Getreu der Regel, dass nichts cool ist, was viele cool finden, ist es kein Wunder, dass die Netzgemeinde Facebook immer öfter das Ziel von Hohn und Spott wird.
In Ruben Fleischers grandiosem Horrorspaß Zombieland (2009) etwa redet die kleine Clique der Überlebenden über all die Dinge, die ihnen in der apokalyptischen Monsterwelt nicht fehlen. Für den jungen Columbus (Jesse Eisenberg) zählt auch Facebook dazu: Weil ihm dort ständig irgendwer seine privaten Trivialitäten aufgedrängt hat. Die zauberhafte Zombiejägerin (Emma Stone), die er mit seinem Spott bezirzen will, lacht mit.
So weit der Film. In Wirklichkeit ist eine Welt ohne Facebook für viele, vor allem junge Menschen so unvorstellbar wie eine Welt voller Zombies. Wobei all jene, die (noch) nicht bei dem erst sechs Jahre alten Netzwerk mittun, aus Sicht der Anhänger auch irgendwie unlebendig sind.
"Mein Monat ohne Facebook"
Facebook mit seinen mehr als 350 Millionen Mitgliedern und rund 3,5 Milliarden Dateien (Text, Musik, Video), Textfragmenten und Links, die dort wöchentlich ausgetauscht werden, will erklärtermaßen der kommunikative Knotenpunkt im Internet werden. Im Firmenblog wirbt das Netzwerk zurzeit wieder dafür, es als "persönlichen Nachrichtenkanal" zu nutzen. Dazu müsse man nur "Fan" einzelner Facebook-Seiten werden, von der New York Times bis CNN. Schon erhalte man seinen individuellen Medienmix.
Wie ernst auch die Werbewirtschaft Facebook inzwischen nimmt, zeigt der jüngste Deal mit dem Brausehersteller Pepsico (Pepsi). Statt, wie sonst immer, einen der legendären Spots beim Football-Höhepunkt des Jahres, dem Super Bowl, zu buchen, investiert die Firma lieber 20 Millionen Dollar in eine Kampagne, in deren Zentrum Facebook steht.
Es gibt zig Studien, die erklären wollen, wie dieses Portal angeblich das Leben verändert, von Schulnoten bis zum Flirtverhalten. In der Schweiz erschien nun eine kleine Studie, die zwar nicht repräsentativ, aber doch interessant ist. "Facebookless: Mein Monat ohne Facebook" heißt das Experiment der Werbeagentur Rod Kommunikation, an dem 50 Leute von 17 bis 52 Jahren (für 300 Franken) teilnahmen. Alles sogenannte heavy user, Leute, die sich mindestens ein bis dreimal täglich bei Facebook anmelden.
Der Sozial- und Wirtschaftspsychologe Dominik Orth, 31, hat die Studie mit der Agentur zusammen konzipiert. Der SZ sagte er, dass er zwar starke Reaktionen erwartet habe - Facebook boomt in der Schweiz, wie überall; 2009 verdoppelte sich die Mitgliederzahl auf fast zwei Millionen.
Doch die Art, in der manche heavy user auf ihren Entzug reagierten, habe selbst ihn überrascht. Viele Teilnehmer berichteten demnach von Verlustgefühlen. Eine junge Frau fühlte sich gar "wie ein Kind, dessen Mutter gestorben ist". Das, sagt Orth, sei ein Grenzfall gewesen. Temporär sei der Verzicht für die meisten kein Drama gewesen. Nur langfristig: "Da war es für keinen eine Option, auf Facebook zu verzichten."
Der erste Grund für den Erfolg des Netzwerks ist zweifellos die Größe. Wer unter 40 ist, findet kaum noch Freunde, die er hier nicht findet. Der zweite Grund ist die Offenheit. Fast jeder digitale Inhalt passt hier hinein. Man kann Fotos laden, Videos schauen oder nach der lustigen Günther-Oettinger-Rede suchen, in der er dem englischsprachigen Teil der Welt de facto den Krieg erklärt.
"Wie eine Sucht"
Das alles geht (noch) nicht gleichzeitig, aber munter durcheinander. Was wiederum zu der Art passt, mit der immer mehr junge Menschen Medien nutzen. Einer Studie aus dem Hause Viacom (MTV) zufolge verwendet jeder vierte 14- bis 29-Jährige beim Fernsehen parallel andere Medien. Bei den 14-19-Jährigen ist es jeder Dritte.
Dominik Orth war in der Schweiz dabei, als sich seine Testpersonen von Facebook verabschiedeten. Zusammen ging es an den PC, wo der Studienleiter das Passwort änderte - "so, dass nur ich es noch kannte". Die Teilnehmer durften sich nicht wieder anmelden. Orth durchforstete später das Netzwerk, um zu testen, ob alle offline blieben. Sie blieben.
Interessant ist das, was die 50 Schweizer vor und nach ihrer Pause sagten. Anfangs, so Orth, hätten fast alle von einem diffusen Druck berichtet, sich bei Facebook anzumelden. "Wie eine Sucht", schrieb einer, "wie in einer Sekte", ein anderer. Dass das kein Schweizer Spleen ist, zeigt ein kurzer Blick ins Netzwerk.
Wer dort - auf Englisch - die Begriffe "süchtig" und "Facebook" sucht, erhält rund 16.000 Treffer. Gleich die erste Gruppe hat als Logo eine Zigarettenschachtel mit dem Namen des Netzwerks - und fast eine Million Mitglieder.
Vielversprechende Ergebnisse
Nach ihrer Facebook-Pause beurteilten die meisten Probanden ihre frühere Dauerpräsenz kritisch; sie hätten zu viel Quatsch gelesen und geschrieben, hieß es oft, zu viel Zeit verplempert. "Mir wurde (...) bewusst, dass sich auf Facebook eigentlich zu 90 Prozent Unwichtiges, Oberflächliches und nicht wirklich Interessantes abspielt", schrieb ein 31-Jähriger. Die Mehrheit gab an, dort nun "viel weniger" (19 Prozent) bis "weniger" Zeit (53 Prozent) zu verbringen.
Das klingt vielversprechend. Zumindest vielversprechender als jene andere, auf große Teile des deutschen Feuilletons beschränkte Mode, das Internet als Kultur-und Geistzersetzer an sich zu verteufeln.
Facebook ist da, möchte man den besorgten Autoren zurufen (E-Mails lesen sie ja nicht gerne) - und es wird vermutlich bleiben. Wenn überhaupt, geht es darum, mit dem Monster leben zu lernen. Wie Jesse Eisenberg, der Netzwerkhasser aus Zombieland. In seinem nächsten Film - The Social Network - spielt der 26-Jährige den 25-jährigen Mark Zuckerberg. So heißt der Erfinder von Facebook.