Irgendwo zwischen Stadtmitte und Feuerbach werden die Tunnelwände im Stuttgarter Untergrund plötzlich bunt. An die Wände der 14 Meter hohen Tunnelröhren wurden gelbe, rote, grüne und blaue Buchstaben und Zahlen gesprüht. Was aussieht wie lustige Graffiti, ist Ergebnis harter, langer und vor allem teurer Arbeit: Jeder Farbklecks steht für eine Injektion Acrylat-Gel. Mit diesem Kunstharz wollen die Tunnelbauer des Bahnprojekts Stuttgart 21 gefährliche Gesteinsschichten zähmen: Anhydrit. Wenn dieses Mineral mit Wasser in Berührung kommt, quillt es massiv auf und sprengt alles weg - selbst Tunnelverkleidungen aus Beton.
Der Anhydrit ist nur einer von vielen Gründen, welche das umstrittene Großbauprojekt noch viel teurer werden und die Arbeiten noch viel länger dauern lassen als geplant. Ganz am Anfang, Mitte der 1990er-Jahre, hatten Bahnexperten die Kosten auf 4,8 Milliarden D-Mark beziffert, etwa 2,4 Milliarden Euro. Seit Mittwoch ist klar, dass das Bauvorhaben mindestens 7,6 Milliarden Euro kosten wird - und frühestens im Dezember 2024 fertig wird. Die dreifachen Kosten, drei Jahre mehr Bauzeit. Was nun, Stuttgart 21?
Am 13. Dezember berät der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über das Gutachten mit den brisanten Zahlen. Folgende Fragen liegen auf dem Tisch: Wer soll die Mehrkosten bezahlen? Ist ein Weiterbau überhaupt noch sinnvoll? Oder sollten die Arbeiten lieber früher als später abgebrochen werden? Die Aufsichtsräte müssen sich ihre Antworten gut überlegen. Denn für Fehlentscheidungen könnten sie in Regress genommen werden. Wenn sie etwa sehenden Auges ein Projekt billigen, das ein unberechenbares Minusgeschäft wird, müssten sie mit Schadenersatzforderungen rechnen. Theoretisch. Warum aber ist nicht zu erwarten, dass sie Stuttgart 21 vorzeitig beenden?
Ein Abbruch würde sieben Milliarden Euro kosten
Es ist eine nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse: Das jüngste Gutachten rechnet vor, dass ein Abbruch der Arbeiten sieben Milliarden Euro kosten würde - und damit teurer käme als der Weiterbau. Wenn das stimmt, bleibt dem Aufsichtsrat gar nichts anderes übrig, als für den Weiterbau zu stimmen. Dennoch wird die Entscheidung frühestens im Januar kommen, schließlich wollen die Aufseher signalisieren, dass sie sich alles gut überlegt haben.
Aber erfreulich sind die Zahlen trotzdem nicht, am wenigsten für den Steuerzahler. Die Kritiker werfen der Bahn Fehlplanungen vor und fordern schon seit Längerem den Baustopp. Sie schlagen eine Verwertung der bereits gegrabenen Baugrube als Busbahnhof vor. Eine Idee, die bei den Aufsichtsräten keine Chance haben wird. Denn die Bahn müsste alle bereits gebohrten Tunnels wieder stabil machen - entweder durch Verschalungen oder Auffüllungen. Deshalb gilt die Devise: durchziehen.
Wie aus Bahnkreisen verlautet, ist längst klar, dass die Tieferlegung des Hauptbahnhofs samt Neugestaltung des Bahnverkehrs durch etliche neue Strecken und Tunnel durch die Stadt rein betriebswirtschaftlich ein Verlustgeschäft wird. Aber die Fortsetzung des Baus sei im Vergleich zum Abbruch das geringere Übel. Dazu komme der volkswirtschaftliche Nutzen - etwa durch schnellere Fernstrecken, bessere Anbindung des Flughafens, modernere Organisation des Regionalverkehrs.