Süddeutsche Zeitung

Supermärkte:Discounter sind Deutschlands heimlicher Exportschlager

Lesezeit: 3 min

Von Michael Kläsgen, München

Bei erfolgreichen deutschen Exportgütern denken die meisten wohl zuerst an Autos oder Maschinen und nicht an Lebensmittel-Discounter. Doch tatsächlich sind Aldi und Lidl so etwas wie ein Exportschlager geworden.

Allerdings fällt auf, dass deren Läden im Ausland, beispielsweise in Australien, viel moderner, heller und freundlicher gestaltet sind als im Heimatland selbst. Aldi Nord ist in Sachen Modernisierung allerdings noch lange nicht so weit wie der große Süd-Bruder und der Konkurrent Lidl.

Noch weitgehend unbekannt ist der "Exportschlager Discounter" auch deshalb, weil das Phänomen noch recht neu ist. Noch vor 20 Jahren waren Aldi und Lidl nur in ein paar wenigen Ländern Europas vertreten und Aldi Süd verlor sich in den Weiten der USA (siehe Grafik). Heute verteilen sich die Filialen der Unternehmen querbeet über fast alle Länder Europas, weite Teile der USA sowie Australiens. Südamerika, Afrika und Südostasien fehlen hingegen auf der Discounter-Landkarte komplett. Und nach China hat sich bislang nur ein Discounter, nämlich Aldi Süd, Anfang des Jahres vorgewagt, das jedoch nur online. Über ein zunächst reines Internetangebot soll aber auch Lidl nachdenken.

Aldi Süd könnte bald mehr Filialen in den USA haben als in Deutschland

Die direkte Konkurrenz zwischen Aldi Süd und Lidl fällt in vielen Ländern der Welt auf: Beide beäugen sich wachsam, beharken und gönnen sich nichts, und zwar weltweit. Nicht selten liefern sie sich in irgendeinem Land der Erde ein Wettrennen, so wie jetzt in den USA.

Natürlich kann Aldi, seit 40 Jahren am Ort, Lidl mit seinem Markteintritt in den USA nicht einfach gewähren lassen. Vielmehr hat sich Aldi auf ein knallhartes Duell eingestellt. Am Montag schraubte Aldi Süd sein im Februar angekündigtes Investitionsprogramm für die USA noch weiter nach oben. Statt insgesamt 4,6 Milliarden US-Dollar bis 2020 in die Eröffnung von 650 Läden und in die Modernisierung des bestehenden US-Filialnetzes zu stecken, will Aldi Süd jetzt fünf Milliarden US-Dollar bis 2022 ausgeben und 900 Märkte eröffnen.

Abwehr der Nervensäge

US-Chef Jason Hart hat kein Problem damit, diese Strategie "aggressiv" zu nennen. Sie hat vor allem ein Ziel: Die Abwehr der lästigen Nervensäge Lidl, die laut einer Studie von Kantar Retail in acht US-Bundesstaaten an der Ostküste genau dort nach attraktiven Standorten Ausschau hält, wo Aldi Süd schon vertreten ist. Aldi Süd und Nord kommen sich hingegen nicht in die Quere. Die USA sind das einzige Land, in dem beide vertreten sind: Aldi Nord mit dem Edel-Discounter Trader Joe's, der allerdings in einer friedlichen Koexistenz mit Aldi Süd lebt. Ansonsten gilt: Wie in Deutschland haben sich beide Konzerne die Welt aufgeteilt. Mit Lidl bildet Aldi hingegen ein verfeindetes Duo. Als solches rollen sie ganze Länder auf: beispielsweise Großbritannien. Aldi Süd tritt dort geradezu kraftmeierisch auf. Länderchef Matthew Barnes sagte Anfang des Jahres, er könne sich vorstellen, dass Aldi einmal ein so großes Filialnetz haben könnte wie der größte britische Supermarktbetreiber Tesco. Das klang halb wie eine Kriegserklärung an Tesco, halb wie ein Scherz. Dazu bräuchte Aldi 2600 Filialen, wovon Aldi Süd noch sehr weit entfernt ist. Bis 2022 soll die Filialen-Zahl auf 1300 steigen. Wohlgemerkt sind es aber im Moment nur so an die 710. Überschätzt Barnes die Sache? Nun ja, der Discounter überholte kürzlich mit einem Marktanteil von 6,2 Prozent den Supermarkt Coop und firmiert seither gemessen am Umsatz unter den Top Fünf der größten Lebensmittelhändler auf der Insel. Die Tendenz stimmt also, auch wenn zur Nummer vier, Morrisons, noch ein Abstand von fünf Prozentpunkten klafft. Andererseits kam Aldi vor zehn Jahren nur auf einen Marktanteil von zwei Prozent. Seither hat der Discounter nicht nur Marktanteile gewonnen, sondern sich auch einen Namen als Weinhändler erarbeitet.

Und Lidl in Großbritannien? Kommt auf einen Marktanteil von 4,5 Prozent. Interessant aus deutscher Sicht: Auf der Insel liefern sich die beiden deutschen Discounter ein Wettrennen ausgerechnet über die Frage, wer den höchsten Mindestlohn zahlt.

Anfang des Jahres übertrumpfte Aldi die von Lidl angekündigte Erhöhung um wenige Pence. Im Februar zahlte Aldi ein Mindestgehalt von 8,53 Pfund (im Moment umgerechnet 9,66 Euro), in London sogar 9,75 Pfund (elf Euro). Aldi kämpft tatsächlich darum, der am besten zahlende Lebensmittelhändler im Vereinigten Königreich zu sein. Solche Wettkämpfe hätten viele in Deutschland auch gern.

In Dänemark riefen Landwirte zum Boykott auf

Aldi Nord hingegen kommt ähnlich wie in Deutschland auch im Ausland weit weniger modern daher als die Konkurrenz. Langsam soll sich da aber etwas tun. Aldi Nord probiert Testmärkte in verschiedenen Ländern aus, in denen es nicht nur darum geht, die Läden neu zu gestalten.

Vielmehr werden das gesamte Sortiment, die Logistik und die Prozesse auf Tauglichkeit geprüft. Größte Baustelle ist derzeit Frankreich mit etwa 850 oft stark überholungsbedürftigen Märkten. Lidl zeigt dem Konkurrenten aus Essen, wie es in Frankreich funktionieren kann. Während Lidl inzwischen auf mehr als fünf Prozent Marktanteil kommt, stagniert Aldi Nord bei etwas über zwei Prozent.

Das Beispiel Frankreich zeigt: Nur billig reicht in Westeuropa nicht mehr. In Dänemark forderten Landwirte und Verbraucherschützer die Kunden von Aldi Nord zum Boykott auf, weil dort die Milch zu billig verkauft werde. Aldi Nord machte zuletzt in Dänemark Verluste und beschloss, 32 der ungefähr 220 Läden im Land dicht zu machen. Jetzt heißt die Devise: kleine und veraltete Läden schließen und stattdessen neue, große und moderne Märkte eröffnen. Die Expansion ist also nicht immer nur mit Erfolgsgeschichten verbunden.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2017
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