Die Avocado ist ein zickiges Obst. So richtig recht machen kann man es ihr schon beim Anbau nicht: Sie mag weder Hitze noch Kälte, direktes Sonnenlicht schon gar nicht und auch zu große Mengen Sauerstoff tun ihr nicht gut. Zu Hause beim Verbraucher angekommen, weigert sie sich dann tagelang, vernünftig weich zu werden - bis sie über Nacht das Stadium des perfekten Reifegrads einfach überspringt und sogleich schlecht wird.
Man sollte meinen, eine solche Attitüde dürfte dem Ruf einer Frucht gehörig schaden. Tut sie aber nicht: Die Importmenge der Avocado ist auch im vergangenen Jahr wieder gestiegen, und zwar gehörig. Mehr als 93 000 Tonnen Avocados hat Deutschland im vergangenen Jahr importiert, meldet das Statistische Bundesamt. Das sind satte 29 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor - und schon da war die Importmenge bereits um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.
Damit hat selbst die "World Avocado Organization" nicht gerechnet. Die Lobbyorganisation, die sich um das Image des Superfoods in Europa und den USA kümmert, hatte für Deutschland ein vorsichtiges Plus von 15 Prozent prognostiziert. Das Produkt sei im vergangenen Jahr für viele Menschen zu einem alltäglichen Artikel geworden, hieß es als Erklärung. Wirklich neue Zielgruppen gebe es in Deutschland daher schlicht nicht mehr. Das allerdings war, wie sich nun zeigt, entweder ein Fall von nicht allzu gut getarntem Understatement - oder aber eine deutliche Fehleinschätzung.
Aber woran liegt es nun, dass der Avocadoabsatz sich seit Jahren selbst übertrifft? Ist das Image der Avocado als gesundes Superfood, das nur "gute Fette" enthält und den Cholesterinspiegel senkt? Oder die Tatsache, dass Köche und Gastronomen nach den Klassikern Guacamole und Avocadotoast immer neue Wege erfinden, die Frucht zu verarbeiten, Stichwort "Avocado Latte"?
Am steigenden Nachhaltigkeitsbewusstsein in Deutschland und der Welt kann es zumindest nicht liegen, denn die Avocado ist, was ihre Umweltbilanz angeht, alles andere als unschuldig. Für nur zweieinhalb Früchte müssen in Anbauländern wie Mexiko, Peru oder Chile etwa eintausend Liter Wasser aufgewendet werden; die gleiche Menge Tomaten benötigt nicht einmal ein Fünftel davon. Hinzu kommt, dass für das lukrative Geschäft in Mittel- und Südamerika vielerorts Wälder gerodet werden. Auch der Transport der Früchtchen in Containern, die heruntergekühlt auf wenige Grad mehrere Tausend Kilometer bis in den heimischen Supermarkt zurücklegen, ist alles andere als nachhaltig.
Zwischenzeitlich hatten umweltbewusste Avocado-Verweigerer aus genannten Gründen sogar versucht, in den sozialen Netzwerken den Hashtag #AvocadoScham zu etablieren, quasi analog zum auch nur in Umfragen existenten Flugscham oder SUV-Scham. Nicht gerade erfolgreich, wie die Zahlen nun zeigen.
Heruntergebrochen auf den einzelnen Verbraucher jedoch ist der Avocado-Verzehr gar nicht mal so enorm: 93 Millionen Kilo Avocados, das entspricht etwa 1,13 Kilo pro Person im Jahr. Kein Vergleich zu den Niederlanden, die 2017 etwa 250 000 Tonnen importierten - also umgerechnet 14,7 Kilo pro Kopf. Auch die Niederländer essen jedoch nicht Unmengen an Avocados: Ein Großteil der Früchte wird in andere Länder weiterverkauft. Und erst kürzlich wurde bekannt, dass die Avocado in den USA mittlerweile sogar die Banane als beliebteste Importfrucht abgelöst hat. In Deutschland ist es so weit noch lange nicht: Auch hierzulande ist die Banane das beliebteste Importobst, mit 10,5 Kilo pro Kopf und Jahr muss sie die Konkurrenz der Avocado noch lange nicht fürchten.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise geschrieben, dass die Niederlande 2017 etwa 250 000 Avocados importierten. Tatsächlich waren es 250 000 Tonnen Avocados.