Süddeutsche Zeitung

Studie zur Quote in Firmen:Wer braucht schon Frauen

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In Deutschlands Chefetagen herrschen Männer und die wollen das auch nicht ändern: Viele verfolgen explizit null Prozent beim Frauenanteil im Vorstand. Das kann der Wirtschaft schaden.

Von Christoph Gurk

Da wäre zum Beispiel: Thomas Enders, geboren im Westerwald, Wirtschaftswissenschaftler mit Abschluss aus Bonn und nun Vorstandsvorsitzender von Airbus. Ein erfolgreicher Lebenslauf, das schon, aber auch kein außergewöhnlicher, im Gegenteil, denn zumindest was die 160 in Dax, MDax, SDax und TecDax notierten Unternehmen angeht, ist Enders sehr, sehr durchschnittlich. Schließlich stammen die allermeisten Vorstände hierzulande aus Deutschland, auch sie haben, wie Enders, irgendwo in Westdeutschland studiert, entweder Wirtschaft oder Ingenieurwissenschaften, und sie sind dazu noch fast ausschließlich männlich. Das ist ein Problem, nicht nur für die Geschlechtergerechtigkeit, sagt eine neue Studie, sondern auch für die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

"Die Macht der Monokultur" heißt der Bericht, für den die schwedisch-deutsche Allbright-Stiftung auch dieses Jahr den Frauenanteil in den Vorständen der großen Börsenunternehmen untersucht hat. Dabei wird schnell klar: Der Titel der Studie mag zwar reißerisch sein, weit entfernt von der Realität ist er aber nicht. Denn von 697 Vorstandsmitgliedern, die es zum Stichtag 1. September in Deutschland gab, waren lediglich 56 Frauen. 110 Unternehmen hatten überhaupt keine Frau im Vorstand und 15 obendrein noch nicht einmal weibliche Vertreter im Aufsichtsrat. Der Zuwachs an Frauen in den Vorständen, sagt der Bericht, war im vergangenen Jahr so gering, dass er in etwa dem gleichzeitigen Zuwachs an Männern entspricht, die Thomas heißen: Fünf neue Thomasse gab es im vergangenen Jahr und gleichzeitig nur sechs neue Frauen in den Vorständen.

Wiebke Ankersen, die Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung, spricht darum auch vom "Thomas-Kreislauf": Unternehmen, die ihre Vorstandsmitglieder nach dem immer gleichen Mustern rekrutieren, westdeutsche Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieure um die 50 stellen also auch wieder jemanden mit den gleichen Merkmalen ein. Oder, um im Bild der Studie zu bleiben: Ein Thomas rekrutiert einen Thomas und der auch wieder einen Thomas. "Das ist bequem, denn wenn sich alle so ähnlich sind, gibt es kaum Reibung", sagt Ankersen. "Wenn alle sich blind verstehen, muss man als Chef weniger managen."

Unternehmen mit Frauen schneiden besser ab. Das scheint hierzulande egal zu sein

Für Vorstände in Deutschland gibt es keine Quote, wohl aber für die Aufsichtsräte von börsennotierten Unternehmen, seit 2016 greift hier eine Geschlechterquote von 30 Prozent. Tatsächlich ist die Zahl der Frauen im vergangenen Jahr gestiegen und die der Männer gesunken, es gibt jetzt 522 weibliche Aufsichtsräte und 1192 männliche, das entspricht ziemlich genau jenem gesetzlich festgelegten Frauenanteil von 30 Prozent. Man könnte nun fordern, die Quote einfach auch auf Vorstandsetagen auszuweiten, aber so einfach ist es nicht, sagt Ankersen. "Quoten bekämpfen nur Symptome, keine Ursachen." Was es wirklich brauche, sei ein Umdenken in den Unternehmen und vor allem bei den (meist eben noch männlichen) Chefs. "Sie müssen erkennen, dass Diversität ganz konkrete wirtschaftliche Vorteile für ihre Unternehmen bringt."

Schon 2012 hat die Credit Suisse 2400 Unternehmen weltweit vergleichen lassen in Bezug auf die Besetzung ihrer Führungspositionen und ihre Markterfolge. Das Ergebnis: Firmen mit mindestens einer Frau in der Chefetage schnitten um mehr als ein Viertel besser ab als Unternehmen, die nur Männer an der Spitze beschäftigen. Viele weitere Studien belegen diese Ergebnisse - und das macht die Männer-Dominierung der deutschen Wirtschaft für Ankersen umso schwerer verständlich. "In einem gemischten Team zu arbeiten ist sicher etwas anstrengender, denn da werden dann auch mal Dinge infrage gestellt und neu gedacht, aber genau das führt eben auch zu mehr Innovationskraft."

Davon ist man auch beim Gabelstaplerhersteller Kion überzeugt. Von Oktober an sitzt hier eine zweite Frau im Vorstand, der damit einen Frauenanteil von 40 Prozent haben wird und sich aus einem Amerikaner, einer Schwedin, einem Malaysier und zwei Deutschen zusammensetzt. "Ein solches gemischtes Team bringt durch die unterschiedlichen Sicht- und Denkweisen Impulse, die unserem Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen", sagt Anke Groth, die Finanzvorständin von Kion. "Natürlich ist ein derart diverser Vorstand auch ein Vorbild, das in das Unternehmen hinein große Wirkung zeigt." Kion steigt mit seinem zweiten weiblichen Vorstand in die "Weiße Liste" der Studie auf, auf der Firmen landen, die mindestens 40 Prozent Frauen im Vorstand haben. Zwei Unternehmen stehen schon dort, ein Biotechunternehmen und die Aareal Bank. Dieser sehr kurzen "Weißen Liste" steht in der Studie eine sehr lange "Schwarze Liste" gegenüber: Unternehmen ohne eine einzige Frau im Vorstand. Metro ist darunter, Bilfinger, Linde, Bayer, Eon, Fielmann oder Bechtle. Viele von ihnen geben in ihren Geschäftsberichten sogar explizit an, auch in Zukunft nichts an dem Frauenanteil bei null Prozent ändern zu wollen. So zitiert die Allbright-Studie zum Beispiel die Bechtle AG, immerhin das größte IT-Systemhaus in Deutschland, das in seinem Geschäftsbericht 2017 schreibt: "2015 wurde eine Zielgröße für den Vorstand von null Prozent festgelegt. ... Eine Änderung dieser Quote erscheint aus heutiger Sicht mittelfristig als unrealistisch."

Wiebke Ankersen kann sich solche Positionen nur mit einem noch zu geringen Leidensdruck erklären. "Große Teile der deutschen Wirtschaft sind von so einer satten Zufriedenheit geprägt", sagt die Allbright-Geschäftsführerin. "Für die meisten läuft es ja noch gut, also machen sie weiter, wie bisher."

Das Problem ist nur, dass man anderswo schon viel weiter ist in Bezug auf Diversität, auch das zeigt die Studie: In den USA hat jedes dritte der größten Börsenunternehmen schon jetzt einen Frauenanteil von mehr als 30 Prozent, und in Schweden haben die 30 größten Konzerne allesamt gemischte Vorstände, zwei sogar mit einem Frauenanteil von mehr als 50 Prozent. Man habe erkannt, welche Chancen in der Diversität stecken, sagt Ankersen. Sie glaubt: Irgendwann wird der Vorsprung ausländischer Unternehmen dank ihrer Diversität so groß sein, dass deutsche Firmen ihn nicht mehr aufholen können.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2018
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