Süddeutsche Zeitung

Stuttgart 21:Was wird aus dem Milliardenloch?

  • Seit Mittwoch ist klar, dass der Bau von Stuttgart 21 insgesamt 7,6 Milliarden Euro kosten wird - dreimal so viel wie ursprünglich geplant.
  • Ein Abbruch der Bauarbeiten wäre allerdings noch teurer als die Fertigstellung.
  • Am 13. Dezember berät der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über die Fortsetzung des Projekts. Es geht dabei auch um die Frage, wer die enormen Mehrkosten bezahlen soll.

Von Michael Bauchmüller und Stefan Mayr

Irgendwo zwischen Stadtmitte und Feuerbach werden die Tunnelwände im Stuttgarter Untergrund plötzlich bunt. An die Wände der 14 Meter hohen Tunnelröhren wurden gelbe, rote, grüne und blaue Buchstaben und Zahlen gesprüht. Was aussieht wie lustige Graffiti, ist Ergebnis harter, langer und vor allem teurer Arbeit: Jeder Farbklecks steht für eine Injektion Acrylat-Gel. Mit diesem Kunstharz wollen die Tunnelbauer des Bahnprojekts Stuttgart 21 gefährliche Gesteinsschichten zähmen: Anhydrit. Wenn dieses Mineral mit Wasser in Berührung kommt, quillt es massiv auf und sprengt alles weg - selbst Tunnelverkleidungen aus Beton.

Der Anhydrit ist nur einer von vielen Gründen, welche das umstrittene Großbauprojekt noch viel teurer werden und die Arbeiten noch viel länger dauern lassen als geplant. Ganz am Anfang, Mitte der 1990er-Jahre, hatten Bahnexperten die Kosten auf 4,8 Milliarden D-Mark beziffert, etwa 2,4 Milliarden Euro. Seit Mittwoch ist klar, dass das Bauvorhaben mindestens 7,6 Milliarden Euro kosten wird - und frühestens im Dezember 2024 fertig wird. Die dreifachen Kosten, drei Jahre mehr Bauzeit. Was nun, Stuttgart 21?

Am 13. Dezember berät der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über das Gutachten mit den brisanten Zahlen. Folgende Fragen liegen auf dem Tisch: Wer soll die Mehrkosten bezahlen? Ist ein Weiterbau überhaupt noch sinnvoll? Oder sollten die Arbeiten lieber früher als später abgebrochen werden? Die Aufsichtsräte müssen sich ihre Antworten gut überlegen. Denn für Fehlentscheidungen könnten sie in Regress genommen werden. Wenn sie etwa sehenden Auges ein Projekt billigen, das ein unberechenbares Minusgeschäft wird, müssten sie mit Schadenersatzforderungen rechnen. Theoretisch. Warum aber ist nicht zu erwarten, dass sie Stuttgart 21 vorzeitig beenden?

Ein Abbruch würde sieben Milliarden Euro kosten

Es ist eine nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse: Das jüngste Gutachten rechnet vor, dass ein Abbruch der Arbeiten sieben Milliarden Euro kosten würde - und damit teurer käme als der Weiterbau. Wenn das stimmt, bleibt dem Aufsichtsrat gar nichts anderes übrig, als für den Weiterbau zu stimmen. Dennoch wird die Entscheidung frühestens im Januar kommen, schließlich wollen die Aufseher signalisieren, dass sie sich alles gut überlegt haben.

Aber erfreulich sind die Zahlen trotzdem nicht, am wenigsten für den Steuerzahler. Die Kritiker werfen der Bahn Fehlplanungen vor und fordern schon seit Längerem den Baustopp. Sie schlagen eine Verwertung der bereits gegrabenen Baugrube als Busbahnhof vor. Eine Idee, die bei den Aufsichtsräten keine Chance haben wird. Denn die Bahn müsste alle bereits gebohrten Tunnels wieder stabil machen - entweder durch Verschalungen oder Auffüllungen. Deshalb gilt die Devise: durchziehen.

Wie aus Bahnkreisen verlautet, ist längst klar, dass die Tieferlegung des Hauptbahnhofs samt Neugestaltung des Bahnverkehrs durch etliche neue Strecken und Tunnel durch die Stadt rein betriebswirtschaftlich ein Verlustgeschäft wird. Aber die Fortsetzung des Baus sei im Vergleich zum Abbruch das geringere Übel. Dazu komme der volkswirtschaftliche Nutzen - etwa durch schnellere Fernstrecken, bessere Anbindung des Flughafens, modernere Organisation des Regionalverkehrs.

