Stuttgart (dpa/lsw) - Ist nun „wie bei der Papstwahl weißer Rauch aufgestiegen“, wie es ein Bahnsprecher nach stundenlanger Debatte über ein weiteres Stuttgart 21-Milliardenprojekt formulierte? Landesverkehrsminister Winfried Hermann hielt es am Montag für angebracht, die Euphorie der Projektpartner zu bremsen. Die Einigung auf erste Schritte für den Bau des Pfaffensteigtunnels auf der Gäubahn vom Bodensee zum Flughafen sei weder endgültig noch auf Lebenszeit.
Dennoch sind sich alle Seiten nach der jüngsten Sitzung des Lenkungsausschusses Stuttgart 21 einig: Mit dem Röhrenbau zwischen Böblingen und dem Airport wird begonnen. Bis auf weiteres.
Denn es fehlen noch konkrete Zusagen des Bundes für den eine Milliarde schweren Röhrenbau, der aus der Finanzierung von Stuttgart 21 herausgelöst sein soll. Außerdem würde die Gäubahn während der Bauphase in Stuttgart-Vaihingen enden. Fahrgäste müssten umsteigen, um in die Innenstadt, zum Flughafen oder zum Hauptbahnhof zu kommen. Mit einem aufwendigen Tunnelbau würde dieser bereits eingepreiste Zustand einige Jahre länger dauern als bislang geplant. Die Station Stuttgart-Flughafen (Fernbahnhof) würde zudem bis zu zwei Jahre später in Gänze eingeweiht.
Die Bahn hat sich nun nach Angaben von Bahnvorstand Jens Bergmann bereit erklärt, das wirtschaftliche Risiko für die ersten Bauschritte zu tragen, sollte Berlin die Mittel nicht zur Verfügung stellen. Er sprach von einer Zielgeraden, Stuttgarts Oerbürgermeister Frank Nopper (CDU) von einer Weichenstellung für den Pfaffensteigtunnel.
Grünen-Minister Hermann bezeichnete den Beschluss zwar als „gute Lösung“, die die Interessen von Bahn und Land wahre. Er betonte aber, es sei kein endgültiger Beschluss gefasst worden. Außerdem machte er vor einer abschließenden Entscheidung „eine verlässliche und solide Zusage des Bundes“ bis zur Sondersitzung des Ausschusses im Juli 2022 zur Bedingung für das gesamte Projekt. „Und warme Worte irgendeines Staatssekretärs sind für mich keine Zusagen“, betonte der Minister.
Der elf Kilometer lange Pfaffensteigtunnel würde die Gäubahn vom Bodensee kommend unterirdisch unter den Fildern hindurchführen und am Airport in die noch fertig zu bauende Fernbahnstation münden. Von dort aus werden die Fahrgäste eines Tages weiter zum neuen Stuttgarter Tiefbahnhof Stuttgart 21 fahren. Bisher sollten die Züge aus Richtung Horb über die S-Bahn-Gleise zum Flughafen geführt werden. Doch für S-Bahn-Züge sowie den Regional- und Fernverkehr wäre kaum Platz gewesen.
Nach Ansicht der Stuttgart 21-Partner von Land, Verband Region Stuttgart, Landeshauptstadt und Bahn würde der Tunnel die Gäubahn für den sogenannten Deutschlandtakt fit machen. Hermann hat aber wegen der jahrelangen Unterbrechung der Gäubahn bereits vor einer „schrittweisen Inbetriebnahme von Stuttgart 21“ gewarnt. Vor allem für die Schweiz sei die langjährige Unterbrechung der wichtigen internationalen Verbindung über Singen in die Nordschweiz „ein schwer vermittelbar Problem“. Beim Blick auf die Zeitachse seien die Schweizer „immer von den Socken“.
Erst vor kurzem hatten die erneut stark steigenden Kosten für das Großbauprojekt Stuttgart 21 für Schlagzeilen gesorgt. Nach aktuellen Annahmen summieren sich die Investitionen für den Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs und weiterer Projekte auf mehreren Trassen auf insgesamt rund 9,15 Milliarden Euro - hinzu kommt ein Vorsorgepuffer. Mit Blick auf die explodierenden Kosten auf dem Bau und stockende Lieferketten erwarten Kritiker weitere Hiobsbotschaften.
Weder die Kosten seien im Ausschuss Thema gewesen noch sei über ein neues Gutachten gesprochen worden, das noch für Zündstoff im Kreis der Partner sorgen könnte, hieß es. Denn der Passauer Jura-Professor Urs Kramer kommt in seiner Studie unter anderem zu dem Schluss, dass die Deutsche Bahn keine Genehmigung dafür hat, die Gäubahn über Jahre vom Stuttgarter Hauptbahnhof abzuhängen. Dafür müsste sie beim Eisenbahn-Bundesamt eine Stilllegung der Strecke und die Änderung der Planfeststellung für S21 beantragen. Das Gutachten haben unter anderem der Fahrgastverband Pro Bahn und der Umweltschutzorganisation BUND in Auftrag gegeben.
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