Superfood:Das Land, wo die Avocados blühen

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Avocados sind einerseits das hippe Superfood der Stunde. Andererseits werden 70 Liter Wasser pro Frucht benötigt - und das ist keine gute Öko-Bilanz. (Foto: Simona Pilolla/imago images)

Auf Sizilien pflanzen immer mehr Zitronenbauern Tropenfrüchte an. Dahinter steckt nicht die große Hitze, sondern eher eine kühle Rechnung.

Von Ulrike Sauer, Rom

Nein, noch sind die Tropen nicht an die sizilianischen Küsten vorgedrungen. Und dennoch: Die beliebteste tropische Frucht breitet sich in Windeseile auf der Mittelmeerinsel aus. Der Anbau von Avocados, der Königin des globalen Superfoods, hat sich in einem Jahrzehnt mehr als verzehnfacht. Natürlich hat das auch mit dem Klima zu tun. Aber: Eine Geschichte über die Aufheizung des Planeten Erde ist dies nicht.

Avocados sind weitaus lukrativer als Zitrusfrüchte

Der Eroberungszug der Avocado in Süditalien entspringt, ganz im Gegenteil, kühler Kalkulation. Die einsamige Beere, die ursprünglich aus Zentralamerika stammt, wirft mindestens fünfmal so hohe Erträge ab wie die traditionell auf Sizilien angebauten Zitrusfrüchte. Hinzu kommt: Die Nachfrage nach der gesunden Frucht explodiert in Europa förmlich. Dabei ist die Ökobilanz des aus Übersee importierten, nahrhaften Stars der Veggie-Kost miserabel. Also war die Zeit reif für den Boom der exotischen Plantagen in Italien.

In Giarre zum Beispiel, an der Ostküste Siziliens: An den Hängen des Ätna gedeihen die Avocados auf den fruchtbaren und feuchten Böden unter ausgezeichneten klimatischen Bedingungen. Geerntet wird hier von Oktober bis April. Einer der Vorreiter der Avocado-Kulturen in Italien ist Andrea Passanisi. Er begann vor 20 Jahren im Schatten des Vulkans in den Zitrushainen seines Großvaters mit der tropischen Frucht zu experimentieren. 2013 begründete er dann das Label Sicilia Avocado. Unter dem Markennamen bauen inzwischen 18 landwirtschaftliche Betriebe die begehrte Frucht in der Gegend an.

Im Westen erhebt sich der "gute Berg", a muntagna buona, wie die Sizilianer den aktivsten Vulkan Europas nennen, im Osten schlagen die Wellen des Ionischen Meers an die Küste. "Wir sind in einer glücklichen Lage, denn Giarre liegt in der regenreichsten Gegend Siziliens", sagt Passanisi. Mehr als 1000 Milliliter Regen fallen hier im Jahr. "Am Ätna wird die Avocado vom Himmel gegossen", wirbt die Marke mit der Nachhaltigkeit ihrer Plantagen. Der hohe Wasserverbrauch im Anbau - schätzungsweise werden 70 Liter Wasser pro Frucht benötigt - macht den weltweit rasanten Anstieg des Avocado-Verzehrs ja sehr bedenklich.

Auf Sizilien ist der junge Trend keine plötzliche Modeerscheinung. Vielmehr hat er tiefere Wurzeln, sagt Vittorio Farina. Der junge Agrarwissenschaftler forscht seit 2006 an der Universität Palermo über Anbaumöglichkeiten von Tropenfrüchten auf seiner Heimatinsel. Im Botanischen Garten in der Nähe des Hafens reifen Avocados schon seit 1820 an einem Exemplar des Baumes. Auf der anderen Inselseite, in der Nähe von Catania, steht seit den Fünfzigerjahren gar ein Avocado-Wald. In den Achtzigerjahren gab es dann die ersten Finanzförderungen für die exotische Beere, die in der Sprache der Azteken ahuacatl hieß, was Hoden bedeutet und wohl auf ihre runzlige Schale zurückzuführen ist. Doch erst der internationale Avocado-Hype weckte das Interesse der sizilianischen Landwirte. "Das Wachstum der Anbaufläche ist seither exponentiell", sagt Farina.

Sizilianische Zitronen werden von billigeren Früchten aus Spanien und der Türkei vom Markt verdrängt

Geeignet für die Tropenkulturen seien auf Sizilien die wohltemperierten Küstenstreifen am Tyrrhenischen Meer zwischen Trapani und Messina und entlang des Ionischen Meers an der Ostseite der Insel. Nur dort sind die Wintertemperaturen mild genug und es fällt ausreichend Regen. Der Ausbreitung der Exoten - neben Avocado werden neuerdings auch Mango, Papaya, Passionsfrüchte und Litschi angepflanzt - ging ein schleichender Rückgang der Produktion von Zitronen voraus, die von billigeren Zitrusfrüchten aus Spanien und der Türkei aus dem europäischen Markt gedrängt werden. Seit 2006 ist die Produktion sizilianischer limoni um 18 Prozent gesunken. "In manchen Gebieten ist der Zitronenanbau nicht mehr rentabel", sagt Farina.

Die neuen Avocado-Bauern erleben gerade das Gegenteil. Sie werden von den europäischen Händlern heiß umworben. "Die Nachfrage ist riesig", sagt Farina. Und die gezahlten Preise sind hoch. Denn das coole Image der hippen Frucht aus Übersee wird zunehmend durch ihre miese Ökobilanz getrübt. Die Sizilianer bieten hingegen nicht nur gute Bio-Qualität. "Begehrt sind die italienischen Avocado auch wegen ihres geringeren Wasserfußabdrucks und der niedrigeren CO₂-Emissionen auf den kurzen Transportwegen der Ware", sagt der Agrarprofessor aus Palermo.

Im Land, wo die Zitronen blühen, sind die tropischen Früchte übrigens keineswegs vor den Folgen der Klimakrise gefeit. Kälteeinbrüche, Starkregen und extreme Dürre stellen für Avocado-Plantagen existenzielle Gefahren dar. Dass der majestätische Avocado-Baum im Botanischen Garten in Palermo im vergangenen Winter schon am 24. Januar in voller Blüte stand, war deshalb keine gute Nachricht.

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