein Nachfolger Daniel Zimmer sieht den Zusammenschluss viel kritischer. "Der Entscheidungsentwurf betont sehr einseitig Beschäftigungswirkungen und unternimmt nicht den Versuch, auch die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb zu mildern", sagte Zimmer. Da sich die Filialnetze vielerorts überschneiden, werde Edeka "langfristig größere Anreize zu Filialschließungen haben als andere mögliche Erwerber". Schon im August hatte die Monopolkommission eindringlich vor einer Ministererlaubnis gewarnt.

Auch die Unionsfraktion ist gespalten. "Jetzt erhalten wir wenigstens die Arbeitsplätze", sagte der CDU-Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer. Aus wettbewerbspolitischer Sicht sei die Entscheidung "neutral". Ganz anders Matthias Heider, in der Unionsfraktion zuständig für Fragen des Kartellrechts. "Der Wettbewerb im Lebensmittelsektor wird dadurch beschädigt", kritisierte er. "Leidtragende sind die Verbraucher und die anderen Marktteilnehmer." Die Jobs bei Tengelmann hätten sich auch anders sichern lassen.

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SZ vom 13.01.2016
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