Süddeutsche Zeitung

Neuer Einkaufstrend:Gourmets statt Geizkragen

  • Billig allein reicht nicht mehr - die Deutschen verändern ihr Einkaufsverhalten hin zu mehr Erlebnis und mehr Qualität.
  • Die Händler reagieren, sie bauen ihre Läden und Sortimente um - und luchsen den Discountern so Kunden ab.

Von Michael Kläsgen

Die Schrannenhalle am Viktualienmarkt ist einer der Orte, an dem sich der Wandel festmachen lässt. Eataly zieht hier am 25. November ein, in eine Markthalle mitten in München, so groß wie ein halbes Fußballfeld. Wie in den Filialen in New York, Tokio oder São Paulo sollen sich hier Käselaibe türmen und Schinkenkeulen von der Decke baumeln; an einer Stelle duftet es nach frisch gebackenem Brot, an einer anderen kann man lernen, wie man Burrata selber macht. Eataly ist, ja was eigentlich? Eine Mischung aus italienischem Supermarkt, Bistro, Kochschule und Pasta-Manufaktur. Die Kette zelebriert das Essen. Einkaufen soll Spaß machen.

Und Spaß machen durfte ein Einkauf in Deutschland lange nicht. Es machte keinen Spaß, sich das Obst anzuschauen oder sich in die Nähe der Kühlregale zu begeben, wo Fleisch in Plastik gefesselt wurde, so, als könnte es noch leben. Spaß machen durfte höchstens der Blick auf die Digitalanzeige der Kasse. Es gehörte sich einfach nicht, zu viel auszugeben.

Im Urlaub bewunderten die Deutschen die Franzosen und ihre Hypermarchés oder die Italiener, in deren Läden der Parmaschinken, über der Theke hängend, duftete. Das war Lebensgefühl. Zu Hause kaufte man dann wieder bei Aldi ein, wo die Trostlosigkeit das Geschäftsprinzip war. Aber auch die anderen großen Ketten machten es nicht viel anders, auch sie sagten letztlich: Der Kunde will es nicht anders, der Kunde kommt über den Preis.

Sogar Metro findet Geiz nicht mehr so geil

Nun kommt der Kunde aber auch in Läden wie den neuen Rewe in den Kölner Opernpassagen. Dort gibt es frisch gerollte Sushi und Dry-Aged-Steaks aus Nebraska. Dazu ein eigenes Landbier und die Milch aus der Region. Es ist nicht besonders billig, aber voll ist es schon. "Wir beobachten einen starken Wandel beim Einkaufsverhalten", sagt Wolfgang Adlwarth, Handelsexperte der Gesellschaft für Konsumforschung. "Nicht mehr allein der Preis zählt, die Deutschen wollen Qualität. Ihre Ansprüche steigen." Die Supermärkte werden zu Orten, an denen man Zeit verbringen soll. In denen es Bistros gibt, die auch mit guten Restaurants mithalten können. Es gibt selbstgemachte Pasta und Whisky-Tasting.

Dass Geiz nicht mehr geil ist, sagt selbst der Sprecher der Metro Group, zu der auch der Elektromarkt Saturn gehört, der den Werbespruch erfand. "Um auf dem deutschen Markt nicht nur bestehen, sondern sogar wachsen zu können, muss man sich als Händler mehr einfallen lassen, als einfach nur 'günstig' zu sein."

Selten hat sich so viel getan, wurde so viel ausprobiert im Handel wie im Moment, findet Adlwarth. Überall ploppen gerade im Mutterland des Discounters kleine rheinische, hanseatische oder pfälzische Eatalys auf, Supermärkte, die meist von selbstständigen Kaufleuten betrieben werden und sich was einfallen lassen, um ihre Waren zu verkaufen.

Selbst große Ketten geben ihren Läden mehr Freiraum

Die Handelsriesen Edeka und Rewe geben ihren Märkten viel mehr Spielraum bei der Bestellung, es entsteht eine neue Individualität. Der Markt, er rückt wieder näher an den Menschen. Er tut zumindest so, als gebe es sie wieder, die Wärme des Tante-Emma-Ladens. Der Quark kommt nicht mehr aus den Großmolkereien im Norden, sondern vom Bauern nebenan. So wie der Apfelsaft oder das Fleisch. Vor allem sind es die von selbständigen Kaufleuten betriebenen Edekas oder Rewes, die den Discountern Kunden abluchsen. In Düsseldorf übernimmt Edeka-Zurheide gerade eine leer stehende Kaufhof-Filiale und wird dort auf 12 000 Quadratmetern Thunfisch in Sushi-Qualität verkaufen und Sauerbraten vom Bauern nebenan.

Sie machen auf klein und regional, aber in manchen Regionen sind die selbständigen Kaufleute zu einflussreichen Mittelständlern aufgestiegen, die sich in Sportvereinen, lokalen Wirtschaftsausschüssen und Wohlfahrtsorganisationen engagieren, während bei den Discountern noch über Mindestlöhne diskutiert wird. Früher war man in Deutschland stolz darauf, einen möglichst billigen Champagner bei Aldi ergattert zu haben. Heute geht es auch um das Ambiente. Die als äußerst "preissensibel" geltenden Deutschen sind inzwischen bereit, mehr Geld fürs Essen auszugeben, jedenfalls wenn die Qualität stimmt. Und das Gefühl, die Welt zumindest nicht noch schlechter gemacht zu haben mit seinem Einkauf. Bei Rewe gibt es gerade Äpfel, die von Bauern stammen, die wiederum sehr nett zu Imkern sind. "Pro Planet", steht auf den Klebern.

Discounter haben vor allem beim Fleisch ein Problem

Mit Trends wie Öko, Bio oder Regionalität können die Discounter zur Not umgehen. Kniffliger wird es bei einem anderen gesellschaftlichen Phänomen: der Politisierung und Moralisierung des Einkaufens. Beim Fleisch wir das besonders deutlich. "Wurst wird die Zigarette der Zukunft", sagt der Chef von Rügenwalder, Christian Rauffus, einer Firma die mit Tee- und Mettwurst groß geworden ist. Und selbst in der Rewe-Zentrale in Köln wurde schon diskutiert, ob die Tierhaltung nicht das neue Atomthema sei.

So wie Strom nicht einfach mehr aus der Steckdose kommen durfte, darf das Kotelett heute nicht mehr einfach auf dem Teller liegen. Der Verbraucher will wissen, woher es kommt und wie das Tier aufgewachsen ist. Massentierhaltung ist verpönt. Die Discounter haben bei dem Thema schlechte Karten. Sie verramschen Fleisch teils als Billigware. In den neuen schönen Rewe- und Edeka-Supermärkten werden wieder richtige Fleischtheken aufgemacht, auf die beide Handelsketten viele Jahre lang verzichtet hatten. Es stehen dort auch wieder ausgebildete Metzger. Die aber im Zweifelsfall auch nicht sagen, dass weniger Fleisch noch besser sei als Bio.

Sind wir also angekommen in einer Zeit der Tante-Emma-Läden 2.0? Oder sind die alten Waren und Marktmechanismen nur schöner verpackt worden in der neuen märchenhaften Welt der Supermärkte? Es ist zumindest einiges in Bewegung in Deutschland, was die Qualität der Lebensmittel angeht. Früher haben die Deutschen von der französischen Lebensart geschwärmt und dann zwischen Paletten nach dem billigsten Preis gesucht. Heute gehen sie in schöne Supermärkte nicht nur zum Einkaufen, sie essen dort auch eine Martinsgans mit einem Glas Champagner.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2015/sry
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