Suisse Secrets:Scharfe Kritik aus der Schweiz an SZ-Enthüllungen

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(Foto: Collage: Felix Hunger; Fotos: Getty Images, Imago)

In der Schweiz wird der Tonfall gegenüber den Medien, die die "Suisse Secrets" enthüllt haben, gereizter. Im Ausland denkt man indes über neue Regeln im Umgang mit Schweizer Banken nach.

Von Isabel Pfaff, Bern

Jörg Gasser, der Geschäftsleiter der Schweizer Bankiervereinigung, hat die Suisse-Secrets-Recherchen scharf kritisiert. Die Berichte des Rechercheverbunds rund um die SZ seien "ungenau und einseitig", schreibt Gasser in einem am Montagabend verbreiteten Meinungsbeitrag. Ausländische Medien würden hier ein Klischeebild des Schweizer Finanzplatzes zeichnen. "Fakt ist, dass die Schweiz die internationalen Standards konsequent umsetzt und über eine strenge Regulierung verfügt, um Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung zu verhindern."

Die Enthüllungen der SZ zeigen, dass die Schweizer Großbank Credit Suisse brutalen Machthabern, korrupten Politikern, Kriegsverbrechern und anderen Kriminellen über Jahrzehnte Zugang zu ihren Konten ermöglicht hat. Die Recherchen lassen daran zweifeln, dass die Credit Suisse ihren Sorgfaltspflichten bei diesen problematischen Kunden immer nachgekommen ist. Und: Einige der von den Suisse Secrets thematisierten Konten bestanden bis mindestens Anfang 2022.

Aber auch abgesehen von den Fragen, die die Suisse Secrets aufwerfen, läuft es gerade schlecht bei der Großbank. Im Moment läuft ein Prozess gegen sie vor dem Bundesstrafgericht wegen Geldwäsche, die fraglichen Vorfälle sollen sich zwischen 2004 und 2008 ereignet haben. Im Herbst 2021 wurde bekannt, dass die Credit Suisse wegen eines Korruptionsskandals in Mosambik im Jahr 2013 Hunderte Millionen an Strafzahlungen an britische und US-Behörden zahlen muss. Und dann noch der Zusammenbruch des US-Hedgefonds Archegos Capital und die Pleite des britisch-australischen Finanzinstituts Greensill Capital: Beides erst 2021 passiert, beides weitere Tiefpunkte der Credit Suisse in punkto Risikomanagement und Compliance.

Trotzdem sagt Jörg Gasser, der Schweizer Finanzplatz habe seine Hausaufgaben gemacht. Er bezeichnet die Suisse Secrets als "eine Zeitreise durch Jahrzehnte, in denen vieles anders hätte laufen müssen - nicht nur bei uns". Als CEO der Bankiervereinigung wolle er dazu beitragen, dass der Schweizer Bankenplatz Probleme aufarbeitet und sich verändert. "Ich distanziere mich aber davon, dass man Effekthascherei betreibt, welche mitnichten der Aufarbeitung oder Verbesserung, sondern nur den medialen 'Sales' dient und letztlich der Schweiz als Ganzes schaden will."

Die Bankiervereinigung ist nicht die einzige Schweizer Stimme, die den Suisse-Secrets-Rechercheverbund scharf kritisiert. In einem Kommentar geißeln etwa die Zeitungen der CH-Media-Gruppe die Enthüllungen als "fehlgeleiteten Rudeljournalismus". Der Kommentator schreibt: "Wer die skandalisierende Mache auf den faktischen Kern reduziert, stellt ernüchtert fest, wie wenig bleibt." Etwas vorsichtiger, aber ähnlich kritisch äußert sich die Neue Zürcher Zeitung: Ja, das Bankgeheimnis habe dem hiesigen Finanzplatz lange "garantierte Geldzuflüsse und fette Gewinne" beschert, doch das sei nun Vergangenheit. "Die Recherche-Resultate und der Furor, mit dem sie präsentiert werden, wirken denn auch wie aus der Zeit gefallen: Als wäre das Bankgeheimnis nie gefallen und der automatische Informationsaustausch nie eingeführt worden." Auch die Handelszeitung betont: "Es handelt sich bei den nun aufgetischten Dossiers, welche beweisen sollen, wie 'unmoralisch' die Credit Suisse, ja der gesamte Schweizer Finanzplatz heute sei, primär um eine Vergangenheitsbetrachtung."

Während linke Schweizer Politikerinnen und Politiker die Enthüllungen gleich am Montag zum Anlass nahmen, neue Vorstöße zur Verschärfung der Bankenregeln im Parlament vorzubereiten, äußerten sich Politiker aus der FDP und der rechtskonservativen SVP kritisch zu den Suisse Secrets. "Die Fälle, die hier gezeigt werden, reflektieren eine alte Welt" sagte der FDP-Ständerat Ruedi Noser der SZ. "Tatsache ist aber, dass sich das gezeichnete Bild weder mit dem heutigen Finanzplatz Schweiz noch mit der heutigen Credit Suisse deckt." Der Verleger, Journalist und SVP-Abgeordnete Roger Köppel wütete in seinem Video-Format "Weltwoche Daily" regelrecht gegen die SZ, "ein ganz linkes Blatt", deren Journalisten "ihre linke Privatmoral" über alles setzen und nicht verstehen würden, dass das Bankkundengesetz "eine zivilisatorische Errungenschaft" gewesen sei, das dem Schutz der Privatsphäre gedient habe.

Im Ausland indes wächst die Empörung über die Schweiz. Schon am Montag hatte die Europäische Volkspartei (EVP), stärkste politische Fraktion im Europaparlament, die EU-Kommission aufgefordert, die mögliche Aufnahme der Schweiz in die schwarze Liste der EU von Staaten mit hohem Geldwäsche-Risiko zu prüfen. Der SPD-Europaparlamentarier Joachim Schuster sagte der SZ am Dienstag: "Die sozialdemokratischen Abgeordneten des EU-Parlaments fordern seit langem eine Nachbesserung der Liste der Steueroasen - möglicherweise rütteln die 'Suisse Secrets' jetzt auch endlich Kommission und Rat auf, hier aktiv zu werden." Auch die Grünen im Europäischen Parlament signalisieren in dieser Hinsicht Unterstützung: "Wir brauchen eine härtere Haltung gegenüber der Schweiz und vor allem auch Schweizer Banken, die sich an Geldwäsche beteiligen", sagte der Abgeordnete Rasmus Andresen. "In dem Sinne sind wir gerne bereit dazu, mit der EVP und den anderen Fraktionen im Europäischen Parlament diesbezüglich Druck zu machen." Die EU-Kommission solle sich nicht weg ducken.

Für den deutschen Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann, einst selbst als Wissenschaftler in der Schweiz tätig, zeigt sich in den Suisse Secrets vor allem der "Rentabilitätsextremismus", der in allen großen Unternehmen, nicht nur in der Schweiz, Einzug gehalten habe. Er sieht das Problem vor allem bei der politischen Schweiz, die sich mit den Banken verbündet habe. "Die offizielle Schweiz hat der Welt mit ihrem Bankengesetz den Stinkefinger gezeigt", sagt Thielemann. Tatsächlich hat das Schweizer Parlament das Bankengesetz 2015 verschärft; seither ist es selbst Journalisten faktisch verboten, geleakte Bankdaten auszuwerten. Es sei "atemberaubend", so Thielemann, wie leichtfertig das politische Establishment der Schweiz "die Würde des Rechtsstaates den Interessen der Bankenlobby" opfere.

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