Bleibt noch die Frage, wer die Zusatzkosten tragen soll. Bahnchef Richard Lutz und Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla fordern von ihren Projektpartnern, dass sie sich beteiligen. Aber das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und der Flughafen Stuttgart ziehen da nicht recht mit. Das Land hatte einst zugesagt, sich mit 930 Millionen Euro zu beteiligen. Mehr will die grün-schwarze Regierung in Stuttgart auf keinen Fall rausrücken. "Welche Zahlen auch immer am Ende bestätigt werden", sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann, "es bleibt dabei: Bauträger ist die Bahn, verantwortlich sind daher die Bahn und der Bund. Das Land zahlt nicht mehr als die vereinbarten 930 Millionen Euro."

Die Bahn ihrerseits beruft sich auf einen Passus aus dem gemeinsamen Finanzierungsvertrag von 2009. Darin steht: "Im Fall weiterer Kostensteigerungen nehmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Gespräche auf." Diese sogenannte "Sprechklausel" wird von den Unterzeichnern sehr gegensätzlich interpretiert. Verkürzt dargestellt: Land, Stadt und Region sind bereit zu sprechen, aber nicht zu zahlen. Die Bahn dagegen will sich das Geld nun per Klage holen. Die hat sie schon am 23. Dezember 2016 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingereicht. Wann darüber verhandelt wird, ist aber noch offen. Die vier Beklagten haben die Frist zur Klage-Erwiderung schon zweimal verlängern lassen. So steht der Gerichtstermin in den Sternen.

Und selbst wenn irgendwann eine Entscheidung fällt, wird der Rechtsstreit mit ziemlicher Sicherheit noch lange weitergehen. Zuerst zum Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, dann zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Wann die Endstation erreicht sein wird? Das weiß keiner. Die derzeit aktiven Manager und Politiker werden bis dahin voraussichtlich nicht mehr im Amt sein. Die Ironie an diesem Streit: Am Ende zahlt entweder die Bahn - weitestgehend mit Steuergeld. Oder eben Stadt, Land und Region - mit Steuergeld. Auch wenn sich Stuttgart 21 nun gewaltig in die Länge zieht, ist noch längst nicht ausgemacht, was als erstes beendet ist: der Bau oder das Gerichtsverfahren.

Die Bahn wartet auf die Aufsichtsratssitzung am 13. Dezember

Für die Deutsche Bahn ist das Milliardenloch also mehr als unangenehm. Einmal, weil noch nicht klar ist, welche Mehrkosten am Ende bei ihr hängen bleiben - und damit den Schuldenstand des Konzerns weiter belasten. Doch es gibt da noch ein ganz anderes Problem.

Denn die Bahn, die mit der Pünktlichkeit in letzter Zeit so große Probleme hat, liegt bei einer anderen Baustelle bisher voll im Plan: der Neubaustrecke von Ulm nach Wendlingen. Das fast 60 Kilometer lange Teilstück gehört zu dem großen Plan, den Bahnverkehr zwischen Ulm und Stuttgart zu beschleunigen - und damit auch auf der Europa-Achse Nummer 17, der Verbindung zwischen Paris und Budapest, respektive Bratislava. Bisher gondeln hier auch die Fernverkehrszüge über die kurvenreiche Filstalbahn die Schwäbische Alb empor, mit Tempo 70. Die neue Strecke soll damit Schluss machen.

Nur: Der Hochgeschwindigkeits-Abschnitt, zusätzliche 3,26 Milliarden Euro teuer, wurde bisher zusammen mit dem neuen Bahnhof in Stuttgart geplant. Was aber, wenn die Strecke drei Jahre vorher fertig wird? Die Sache ist diffizil. Theoretisch ließe sich die Neubaustrecke auch mit dem alten Stuttgarter Bahnhof verbinden, entsprechende Gütergleise gäbe es. Nur könnte sich das mit dem Regionalverkehr schlecht vertragen. Der sollte teilweise auf der alten Strecke laufen, teils auch auf der neuen.

Die Deutsche Bahn selbst sagt zu alldem noch nichts. Sie wartet die Aufsichtsratssitzung am 13. Dezember ab. Die Tunnelbauer arbeiten einstweilen munter weiter. Sonst wird er ja nie fertig, der neue Bahnhof.

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SZ vom 01.12.2017/spes
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